Das Razzmatazz in Barcelona gilt als einer der besten Clubs der Welt. Unser Redakteur hat das überprüft - und eine Nacht durchgefeiert.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Barcelona - Der Abend hat mit einer Katastrophe begonnen und der Erkenntnis, dass Demütigung international ist. Es ist kein gutes Gefühl, als Streber der Nacht um 0.30 Uhr vor dem Club zu stehen, um ausgelacht zu werden, weil der Laden erst um 1 Uhr öffnet. Momentan sieht die Welt aber schon wieder ganz gut aus. Auf der Bühne des Clubs Razzmatazz in Barcelona spielt sich eine herrlich verstörende Gender-wechsle-dich-Show ab. Die kanadische Künstlerin Peaches ist wie immer adrett gekleidet: 26 Plastikbrüste um den Hals drapiert, läutet sie ein Varieté des gepflegten Irrsinns ein.

 

Die Provokation der Künstlerin, die in Berlin lebt und dort mittlerweile am liebsten im Hau 1 die Grenzen zwischen Theater und Pop sprengt, führt an Grenzen. Wenn sie mit ihren massiven Goldketten um den Hals eine Art Nacken-Hula-Hoop vollführt, das aussieht, als würde gleich ein Hund von seinem Halsband stranguliert, schüttelt es den Zuschauer vor lauter Fremdscham. Am Ende des Auftritts wird der Zustand produktiver Verstörung einfach mit Schampus weggespritzt. Es ist ja erst 4.30 Uhr morgens. Im Razzmatazz hat die Nacht gerade angefangen.

Großraumdiscothek – das muss keine Beleidigung sein

Das Razzmatazz ist eine Schaltzentrale der Nacht. Die Einrichtung gehört zu den besten Clubs der Welt. Benannt nach einer Single der englischen Band Pulp, bedeutet Razzmatazz auf Deutsch so etwas wie Rummel. Wobei Rummel eine höfliche Umschreibung für das ist, was sich dort abspielt. Der Begriff Großraumdiscothek steht im deutschen Sprachgebrauch mittlerweile für die unheilsame Allianz aus Kirmestechno, Industriegebiet oder flachem Land. Das Razzmatazz ist größer als jede deutsche Großraumdisco, größer als alle Stuttgarter Feierareale zusammen. Das Razzmatazz ist eine eigene Kleinstadt.

Ein Babylon der Nacht, weil ein herrliches Sprachengewirr zu hören ist, wenn man in der Schlange des Clubs ansteht. Hier ein bisschen Holländisch, da ein wenig Deutsch, vorne viel Englisch, hinten überraschender Weise eine Prise Spanisch. Der Club, der sich in einer alten Lagerhalle befindet, ist Sinnbild für die Europäisierung der Feierkultur, für eine Entwicklung, die in den Nuller-Jahren mit der Etablierung der Billigflieger angefangen hat. Seit man zu Taxipreisen fliegen kann, ist die europäische Feierszene weiter zusammengewachsen. Der Berliner Autor Tobias Rapp hat dieses Phänomen in seinem Buch „Lost and Sound. Berlin, Techno und der Easyjetset“ beschrieben. Rapp erzählt darin, wie Besucher aus Spanien, Israel oder England mit Billigfliegern wie Easyjet nach Berlin fliegen, um dort die Clubs zu besuchen.

„Der Easyjetraver ist das bestimmende Subjekt der europäischen Ausgehkultur. Er hat die europäische Clubgeografie gründlich durcheinandergebracht. Der Einzugsbereich des Nachtlebens hat sich auf den ganzen Kontinent erweitert“, sagt Rapp. In der elektronischen Musikszene hat der 23-jährige Stuttgarter heute mehr Gemeinsamkeiten mit einem gleichaltrigen Elektrofan aus London als mit einem Schlageranhänger aus dem Rheinland. Warum also nicht nach Barcelona fliegen, wenn Künstler XY nur dort spielt, auflegt oder sonst einen Rummel veranstaltet? Am Wochenende feiert das Razzmatazz seinen zwölften Geburtstag. Die Liste der Künstler, die zum Jubiläum aufspielen, ist illuster und spiegelt die ganze Bandbreite zeitgenössischer Popmusik wider. Boys Noize hat mit Dubstep die Technospielart mehrheitsfähig gemacht, die laut Kritikern klingt, als würde man Steine auf ein Faxgerät schmeißen. Die Scissor Sisters stehen für einen angenehm homosexuellen Glampop und Jeff Mills hat Techno in Detroit quasi erfunden.

Zum Zehn-Jahr-Jubiläum des Clubs erschien ein Buch, indem Auftritte von Blur, Oasis oder Kanye West dokumentiert wurden und Künstler wie Miss Kittin, Tiga oder Jake Shears von den Scissor Sisters überschwänglich dem „besten Club der Welt“ gratulieren. Wie aber wird man zum besten Club der Welt? Interviewtermin mit Geschäftsführer Daniel Faidella und Julio Ebrat, dem Pressechef des Clubs. „Wir treffe uns auf der Terrasse, da ist es ein wenig ruhiger“, schlägt Julio vor. Gute Idee, nur hat das Razzmatazz zwei Terrassen. Auf der Suche nach dem richtigen Außenbereich verläuft man sich dreimal und findet dabei mindestens zwei neue Floors, die man zuvor nicht gekannt hat.

Die Schuldenkrise hinterlässt auch hier ihre Spuren

Faidella und Ebrat sind zwei ganz unterschiedliche Charaktere. Ersterer ist ein 39-jähriger Geschäftsmann, der aber auch in einem Almodóvar-Film einen so schönen wie schrägen Nebendarsteller geben könnte. Ebrat ist dagegen wie ein begeisterter Junge, der seine Hobbys – Ausgehen, Indie-Musik und Cuba Libre – zu seinem Beruf machen konnte. Beide fallen zwischen den Gästen, die auf der Terrasse trinken, rauchen oder die bilaterale Völkerverständigung mittels ausgefeilter Körpersprache vertiefen, kaum auf. Dabei sind sie mitverantwortlich dafür, dass pro Jahr laut Faidella rund 100 000 Touristen das Razzmatazz besuchen, viele davon kommen extra wegen des Clubs übers Wochenende. „Im Juli und im August haben wir die meisten ausländischen Besucher“, erklärt Faidella. Freitags und samstags sind alle fünf Räume geöffnet, insgesamt bietet der Club rund 150 Konzerte und 200 DJ-Sets im Jahr.

In einer guten Nacht kommen 5000 Besucher in die Clubkleinstadt, in der 180 Menschen angestellt sind. Indirekt profitieren vom Razzmatazz noch ganz andere Berufsgruppen: Ab 2 Uhr steht die größte Taxiflotte Barcelonas in drei Reihen vor dem riesigen Gebäude. Der Club als Tourismus- und als Wirtschaftsfaktor: was Stuttgarter Politiker auf der Suche nach Sauberkeit und Sperrzeit noch nicht begriffen haben, formuliert der damalige Bürgermeister Jordi Hereu aus Sicht der Stadt Barcelona in einem Grußwort im Buch zum Zehn-Jahr-Jubiläum: „Das Razzmatazz hat entscheidend dazu beigetragen, Barcelona in den Bereichen Pop, Rock und Avantgarde zu einer der wichtigsten Städte Europas zu machen.“

Von der Politik sind beide Clubschaffenden dennoch enttäuscht: „Wir haben ein gutes Verhältnis zur Stadtverwaltung. Dennoch leidet der Kultursektor in Spanien derzeit unter den schlimmsten Sparmaßnahmen, gleichzeitig werden die Steuern für Clubs erhöht, und von keinem einzigen Politiker werden wir unterstützt.“ Ebrat nimmt einen tiefen Zug von seiner Zigarette und lobt seinen Arbeitgeber in den höchsten Tönen. „Mein kleiner Bruder ist Anfang 20, er hat keine Chance, einen Job zu finden. Manchmal denke ich, dass ich Teil der letzten Generation bin, die in Spanien überhaupt noch Arbeit gefunden hat.“ Der Club setzte die Preise herunter, um seine Veranstaltungen auch für ein spanisches Publikum erschwinglich zu gestalten.

Später erzählt Julio Ebrat von seinem besten Freund, der Architekt ist und jetzt nach Weimar zieht, weil er dort eine Stelle gefunden hat. Die Europäisierung ist zwischen enthemmten Holländern, Engländern und Skandinaviern zum Greifen nah. Julio betont mehrmals, dass er endlich nach Berlin will. Die Stadt wird unter Spaniern seiner Generation geradezu mystifiziert – auch und gerade wegen seiner Clubs. Daniel Faidella ordnet derweil seinen eigenen Club bei einem weiteren Longdrink in die Top fünf der besten Läden weltweit ein. Dabei ist das Fabric in London, noch so ein Moloch in Großraumdiscotheken-Dimension. Das obligatorische Berliner Berghain wird natürlich auch genannt, der schicke Rex Club in Paris, das Ushuaia auf Ibiza und schließlich das Sirena in Brasilien.

Langsam wird es hell. Zeit, ins Taxi zu steigen, auf dem Heimweg in ein kurzes Koma zu fallen und schon den nächsten Ausflug nach Paris zu planen. Faidella ist demnächst mal wieder im Rex Club, um zu recherchieren, was die Konkurrenz macht. Ob man sich nicht treffen wolle, um das Gespräch fortzuführen? Natürlich. Die nächste Nacht ist schließlich immer die beste.