Die Integrationsministerin Öney (SPD) besucht vorerst keine Schulen mehr, die der Gülen-Bewegung nahe stehen. Der Bewegung wird nachgesagt, sie sei die „wichtigste und gefährlichste islamistische Bewegung in Deutschland“.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Besuche von Politikern sind Gold wert für Bildungseinrichtungen, denen eine Nähe zur islamischen Gülen-Bewegung nachgesagt wird. Sie helfen den Argwohn zu zerstreuen, hinter der löblichen offiziellen Mission im Sinne des Predigers Fethullah Gülen gebe es noch eine verborgene islamistische Agenda. Wenn Regierungsmitglieder oder Parlamentarier dort aber ohne Bedenken auftreten, so das Signal, dann sind solche Sorgen wohl unnötig.

 

Entsprechend dankbar schmücken sich die Institutionen mit den Politikern, die ihnen die Ehre gegeben haben. Auf der Internetseite der privaten Bil-Schule in Stuttgart, die von Gülens Ideen „inspiriert“ ist, prangt groß ein Foto von der Einweihung des Neubaus in Bad Cannstatt: Zu sehen sind Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU), für den es zu Jahresbeginn die letzte Amtshandlung war, beim Durchschneiden des roten Bandes. Weitere Bilder von der Feier zeigen den SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel und den Bundesvorsitzenden der Grünen, Cem Özdemir. Auch die private Prisma-Schule in Böblingen kann auf ihrer Homepage eine stattliche Galerie von Politikern vorweisen: Bisher prominentester Besucher war danach Landesinnenminister Reinhold Gall (SPD), nebst dem Landrat und dem Oberbürgermeister ließen sich auch Bundestags- und Landtagsabgeordnete sowie kommunale Mandatsträger jeder Couleur gerne ablichten.

„Bis zur Klärung nehme ich von Besuchen Abstand“

Schon bisher monierten Kritiker der Gülen-Bewegung, wie bereitwillig sich die Politprominenz von den Einrichtungen vereinnahmen ließ; doch diese Stimmen fanden nur wenig Resonanz. Nun aber bekommen sie unverhofft prominente Unterstützung aus dem Kabinett Kretschmann: Just Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) geht vorsichtshalber auf Distanz, ohne das freilich an die große Glocke zu hängen. Bis auf weiteres will sie „von Besuchen von Einrichtungen, die als der Fetullah-Gülen-Bewegung nahestehend geltend, Abstand nehmen“. So schrieb sie es – wie erst jetzt bekannt wird – im vorigen Herbst an den Böblinger CDU-Landtagsabgeordneten Paul Nemeth, der sie zu einem gemeinsamen Besuch in der Prisma-Schule eingeladen hatte. Diese gelte als Gülen-nah, weshalb sie „um Ihr Verständnis“ für die Absage bitte. Nemeth reagierte leicht verwundert: Weder sei ihm eine solche Nähe bekannt gewesen, noch habe er den Eindruck, die Schüler würden „weltanschaulich oder religiös indoktriniert“.

Zur Begründung verwies Öney auf ihre Stellungnahme zu einer Landtagsanfrage der CDU, aber auch auf einen Artikel des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“. Die Antworten an die Abgeordnete Sabine Kurtz waren damals, Ende 2011, eher mager ausgefallen: Man wisse nicht genau, wie viele und welche Bildungseinrichtungen im Südwesten der Gülen-Bewegung zuzurechnen seien; die Träger outeten sich nur selten. Vom Verfassungsschutz würden die Anhänger des Predigers jedenfalls nicht beobachtet, der „Bildungsarbeit auf dem Boden des Grundgesetzes“ stehe man selbstverständlich „positiv gegenüber“. Wünschenswert, so das Fazit der Ministerin, sei allerdings „mehr Transparenz“: durch einen vertieften Dialog und eine „für die Öffentlichkeit nachvollziehbare Darstellung von Geschichte, Strukturen und Finanzbeziehungen“.

„Mit der Geduld einer Spinne legen wir unser Netz aus“

„Bis zu einer Klärung dieser Punkte“ gilt Öneys selbst auferlegte Besuchssperre. Durch den „Spiegel“-Beitrag vom August 2012, der im Gülen-Lager große Empörung auslöste, sieht sie den Aufklärungsbedarf wohl eher noch erhöht. Darin ging es, auch unter Berufung auf Aussteiger, um die „zwei Gesichter“ der Bewegung: das der Welt zugewandte – und das versteckte.

Die Bildungsarbeit sei nur das sichtbare Wirken der laut einer Islamexpertin „wichtigsten und gefährlichsten islamistischen Bewegung in Deutschland“. Tatsächlich strebe sie ein neues Zeitalter an, in dem der Islam über den Westen herrsche. Aus den Schriften Gülens zitierte die Zeitschrift, wie die Bewohner der „Lichthäuser“ – einer Art Kaderschmiede – Ungläubige als Freunde gewinnen und sich dazu notfalls verstellen sollten: „Mit der Geduld einer Spinne legen wir unser Netz aus, bis sich Menschen darin verfangen.“

Wo und wie oft die Ministerin auch wegen dieses Berichts sonst noch Besuche abgelehnt hat, ob ihre Praxis mit dem Kabinett abgestimmt ist – dazu gab es auf StZ-Anfrage keine konkrete Auskunft. „Ich verschließe mich einem Dialog mit Fethullah-Gülen-nahen Institutionen nicht“, ließ Öney erklären, aber sie setze auf mehr Transparenz. Die Auftritte anderer Regierungsvertreter, die angesichts ihrer Zurückhaltung etwas blauäugig erscheinen könnten, wollte sie nicht kommentieren.

Kretschmann zeigt keine Berührungsängste

Wenn der für den Verfassungsschutz zuständige Innenminister keine Bedenken habe, solche Einladungen anzunehmen, „zweifle ich nicht an seiner Entscheidung“. Jede Ministerin und jeder Minister entscheide frei über seine Termine. „Es steht mir nicht zu, mich in die Arbeitsweise und Terminplanung von Ministerkollegen oder gar des Ministerpräsidenten einzumischen“, betonte Öney.

Ob sie zur Feier der Bil-Schule eingeladen war, will Bilkay Öney übrigens nicht verraten. Ihr Chef Kretschmann zeigte dort jedenfalls keinerlei Unbehagen: Lächelnd hielt er ein gerahmtes Foto in die Kameras, auf dem sein Konterfei vor das neue Schulgebäude montiert war.

Die Gülen-Bewegung – eine Gefahr?

Benannt ist die Gülen-Bewegung nach Fethullah Gülen (Jahrgang 1941), einem Prediger aus der Türkei, der heute in den USA lebt. Seine Anhänger verehren ihn als Gelehrten, loben seine liberalen Ideen und die Angebote zum interreligiösen Dialog. Kritiker halten die Bewegung für gefährlich, weil sich unter einem „pseudomodernistischen Lack“ islamistische Auffassungen verbergen würden. Vom Verfassungsschutz wird sie nicht beobachtet.

In Deutschland ist die Gülen-Bewegung in vielen größeren Städten aktiv. Mit Nachhilfezentren und privaten Schulen engagiert sie sich für die Bildung vor allem türkischstämmiger Migranten. Erst in jüngerer Zeit bekennen sich die Bildungseinrichtungen vermehrt zu Gülens Ideen. Eine offizielle Zentrale gibt es nicht, die Aktivisten sind jedoch gut vernetzt.