Aktuell läuft eine Umfrage unter Stuttgarter Unternehmern mit Migrationshintergrund. Die Verwaltung will möglichst viele Firmen erreichen und deren Bedürfnisse ermitteln.

Familie/Bildung/Soziales: Viola Volland (vv)

Stuttgart - Bürger mit Migrationshintergrund sind Gründertypen. Sie machen sich doppelt so häufig selbstständig wie ihre deutschen Nachbarn. „Nur leider erleiden sie auch doppelt so häufig Schiffbruch“, sagt Levent Günes von der Abteilung Integration der Stadt. Wenn Unternehmen von Migranten pleitegehen, liege das nicht daran, dass sie ihren Job schlecht machten. „Teilweise fehlen Grundkenntnisse, zum Beispiel, wie man die Buchhaltung führt“, erklärt der Referent, der bei der Stadt für die Migrantenökonomie zuständig ist. Wie man hier durch bessere Beratung im Vorfeld positiv einwirken könnte, ist nur ein Aspekt, den die Stadt aktuell versucht herauszufinden.

 

Noch bis Mitte März läuft eine von der Abteilung Integration in Kooperation mit dem Statistischen Amt gestaltete Umfrage unter Stuttgarter Unternehmern mit Migrationshintergrund. „Wir erkennen Potenziale bei den Unternehmen, gleichzeitig möchten wir die Bedürfnisse besser unterstützen“, sagt Günes. Ziel sei, die Dienstleistungen für die Zielgruppe zu verbessern. Außerdem will die Stadt mehr Wissen ansammeln. Wer ist die Person? Welche Ausbildung hat sie? Gab es Schwierigkeiten in der Gründungsphase oder im operativen Geschäft? Hat sie sich im Vorfeld beraten lassen? Bildet der Betrieb aus? Bestehen Geschäftsbeziehungen ins Ausland? Das alles und mehr interessiert die Stadt.

Ob der Unternehmer in Deutschland seine Heimat sieht, wird ebenfalls abgefragt. „Wir wollen wissen, welche Denkmuster die Leute haben, ob sich nur hier Verwurzelte selbstständig machen oder auch diejenigen, die weiterziehen möchten“, erklärt der Politologe, warum die Stadt bewusst die Frage zur Heimat stellt.

Mär vom türkischen Gemüsehändler

Wie viele Unternehmer in Stuttgart einen Migrationshintergrund haben, wird statistisch bis jetzt nicht erfasst. „Schätzungen gehen von zehn Prozent aus“, sagt Günes, aber er glaubt, dass die Dunkelziffer deutlich höher ist. Ein Vorurteil treffe dabei heute nicht mehr zu: dass die meisten Firmen türkische Gemüsehändler sind. „Die Nachkommen des Gemüsehändlers machen andere Sachen, und zwar verstärkt im wissensintensiven Dienstleistungssektor“, sagt Günes.

Auf allen Kanälen hat die Stadt versucht, an die Unternehmer heranzutreten, damit sich möglichst viele beteiligen. Nicht nur die Kammern und die 14 Unternehmerverbände von Migranten wurden involviert, auch über soziale Netzwerke, Vereine und türkischsprachige Medien lief der Aufruf. 400 Unternehmer mit ausländisch klingendem Namen haben sogar einen Brief bekommen, in dem Oberbürgermeister Fritz Kuhn ganz persönlich auf die Umfrage aufmerksam gemacht hat.

Das Ziel ist, 150 ausgefüllte Fragebogen zu bekommen, aktuell liegt man bereits bei 100. Mit der Umfrage betrete man Neuland, sagt Günes. So etwas hat die Stadt noch nie gemacht. Aber der Schritt gehört zu einer Reihe von Aktionen, mit denen die Unternehmer mit Migrationshintergrund zukünftig stärker in den Fokus der kommunalen und regionalen Wirtschaftspolitik gerückt werden sollen. So gibt es nicht nur einen Runden Tisch zur Migrantenökonomie, sondern auch eine Broschüre, die sich speziell an Existenzgründer aus der Zielgruppe richtet (siehe Infokasten).

Für die Anstrengungen der Stadt gibt es Lob. „Ich finde die Umfrage sehr gut und auch notwendig“, sagt beispielsweise Mario Fustilla vom Verband italienischer Unternehmer, in dem 45 Unternehmen zusammengeschlossen sind. „Es ist wichtig, dass man sieht, wo die Bedürfnisse liegen“, meint Fustilla, der selbst Vermögensberater ist. Auch die Broschüre für Existenzgründer sieht er als hilfreich an, um den Informationsfluss zu verbessern. Insgesamt fände er es gut, wenn die Stadt deutlich machen würde, wie vielfältig Migrantenökonomie ist. Im Falle der Italiener hätten alle das Klischee des Gastronomen im Kopf. Das gelte es abzubauen. Man müsse sich nur den eigenen Verband angucken: Dort sind unter anderen Bauingenieure, Architekten, Dolmetscher, Rechtsanwälte, eine große Gartenbaufirma und Steuerberater aktiv. „In Stuttgart gibt es eine starke Migrantenökonomie, das sollte die Stadt hervorheben“, sagt Fustilla.