Die Künstlerin Yutta Saftien arbeitet nicht mit Marmor, Metall oder Holz – sondern mit bunter Wolle. Aber wehe, jemand nennt sie eine „Häkeltante“!

Böblingen - Aus welchem Material bestehen Skulpturen? Jahrtausendelang lautete die Antwort: aus Marmor, Metall oder Holz. Doch in den vergangenen Jahrzehnten haben vor allem Künstlerinnen begonnen, Skulpturen auch aus weichen, textilen Stoffen zu erschaffen. So auch Yutta Saftien, die im Schwarzwald geboren wurde und heute in Hamburg lebt. Am Wochenende war die 52-Jährige an der Städtischen Galerie in Böblingen zu Gast. Dort hat sie zusammen mit den Besuchern an einer Wollskulptur weitergearbeitet, die eine grüne Schlingpflanze darstellt und an einer Säule vor der Galerie befestigt ist.

 

Dass die Betrachter ihrer Skulpturen explizit zum Mitgestalten aufgefordert werden, ist eine Besonderheit von Yutta Saftiens Werken. Während traditionelle Skulpturen ehrfürchtig betrachtet werden wollen, tragen alle Arbeiten von Saftien den Hinweis: „Es darf weitergehäkelt werden !“ Auch in Böblingen kamen Museumsbesucherinnen, um Saftiens Schlingpflanze um Blätter, Blüten oder umhäkelte Kugeln zu ergänzen.

Auf einem Kreuzschiff 64 Meter lange Pflanze gehäkelt

Ihren Anfang nahmen Saftiens öffentliche Aktionen in Stuttgart. Als sie 2002 in die Stadt zog, schreckte sie die Architektur ab – sie wollte dem vielen Grau etwas Grünes entgegensetzen. Sie entschied sich für die Umhäkelung eines Parkscheinautomaten – für die Künstlerin ein Symbol für das „Dosieren, Reglementieren und Bezahlen von Zeit“. Eine Erlaubnis beantragt Saftien für solche Aktionen nicht. „Aber ich achte darauf, dass die Automaten sich weiterhin benutzen lassen“, sagt sie.

Seit dieser ersten Aktion sind Saftiens Pflanzen weit über Stuttgart hinausgewachsen. Die Künstlerin hat Wollskulpturen in Berlin, Hamburg und New York ausgesetzt und sogar die Freitreppe eines Kreuzfahrtschiffes begrünt. „Auf der Fahrt nach Grönland haben die Reisenden die Pflanze dann weitergehäkelt“, erzählt Saftien. „Als wir wieder in Hamburg einliefen, war die Skulptur auf 64 Meter Länge gewachsen.“

Aus Jutta wird Yutta – weil ihr Schreibweise besser gefällt

Doch als „Lebenswerk“ sieht Yutta Saftien die Verbindung Europas und Asiens durch eine gehäkelte Skulptur an. Auch diese soll einer Schlingpflanze gleichen und sich an der 1,7 Kilometer langen Bosporus-Brücke im türkischen Istanbul entlangranken. Menschen aus aller Welt haben Saftien Teilstücke zugeschickt, die nur noch verbunden und über die Brückengeländer gelegt werden müssten.

Doch das Projekt stockt. „Es gilt als politisch heikel und widerspricht dem konservativen Kurs des türkischen Präsidenten Erdogan“, erklärt Saftien. Absurde Einwände kämen dazu: „Mein Nachname ist hugenottischen Ursprungs, doch Gegner des Kunstprojektes in Istanbul behaupten, ich hätte armenische Vorfahren“, erzählt die Künstlerin – denn armenische Nachnamen enden häufig auf -ian. Dennoch kämpft die 52-Jährige für ihr Projekt. Ihren Vornamen – der ursprünglich Jutta lautete – hat sie sogar in Yutta geändert, weil ihr die türkische Schreibweise besser gefiel.

Verärgert über den Vorwurf, eine „Häkeltante“ zu sein

Auch aus der Region Stuttgart haben viele bereits zur Häkelnadel gegriffen, um sich am Bosporus-Projekt zu beteiligen. So hat die Böblingerin Felizitas Schöwe zusammen mit Freundinnen Ranken, Blätter und Blüten für die Verbindung zwischen den Kontinenten gehäkelt. Susanne Sommermeyer aus dem Stuttgarter Stadtteil Kaltental hat sogar die Grundschulklasse ihres Sohnes für das Projekt gewonnen. Beide Frauen kamen am Wochenende auch in die Böblinger Galerie.

Häufig sieht sich Yutta Saftien mit dem Vorurteil konfrontiert, sie sei eine „Häkeltante“, die statt Kunst Handarbeit mache. Das ärgert sie. „Dabei hat beispielsweise auch die bekannte französische Künstlerin Louise Bourgeois mit Textilien gearbeitet“, sagt Saftien. Bourgeois ist vor allem für ihre riesigen Spinnenskulpturen aus Bronze bekannt. Künstler wie sie hätten längst bewiesen, dass man aus Fäden nicht nur Pullover machen könnte, findet Saftien - sondern selbstverständlich auch Kunst.