Die Sportgymnastin Rana Tokmak ist eine Paradebeispiel für eine gelungene Integration. Als Botschafterin engagiert sich die 17-Jährige, die in Schmiden trainiert, vor allem für Mädchen mit Migrationshintergrund.

Sport: Gerhard Pfisterer (ggp)

Stuttgart - Rana Tokmak ist anders. Eine Ausnahmesportlerin und ein Kontrapunkt zu vielen Studien und Statistiken. Denn die 17-Jährige ist ein Mädchen mit türkischen Wurzeln, das es in Deutschland im Sport weit gebracht hat – und dies ohne Boxhandschuhe oder Fußballstiefel.

 

Seit Februar ist die neunmalige deutsche Juniorenmeisterin und deutsche Vizemeisterin des Jahres 2012 Teil der Nationalgruppe der Rhythmischen Sportgymnastik, die am Bundesstützpunkt in Fellbach-Schmiden auf die Olympiateilnahme 2016 in Rio hintrainiert. Zudem fungiert sie als Integrationsbotschafterin. „Sport ist nicht nur für die Gesundheit, Disziplin oder Konzentration gut, sondern der erste Schritt, um sich in die Gesellschaft zu integrieren“, sagt Rana Tokmak. „Im Sport lernen Kinder nicht nur wie man mit dem Ball dribbelt oder Körbe wirft, sondern auch mit anderen Menschen umzugehen.“

In Deutschland haben 19,5 Prozent der Menschen einen Migrationshintergrund (Stand 2011). In Baden-Württemberg gilt das sogar für jeden vierten Einwohner, unter Jugendlichen sogar für jeden dritten. In den Sportvereinen sind sie aber stark unterrepräsentiert, besonders die Mädchen und Frauen – besonders abseits von Fußball und Kampfsport. Das soll sich ändern. Dazu gibt es immer mehr Projekte. In einem davon engagiert sich Rana Tokmak, die im Februar für ihren Olympiatraum aus ihrer Heimatstadt Castrop-Rauxel ins Schwabenland gezogen ist, im Ruhrgebiet. „Spin – Sport interkultuell“ heißt es. Es ist ein Modellprojekt der Stiftung Mercator, der Heinz-Nixdorf-Stiftung und des Landessportbundes Nordrhein-Westfalen für ganz Deutschland. Ein Hauptaugenmerk liegt darauf, Mädchen mit Migrationshintergrund zum Sport zu bringen. Das soll ihre Bildungs- und Zukunftschancen verbessern. „Ein Knackpunkt der Integration ist, dass man sich unter die Leute mischt. Im Sport treffen einfach alle Kulturen aufeinander“, sagt Rana Tokmak.

Traditionen werden zu Hause aufrechterhalten

Im Sportverein können sich soziale Kontakte und Freundschaften entwickeln. Es geht um ein Miteinander und Leistung, nicht um Herkunft, Hautfarbe oder Religion. „Deshalb denke ich auch, dass die Integrationspolitik viel vom Sport lernen kann“, sagt die baden-württembergische Integrationsministerin Bilkay Öney.

Der organisierte Sport verfügt über eine außerordentlich hohe integrative Kraft. Allerdings kann er diese nur entfalten, wenn die Eltern mitspielen. „Es ist leider so, dass nicht alle Mädchen und Frauen frei entscheiden können, was sie machen wollen, sondern der Mann im Haus das Sagen hat“, sagt Rana Tokmak. „Wir versuchen ihnen zu helfen, eine eigene Meinung zu bilden, und ihnen Wege aufzuzeigen, die ihnen sonst nicht aufgezeigt werden.“Die Gymnasiastin entstammt einem liberalen Elternhaus, das Wert auf Bildung legt. Ihre Mutter und ihr Vater sind studierte Leute aus Istanbul, die aus beruflichen Gründen auswanderten. Zu Hause wird bei den Tokmaks Türkisch gesprochen, alte Traditionen werden aufrechterhalten (wobei das Kopftuch nie ein Thema war). Darüber hinaus haben sie deutsche Sitten und Gebräuche aufgenommen, feiern beispielsweise ganz selbstverständlich Weihnachten. „Meine Heimat ist Deutschland. Die Türkei sehe ich als meine zweite Heimat an. Ich bin zu 60 Prozent Deutsche und zu 40 Prozent Türkin“, sagt Rana Tokmak.

Vorbild als Integrationsbotschafterin

Sie ist ein Paradebeispiel für gelungene Integration. Sie glaubt, das „lag im Wesentlichen am Sport“. Deshalb versucht sie nun als Integrationsbotschafterin andere Mädchen dazu zu ermutigen, ihrem Beispiel zu folgen. Als sie 2012 in der türkischsprachigen Zeitung Hüriyet etwas über „Spin“ las, wandte sie sich direkt in einer E-Mail an Ute Schäfer, die nordrhein-westfälische Bundesministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport: „Ich war glücklich zu sehen, dass etwas passiert. Ich wollte mich einsetzen, meine Erfahrungen weitergeben und zeigen, dass es anders geht.“

Ute Schäfer holte Rana Tokmak sofort ins Boot. Seitdem präsentiert die eloquente Leistungssportlerin bei Veranstaltungen ihre Sportart und erzählt ihre Geschichte. „Der Sport ist eine große Chance, Menschen an die Gemeinschaft heranzuführen. Doch dazu braucht es Vorbilder, und daher ist es so wichtig, dass sich Sportler wie Rana Tokmak engagieren“, sagt Rainer Brechtken, der Präsident des Deutschen Turner-Bundes. Für die etwas andere Sportgymnastin ist das ganz selbstverständlich.