Unter dem Titel „100 Jahre Erster Weltkrieg-Schicksale zwischen Begeisterung und Katastrophe“ führen Schüler aus Straßburg, Feuerbach und dem russischen Samara ein internationales Projekt durch.

Feuerbach - Gorbi, Gorbi“, so schallt es an diesem heißen Sommertag, dem 14. Juni 1989, über den Stuttgarter Schlossplatz. Der „Wind des Wandels, the Wind of Change“, den die Rockgruppe Scorpions erst ein Jahr später besingt, weht da schon als laues Lüftchen durch die schwäbische Metropole. Zehntausende wollen Michael Gorbatschow und seine Frau Raissa sehen und grüßen. Willkommen Glasnost und Perestrojka. An diesem brütend heißen Junitag schmelzen in Stuttgart die alten Feindbilder des Kalten Krieges wie Eisblöcke dahin.

 

Russland derzeit auf der Sünderbank

Rainer Groh, damals Russischlehrer am Feuerbacher Leibniz-Gymnasium, steht mit fünf seiner Schüler beim Ehrenempfang im Marmorsaal in einer der ersten Reihen. Es gelingt ihm, Gorbatschows Hand zu schütteln. Er stellt ihm seine beste Russischschülerin vor. Es entwickelt sich ein Gespräch. Und heute? Wie würde ein Empfang, wenn er überhaupt zustande käme, für Wladimir Putin aussehen? Das Bild vom wütenden russischen Bären wird derzeit wieder aus der historischen Mottenkiste gezogen. Rainer Groh, inzwischen 73 Jahre alt, kann sich gut in die russische Seele hineinfühlen. „Russland sitzt derzeit auf der Sünderbank“, sagt er. Das aktuelle Beispiel liefert der Europarat in Straßburg, den er mit Schülern neulich besucht hat. Dort wurde der Delegation der Russischen Föderation ihr Stimmrecht bis Ende 2014 entzogen. Grund ist der Konflikt mit der Ukraine. Es sind die alten Reflexe.

Austauschprojekte für die Schüler

Groh will in seinem Bereich, obwohl er längst im Ruhestand ist, Gegengewichte setzen. Deshalb hat er zusammen mit anderen Lehrern und Schülern ein Austauschprojekt mit den Partnerschulen in Samara und Straßburg mitvorbereitet und organisiert. Ziel war, die Gemeinschaft der Leibniz-Schüler mit dem Samarer Gymnasium Nummer 4 und dem Lycée Louis Pasteur in Straßburg neu zu beleben. Mit Andreas Pickard, der am „Leibniz“ Deutsch und Latein unterrichtet, sowie mit etlichen Schülern aus den Klassenstufen 9 und 10 hat sich Groh mal wieder auf den Weg gemacht. „Der erste Teil des Projektes fand vom 17. bis 27. September in Stuttgart und Straßburg statt, mit einem Vorbereitungswochenende im Internationalen Forum Burg Liebenzell und Präsentationen im Stadtarchiv von Straßburg und im Großen Saal des Stuttgarter Rathauses“, berichtet er. Am Donnerstag, 3. Oktober, ging es dann mit dem Flieger via Frankfurt nach Samara.

Schicksale zwischen Begeisterung und Katastrophe

Ausgangspunkt der Aktivitäten war das gemeinsame Projekt über den hundertsen Jahrestag des Ersten Weltkrieges. Der urspüngliche Zusatz im Untertitel „Damals Feinde – heute Partner“ musste aufgrund der aktuellen politischen Situation zum Leidwesen aller gestrichen werden. So blieb als Titel übrig: „100 Jahre Erster Weltkrieg – Schicksale zwischen Begeisterung und Katastrophe – Wo stehen wir heute?“ Etwa ein Dutzend Schüler aus Samara, Straßburg und Feuerbach waren am Projekt beteiligt. „Die russische Kultur ist faszinierend“, sagt Betty Naizghi aus der Klasse 10 A des Leibniz-Gymnasiums nach Abschluss der Reisen. Sie hofft auf ein weiteres Zusammentreffen. Auch Moritz Pohlner aus der 9 B und ihr Klassenkamerad Julian Wörner ziehen ein positives Fazit: „Wir haben tolle und interessante Menschen kennengelernt, haben viel gesehen, viele historische Fakten und Details erarbeitet und sind viel herumgekommen.“ Teil des Projektes war auch, dass Schüler aus Feuerbach und Straßburg bei der Begegnung von Bundespräsident Joachim Gauck und Staatspräsident François Hollande auf dem Hartmannsweiler Kopf dabei waren. In Samara haben Schüler aller drei Gymnasien unter anderem den Stalinbunker gesehen. In Moskau besuchten sie den Roten Platz und diskutierten mit den dortigen Korrespondenten von ARD und ZDF über deren Arbeit und Berichterstattung aus Rußland.