Das Bündnis für Integration gibt es in Stuttgart seit zehn Jahren. Ein Grund zum Feiern - wenn auch viele Ziele noch nicht erreicht sind.

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - Vor zehn Jahren hat Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster die Grundlagen einer neuen Integrationspolitik präsentiert. Am Dienstagabend feiert das Bündnis für Integration sein Zehnjähriges, bei dem Festakt im Rathaus mit dabei sind die Bundesministerin für Integration Maria Böhmer (CDU) und die baden-württembergische Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD).

 

Was Schuster damals vorlegte, war ein 36-seitiges Papier, das Stuttgart zur Einwanderungsstadt erklärte. Aus den Ausländern wurden Migranten, aus einer ausgegrenzten Bevölkerungsgruppe wurde eine Bereicherung für die Landeshauptstadt. Der neue Leitsatz lautete: alle gehören dazu, unabhängig von ihrer Herkunft. Alle sollten die Chance bekommen, am gesellschaftlichen und kulturellen Leben teilzuhaben.

Glaubt man den Verantwortlichen, dann war Stuttgart die erste Stadt in Deutschland mit einem Integrationskonzept, was schon deshalb bemerkenswert ist, weil die Landeshauptstadt von einem CDU-Oberbürgermeister und damals auch noch von einer bürgerlichen Mehrheit regiert wurde. Die Grundlagen dazu hatte freilich bereits Alt-OB Manfred Rommel gelegt, der schon in den 1980er Jahren in Integrationshilfen investierte, als davon in der CDU niemand etwas hören wollte.

Das Bündnis hat einiges bewegt - dennoch gibt es Ernüchterung

Die Ziele, die Schuster im Jahr 2001 formulierte, waren ehrgeizig - und sind vielfach bis heute nicht erreicht. Noch immer ist die Arbeitslosenquote unter Migranten auch in Stuttgart überdurchschnittlich hoch, und noch immer verlässt weit mehr als die Hälfte der ausländischen Stuttgarter Schüler die Schule nur mit einem Hauptschulzeugnis oder sogar gänzlich ohne Abschluss. Auch schaffen nach wie vor sehr viel weniger Migrantenkinder den Sprung aufs Gymnasium als ihre deutschen Altersgenossen.

Stuttgarts Integrationsbeauftragter Gari Pavkovic räumt denn auch freimütig ein, das es noch eine Weile dauern dürfte, bis Zuwandererkinder die gleichen Bildungschancen haben werden wie ihre deutschen Altersgenossen: "Im Bildungsbereich muss noch einiges passieren." Pavkovic sieht viele gute Ansätze, wie etwa den Ausbau der Ganztagesbetreuung an Schulen, der aber müsse konsequent weiter vorangetrieben werden. Folgerichtig wird der Wolfgang Schuster am Dienstag die Fortschreibung des Integrationskonzepts ankündigen - für das Jahr 2012.

Trotz aller Ernüchterung bleibt festzuhalten: Das Bündnis hat einiges bewegt. Nur ein Beispiel sind die von der Stadt finanzierten Mama-lernt-Deutsch-Kurse, Sprachkurse für Migrantinnen, die in vielen Städten Nachahmer gefunden haben. Angestoßen wurden ehrenamtliche Mentorenprogramme an Schulen, wie etwa Startklar, bei dem Senioren Hauptschülern bei der Berufsfindung helfen.

Bundesweite Aufmerksamkeit für Stuttgart

Zuletzt hinzu kam eine Kampagne der Stadt, die gezielt um junge Zuwanderer wirbt, um die Quote der Migranten in der Stadtverwaltung zu erhöhen. Auf den Weg gebracht wurde außerdem eine Einbürgerungskampagne, deren Kern ein freundliches Anschreiben an bestimmte Ausländergruppen ist, die aufgefordert werden, über den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft nachzudenken. Die Bemühungen der Stadt fruchten, zumindest was das Verhältnis der Migranten zu ihrer Stadt angeht. In einer europaweiten Umfrage, an der sich auch deutsche Großstädte beteiligt haben, lag Stuttgart in einem zentralen Punkt vorn: der Zufriedenheit der Migranten mit ihrer Stadt.

Der Integrationsbeauftragte Gari Pavkovic spricht denn auch von weichen Faktoren, die schlecht zu messen seien: "Wir haben erreicht, dass sich die Migranten und ihre Vereine stärker am gesellschaftlichen Leben beteiligen." Geschult wurden Zuwanderer, die als Gesundheitsmentoren ihre Landsleuten über die deutsche Pflegeversicherung aufklären, andere Migranten touren durch Vereine, um für eine Beteiligung an Kommunalwahlen zu werben. Auch für Vertreter von Moscheevereinen wurden Fortbildungen geboten, um diese zu einer größeren Offenheit zu bewegen.

Gelungen ist es Schuster mit seinem Integrationskonzept jedenfalls, bundesweit auf die Stadt aufmerksam zu machen. So hat die Stuttgarter Stabsstelle Integration bei der Deutschen Islamkonferenz genauso wie beim Nationalen Integrationsplan der Bundesregierung mitgewirkt.

Für den Integrationsbeauftragten Gari Pavkovic aber ist die Frage offen, ob seine Arbeit vom Gemeinderat ebenso geschätzt wird wie von der Bundesregierung. Seit Jahren wird ein Teil der Mitarbeiter der Stabsstelle aus Stiftungsgeldern finanziert. Zum Jahresende läuft die Förderung von drei Stellen aus. "Ich würde mir wünschen, dass der Gemeinderat mir zumindest eine zusätzliche Stelle genehmigt, damit wir arbeiten können, ohne ständig um Drittmittel werben zu müssen."

Der Festakt im Großen Sitzungssaal des Rathauses beginnt am Dienstag um 17 Uhr.

Der Migrantenanteil ist deutlich gestiegen

Schulabschlüsse

Ein Indikator für Integration: die Schulabschlüsse. Im Schuljahr 2010/2011 lag der Ausländeranteil an den Hauptschulen der Stadt bei 51,2 Prozent (vor zehn Jahren: 56,4 Prozent). Ihr Anteil an den Realschulen ist von 22,5 auf 31,2 Prozent gestiegen, an den Gymnasien von 21,1 auf 13,5 Prozent gesunken. Die Statistik sei erklärungsbedürftig, sagt Gari Pavkovic. Wegen des neuen Staatsangehörigkeitsrechts hätten viele junge Ausländer heute einen deutschen Pass. Der Anteil von Migrantenkindern an Gymnasien liege bei 25 bis 30 Prozent. Aber 79 Prozent der Haupt- und Werkrealschüler kämen aus Einwandererfamilien.

Arbeitslosigkeit

Die Erwerbslosenquote von Ausländern lag im September bei 9,5 Prozent (insgesamt: 5,4 Prozent). Die Arbeitslosigkeit liege bei jungen Ausländern bei 4 Prozent, unter deutschen Jugendlichen bei 2,9 Prozent.