Allen politischen Bemühungen zum Trotz steuern wir auf eine vier Grad wärmere Welt zu – mit all ihren Gefahren. Ein halbes Jahr vor dem UN-Klimagipfel in Paris bleibt unklar, wie man dieses Szenario vermeidet. Die bisherigen Klimaschutzziele von EU, G7 und anderen Staaten sind nicht ehrgeizig genug.

Stuttgart - Die Ankündigungen der G-7-Staaten und der EU reichen bei Weitem nicht aus, um den Temperaturanstieg auf zwei Grad zu begrenzen. Dieses Fazit hat der „Climate Action Tracker“ schon vor dem Treffen in Elmau veröffentlicht, und es hat weiter Bestand. Denn das politisch bemerkenswerte Bekenntnis, Energie in einigen Jahrzehnten CO2-neutral produzieren zu wollen, bringt noch keine neuen Zahlen ins Spiel. Japan erhält vom „Climate Action Tracker“, der von mehreren Klimaforschungsinstituten betrieben wird, sogar ein „unzureichend“ für seine Ziele. Wenn alle Staaten so unambitioniert wären, dürfte die Temperatur um vier Grad steigen.

 

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Die Forscher schauen nicht nur auf die Versprechen zum Klimaschutz, sondern auch auf die Regelungen, die in den G-7-Staaten und der EU tatsächlich beschlossen worden sind: Sie reichen bis jetzt nur aus, um die Emissionen in den nächsten 15 Jahren auf dem gegenwärtigen Niveau zu halten. Dabei müssten sie für das Zwei-Grad-Ziel schon in diesem Zeitraum sinken. Solange die Versprechen nicht eingelöst werden, bleibt die Menschheit auf dem Weg in eine Vier-Grad-Welt.

In diesem Szenario werden die Temperaturen in der Arktis am stärksten steigen – bis zu elf Grad sollen es sein. Dieser Effekt ist vor allem deshalb gefährlich, weil er den Klimawandel noch verstärken kann: Die eisfreie Erdoberfläche wird mehr Sonnenenergie aufnehmen, weil sie dunkler ist, und die ständig gefrorenen Böden werden auftauen und dabei gewaltige Mengen Methan freisetzen, das ebenfalls als Treibhausgas wirkt.

Es gibt Risiken, die man sich nicht ausmalen möchte

Auch andernorts dürften Temperaturrekorde häufiger aufgestellt werden, heißt es in einem Bericht der Weltbank. In manchen Regionen wird es mehr regnen als heute, andere werden noch trockener. Der Anbau von Mais, der wichtigsten Getreideart der Welt, wird in Brasilien zum Beispiel um bis zu 60 Prozent zurückgehen.

Was die Karten nicht zeigen können, sind die Auswirkungen auf die Tier- und Pflanzenwelt. Klimazonen werden sich um durchschnittlich einige Kilometer im Jahr verschieben, berichtet der Weltklimarat IPCC, und ein großer Teil der Arten wird damit nicht Schritt halten können – und aussterben. Rund die Hälfte der Korallen wird unter dem Klimawandel leiden.

Hinzu kommen die Risiken, die man sich gar nicht ausmalen möchte: Der Weltklimarat spricht von „außergewöhnlichen und großräumigen Ereignissen“ und meint damit beispielsweise das Abschmelzen des Eispanzers Grönlands, das den Meeresspiegel langsam, aber unaufhaltsam um rund sieben Meter anheben würde. Solche Katastrophen lassen sich schwer vorhersagen. Die Klimaforscher stellen daher nur fest, dass das Risiko mit der Temperatur steigt und bei einem Plus von vier Grad ziemlich hoch ist.

Manche fordern eine Verschärfung zum 1,5-Grad-Ziel

Sollte es gelingen, den Temperaturanstieg auf zwei Grad zu begrenzen – dieses Ziel der Vereinten Nationen haben die G-7-Staaten gerade bekräftigt –, wären die Risiken geringer. Vor allem Europa, Nordamerika und Australien würden profitieren. Die Risiken sind jedoch für Afrika sowie Latein- und Südamerika auch bei einem Anstieg von zwei Grad schon recht hoch. Die Grenze von zwei Grad ist politisch gesetzt und keine Garantie dafür, dass der Klimawandel glimpflich ausgeht. Kein Wunder, dass viele Staaten beim Klimagipfel in Cancún vor fünf Jahren darauf gedrungen haben, das Zwei-Grad-Ziel zu überprüfen und eventuell zum 1,5-Grad-Ziel zu verschärfen.

Doch Kohlendioxid bleibt rund 100 Jahre in der Atmosphäre, vielleicht sogar länger. Der Treibhauseffekt wird also noch nachwirken, selbst wenn kein CO2 mehr in die Luft gelangen sollte. Die Zukunftsszenarien für das Zwei-Grad-Ziel sehen inzwischen vor, dass es nicht mehr genügt, die Emissionen auf null zu bringen. Ein Teil des Kohlendioxids muss aktiv aus der Luft geholt werden, etwa durch die Aufforstung von riesigen Waldgebieten. Für das 1,5-Grad-Ziel müsste der Einsatz noch viel größer sein.

Im Dezember laden die Vereinten Nationen zum nächsten Klimagipfel nach Paris und wollen dort ein Abkommen zum Klimaschutz vereinbaren. Zur Vorbereitung haben sich viele Staaten selbst verpflichtet und ihre Ziele an das UN-Klimasekretariat in Bonn gemeldet. Die meisten Verpflichtungen, die der „Climate Action Tracker“ bisher untersucht hat, reichen nicht aus. Nur Bhutan und Costa Rica haben bisher die Kriterien erfüllt.

Insgesamt ermöglichen die Ziele nur, den Temperaturanstieg auf drei Grad zu begrenzen, hat der „Climate Action Tracker“ berechnet. Der Schritt von zwei zu drei Grad bedeutet etwa, dass die Gefahren für ganze Ökosysteme von „hoch“ auf „sehr hoch“ springen. Wer will das akzeptieren?