Bei der Umstellung auf Integrierte Leitstellen wird zu viel Geld auf öffentliche Kassen abgewälzt, finden manche Landratsämter. Eine Klage im Kreis Tübingen gilt als Präzedenzfall – mit negativer Tendenz für die Krankenkassen.

Notfallversorgung – Gemeinsame Notfall-Leitstellen von Feuerwehr und Rettungsdienst sind eine sinnvolle Sache. Deshalb gilt in Baden-Württemberg eine gesetzliche Pflicht, solche Integrierten Leitstellen einzurichten. Doch nach Ansicht einiger Landräte und Bürgermeister haben die Krankenkassen in dieser sinnvollen Einrichtung eine pfiffige Idee zum Kostensparen entdeckt. Die öffentliche Hand, so der Vorwurf, übernehme vielerorts zu viel von den Kosten, für die eigentlich die Kassen aufkommen müssten.

 

Ein am Dienstag verhandelter Fall vor dem Verwaltungsgerichtshof in Mannheim gibt Hinweise darauf, dass der Vorwurf nicht aus der Luft gegriffen scheint. Zumindest deutete die Vorsitzende Richterin an, dass sie die Position der öffentlichen Kostenträger – in diesem Fall des Landratsamts Tübingen – nachvollziehen kann. Nach einer ausführlichen Erörterung am ersten Verhandlungstag deutet vieles darauf hin, dass der Kläger – hier: der Tübinger Kreisverband des Roten Kreuzes – recht bekommen könnte.

„Wir sehen eine Präzedenzwirkung“

An der landesweiten Bedeutung des Verfahrens ließen die Verfahrensbeteiligten keinen Zweifel. „Alle anderen Landkreise schauen auf dieses Verfahren“, sagte ein beteiligter Anwalt. Ein Vertreter der Tübinger Schlichtungsstelle verwies gar darauf, dass es an der Schiedsstelle in Stuttgart derzeit drei Verfahren gebe, die auf das Mannheimer Urteil warten. „Wir sehen darin eine gewisse Präzedenzwirkung“, sagt auch der Sprecher des Landratsamts Ludwigsburg, Andreas Fritz. Der dortige Landrat Rainer Haas hatte wiederholt darauf hingewiesen, dass er die derzeitige 50-50-Kostenteilung zwischen Kassen und Steuerkassen für unangebracht hält. Auch der Rems-Murr-Kreis dringt darauf, wenigstens 55 Prozent der Kosten den Kassen aufzubürden. Das Innenministerium teilt auf Anfrage mit, eine 50-50-Kostenteilung zu empfehlen. Diese Regelung werde bereits „von zehn Leitstellen gelebt“.

Der Kernpunkt des Streits ist überall derselbe. Die Krankenkassen pochen in den zuständigen Bereichsausschüssen der Kreise darauf, die Kosten zu teilen. Dabei gibt es landauf, landab weit weniger Feuerwehr- als Rettungsdiensteinsätze. Beispiel Tübingen. Hier stehen 45 000 Alarmierungen der Rettungsdienste nur rund 1500 bis 2000 Einsätze der Feuerwehr gegenüber. In Zeiten getrennter Leitstellen sei das Kostenverhältnis etwa 70 zu 30 zu Gunsten der Rettungsdienste gewesen, erläuterte ein Vertreter des Landratsamts Tübingen. Die strittige Summe in Tübingen (pro Jahr) liegt im sechsstelligen Bereich.

Das Rote Kreuz sitzt zwischen den Stühlen

Das Problem: einerseits hat das Rote Kreuz als Betreiber der Leitstelle eine Betriebsvereinbarung mit dem Landratsamt abgeschlossen. Darin wurde eine Kostenbeteiligung von 65 Prozent für die Rettungsdienste (diesen Anteil zahlen die Kassen) und 35 Prozent für die Feuerwehr (Steuermittel) festgeschrieben. Im Bereichsausschuss andererseits wurde vereinbart, dass die Kosten je zur Hälfte übernommen werden. In diesem Gremium haben die Landratsämter allerdings kein Stimmrecht. Die Kassen haben die Hälfte der Sitze, können nicht überstimmt werden und zeigen sich dort, so ist zu hören, meist kompromisslos. Das dort auch vertretene Rote Kreuz hat laut seinem Anwalt versucht, eine andere Regelung durchzusetzen – erfolglos.

Durch diese Doppelregelung wäre der DRK-Kreisverband dauerhaft auf 15 Prozent der Kosten sitzen geblieben. Deshalb reichte der Kreisverband Klage ein. Das Verwaltungsgericht Stuttgart hatte dem Roten Kreuz im vergangenen Jahr weitgehend recht gegeben. Es verpflichtete die Kassen, erneut über die Kostenaufteilung zu verhandeln, dabei aber stärker die tatsächlichen Einsätze zu berücksichtigen – also erwähnte 65/35-Regelung. Dagegen haben die Kassen Berufung eingelegt.

Die Vorsitzende Richterin machte am Dienstag deutlich, dass ihr eine Einigung am liebsten wäre. Die Materie sei hochkomplex. „Wir befinden uns auf juristischem Neuland.“ Ein Beisitzer bezweifelte gar, dass die Kassen berechtigt seien, Berufung einzulegen. Es sei zudem fraglich, dass die 50-50-Entscheidung der Schiedsstelle Tübingen rechtlich auf stabilem Fundament stehe. Zudem ließ die Vorsitzende eine gewisse Sympathie für den Richterspruch der Kollegen vom Verwaltungsgericht Stuttgart erkennen. Das Urteil soll in drei Wochen bekanntgegeben werden.