Die Stadt Stuttgart plant ihre Kulturpolitik für Flüchtlinge. Dank langjähriger Arbeit muss sie dafür aber nicht neu starten.

Stuttgart - Während im Herbst 2015 vielerorts noch händeringend nach Unterkünften und Deutschlehrern gesucht wurde und neu gegründete Freundeskreise zu Kleiderspenden aufriefen, die sie schon am nächsten Tag wegen der Überfülle des eingegangenen Materials wieder abblasen mussten, trat bereits ein Stuttgarter Theater nach dem anderen mit einem Stück über Flüchtlinge an die Öffentlichkeit: mal auf der Grundlage authentischer Erlebnisse, mal auch unter Beteiligung der Geflohenen selbst.

 

Offenbar hat die massenhafte Ankunft der Flüchtlinge die Kulturszene nicht unvorbereitet getroffen. Tatsächlich hat bereits im November 2014 ein erster Workshop zum Thema stattgefunden, angeregt vom Initiativkreis Interkulturelle Stadt (IKIS), in dem unter Federführung des Forums der Kulturen Kulturinstitutionen, von der Akademie Schloss Solitude über alle wichtigen Museen bis hin zur Musikschule, dem Deutsch-Türkischen Forum, der Stadtbücherei und dem Literaturhaus zusammengeschlossen sind. Dreh- und Angelpunkt der Flüchtlingskulturarbeit aber ist das Kulturamt.

Nun hat am Dienstag im Rathaus ein zweiter Workshop zum „Stuttgarter (Weg zur) Flüchtlingskultur“ stattgefunden. Die etwas sperrige Klammer hat ihre Berechtigung: Auf der einen Seite gibt es diese Flüchtlingskultur längst. Die Landeshauptstadt steht, wie die Kulturbürgermeisterin Susanne Eisenmann hervorhob, für eine Willkommenskultur. Und das seit Jahrzehnten, wie die Kulturamtsleiterin Birgit Schneider-Bönninger ergänzte. Es gibt mittlerweile Musikunterricht auch an Instrumenten wie Baglama oder Kaval.

Bücher in arabischer Sprache

Bei den Vorlesekursen der Stadtbibliothek hat sich die Zahl der jungen Zuhörer vervierfacht. Bücher und Medien gibt es dort nun auch in arabischer Sprache. Der Etat des Innovationsfonds Interkultur ist von 25 000 auf 60 000 Euro erhöht worden. Man müsse nicht immer wieder bei Null anfangen, meinte Rolf Graser, der Leiter des Forums der Kulturen und des IKIS. Man solle „die Welt auch mit anderen Augen ansehen“, riet er, und statt von Augenhöhe zu reden sich lieber die Machtstrukturen vor Augen führen.

Auf der anderen Seite befindet sich auch die Kulturszene immer noch auf dem Weg. Wer gemeint haben sollte, anderthalb Jahre nach dem ersten Workshop zum Thema nun bereits detaillierte Erfahrungsberichte wegweisender Kulturprojekte mit Flüchtlingen vorgelegt zu bekommen, sah sich zwar nicht gänzlich getäuscht. Doch es gab deutlich mehr Teilnehmer, die gekommen waren, weil sie Fragen hatten, noch ganz am Anfang stehen, an irgendeinem Punkt nicht weiter gekommen waren und deshalb den Austausch suchten.

Was kann ein Theater tun, das bereits arabische Untertitel zu einem Stück verfasst hat, wenn die so Angesprochenen gar nicht erscheinen? Gibt es etwas, womit das Theodor-Heuss-Haus die Geflüchteten erreichen könnte, die doch noch kaum deutsch sprechen? Der Rat der Erfahreneren unter den Teilnehmern: erst mal Luft rausnehmen, die Geflüchteten persönlich ansprechen, einfach dort sein, wo sie sind und vielleicht eher mit der Kochkunst anfangen.

Musterbeispiel für Basisdemokratie

Das ist noch nicht viel, aber Schritt für Schritt kommt man vorwärts. Das Kulturamt möchte gerne Leitlinien entwickeln, um mit der Sachkompetenz anderer Behörden – Sozialamt, Jugendamt, Abteilung Integration – das viele Engagement in die richtigen Bahnen zu lenken. Seit dem Kulturdialog 2011 bis 2013 hat sich Stuttgart, jedenfalls im Kulturbereich, zu einem Musterbeispiel erfolgreicher Basisdemokratie entwickelt. Jeder kann sich einbringen. Die Beiträge zeichnen sich durch hohe Sachkompetenz aus. Lange, komplizierte Wortbeiträge verwandeln sich durch eine unbegreifliche Magie in übersichtliche Stichworte auf kleinen Zetteln, aus denen am Ende aus jeder Arbeitsgruppe ein Berichterstatter ein kurzes Fazit zieht.

Detaillierter ausgearbeitet soll das Ergebnis von diesem Freitag an auf der Internetseite der Stadt Stuttgart im Netz stehen. Und wenn nicht diesmal, so wird vielleicht das nächste Mal eine konkrete Handlungsanweisung daraus, die sich auch der Gemeinderat gerne zu eigen machen wird, weil er sie selbst nicht besser hätte formulieren können.