Das in mancherlei Hinsicht größte Trickfilmfestival der Welt startet am Dienstag mit einem enormen Programm - und es ist wahrhaftig kein Randereignis mehr. Sechs Tage lang nimmt es den Schlossplatz und das Herz Stuttgarts in Besitz.

Stuttgart - Her mit dem Lorbeerkranz! Die Macher des Internationalen Trickfilmfestivals Stuttgart haben mit dem Schlossplatz vollbracht, was Julius Cäsar mit dem von weit weniger Verwaltungsvorschriften verteidigten Gallien einst nicht geschafft hatte: Sie haben ihn ganz erobert. Wenn das in mancherlei Hinsicht größte Trickfilmfestival der Welt am Dienstag sein enormes Programm abzuspulen beginnt, dann ist es wahrhaftig kein schönes Randereignis mehr, das die Stadt zwar ziert, aber nicht prägt. Es nimmt dann sechs Tage lang, bis zum Sonntag einschließlich, das Herz Stuttgarts in Besitz, das in der Ära der Bagger selten so zart und freundlich umfasst wird.

 

Zwar durfte das Festival schon seit einigen Jahren heraus aus den Kinosälen, anfangs nur mit ein paar Buden an den Rand des Schlossplatzes, dann mit seiner LED-Großbildwand für ein Open Air in die Mitte. Nun aber darf es auch die gegenüberliegende Seite des Schlossplatzes belegen, mit der Game Zone, wo Jung und Alt Computerspiele als fantasieanregende Bild- und Erlebniswelten erleben sollen.

Die letzten Vorbehalte sind geschwunden

Der räumliche Zugewinn ist überschaubar, das Symbol aber kann man gar nicht überschätzen. Dass das 21. Internationale Trickfilmfestival sich nun so präsentieren kann, das signalisiert: die letzten Vorbehalte sind geschwunden. Wobei ein mit dem Festival bislang nicht vertrauter Besucher beim Blick auf das vielfältige Programm wohl gar nicht glauben kann, dass es je Vorbehalte gegeben hat.

Auf dem Schlossplatz laufen schließlich tagsüber familientaugliche Kurzfilmprogramme als Schnupperangebot auch für Passanten. Abends gibt es dort ein Wiedersehen mit langen Animationsfilmen aus dem Kinoprogramm, mit der „Monster Uni“ etwa zum Auftakt und mit Disneys „Eiskönigin“, dem diesjährigen Oscar-Gewinner. In den Kinos Metropol und Gloria laufen im Wettbewerb AniMovie Langfilme, die noch keiner auf deutschen Leinwänden zu sehen bekam. Animationskurzfilme treten im Internationalen Wettbewerb gegeneinander an, die Reihe Young Animation präsentiert Nachwuchsarbeiten, die Wettbewerbe Tricks for Kids und Tricks for Teens zeigen Werke, die sich an jüngere Zuschauer richten.

Wem Wettbewerbsmixe zu kunterbunt sind, der kann sich in den Nebenreihen Länderschwerpunkten, Filmschulen oder bestimmten Studios widmen, auch der hiesigen Szene natürlich, oder die Filme der Jurymitglieder kennenlernen, die meist selbst ausgewiesene Animationsmeister sind, wie etwa Uri Kranot aus Israel, der Däne Jannik Hastrup, Rao Heidmets aus Estland und der Brite Paul Bush. Er kann, falls er zur Branche gehört, das Festival mit Angeboten wie dem Animation Production Day auch als Arbeitstreffen nutzen. Womit noch gar nichts über die vielen Sonderveranstaltungen gesagt ist, die Verleihung des Animationssprecherpreises im Renitenztheater am Donnerstag etwa oder der Galaabend für den Animated Com Award, den Preis im Bereich Werbung, im Mercedes-Benz-Museum am Freitag.

Vom Stammtisch zur Prestigeveranstaltung

Was also, wird sich der Neuling fragen, kann es angesichts dieses Programms – dessen Eröffnungsveranstaltung die Stuttgarter Zeitung am Dienstag von 20 bis 22 Uhr live im Netz überträgt – an Vorbehalten gegeben haben? Die Antwort führt zurück in die Historie des 1982 erstmals abgehaltenen Festivals.

Das war anfangs wirklich eine kleine Sache, eine Mischung aus Stammtisch und Schulausflug. Ein paar Animationsfilmfreude, ein Kunstprofessor namens Albrecht Ade und dessen Studenten, die sich im Lauf ihrer Ausbildung an Bewegtbildern erproben durften, schauten sich da Trickfilme jenseits des TV-Kinderprogramms an.

Als dieses zunächst nur alle zwei Jahre abgehaltene Festival allmählich wuchs, schien es vielen doch eine liebenswert-spinnerte Insiderveranstaltung zu bleiben, die vor allem Albrecht Ades Unterricht flankieren sollte. Dieser Verdacht wurde um so stärker, als Ade Gründungsdirektor der Filmakademie in Ludwigsburg wurde und einige Stuttgarter Lokalpolitiker im Festival vor allem die auf Stuttgarter Förderung pochende Prestigeveranstaltung einer Ludwigsburger Einrichtung sehen wollten.

Solch simplen Wahrnehmungen konnte das Festival zwar mit einem starken Kunstanspruch begegnen. Es präsentierte etwa die subtil oppositionelle Trickfilmkunst aus Osteuropa. Aber einerseits geriet es damit in den Ruch des etwas Elitären, andererseits begann in der Medienwelt ein rapider Wandel. Nicht nur änderten sich in Osteuropa radikal die Produktionsbedingungen, global expandierten die Animationsmärkte und –begriffe. Das US-Studio Pixar, um nur ein Phänomen zu nennen, mischte mit Computeranimationshits wie „Toy Story“ alte Definitionen von Kunst und Kommerz gründlich auf.

Flügelkämpfe hinter den Kulissen

Das Internationale Trickfilmfestival Stuttgart musste sich wandeln und kritisieren lassen. Den einen schien es zu schnell künstlerische Werte aufzugeben, den anderen leider auf verschrobene Kunstseligkeit festgelegt und daher unfähig, ein Motor der Standortentwicklung zu werden. Diese Debatten haben sich im Nachhinein nicht nur als unausweichlich, sondern als produktiv erwiesen. Aber draußen blieb eben hie und da hängen, dass hier zwar viele Filme liefen, aber so richtig solide, mit Daseinszweck und Unentbehrlichkeit gesegnet sei dieses Festival nicht: Schon morgen könne alles vorbei sein.

Das war aber stets ein groteskes Missverständnis der Flügelkämpfe hinter den Kulissen. Nur mit ständiger Hinterfragung der eigenen Pläne und Möglichkeiten statt mit einem sturen Zehnjahresplan konnte das mittlerweile jährlich stattfindende Großereignis die Gegensätze vereinen: Kunstwettbewerb, Publikumsevent und Branchentreff. Dass Stuttgart dabei nicht von allem ein bisschen bietet, sondern eine in der Fachwelt einzigartige Mischung, dazu hat ganz erheblich die fmx beigetragen, die Fachkonferenz für digitale Bilderzeugung, die auch in diesem Jahr parallel zum Trickfilmfestival stattfindet.

Folglich ist nun auch – die Schlossplatznutzung beweist es – bei allen angekommen, dass das größte Kulturhappening der Region den Menschen Freude schenkt, der Medienindustrie Vorteile bringt und sich als Besonderheit touristisch verwerten lässt. In dieser friedlichen Variante eines von lustigen Römern besetzten Galliens kann nächste Woche also nur Gutes passieren. Nicht einmal der Himmel wird es wagen, uns auf den Kopf zu fallen.

Der offizielle Trailer des diesjährigen Trickfilmfestivals: