Großer Drang nach Datensicherheit: die erste Cryptoparty der Piraten in Stuttgart ist gut besucht.

Stuttgart - Wasser, Strom und Wlan – die Teilnehmer haben alles, was sie brauchen. Eigentlich kann es losgehen. Während draußen die Sonne mit fast 30 Grad auf den Asphalt brennt, drängen sich in der Zentrale der Piratenpartei Stuttgart etwa 50 Leute mit ihren Laptops. Weil die Stühle nicht reichen, bringen Helfer leere Getränkekisten von Club Mate, dem Szenegetränk, das lange wachhält. Die Besucher, fast nur Männer, sind Teilnehmer der ersten offiziellen Cryptoparty in Stuttgart. Sie wollen lernen, wie man in Zeiten der Datenschnüffelei im Netz anonym und sicher kommunizieren kann.

 

Wolf Weidner aus Heidelberg, 22 Jahre, schwarze Jeans, Piraten-Shirt, weiß nicht, ob er mit seinem Vortrag schon loslegen kann. Im Vorraum wuseln die Helfer noch hektisch hin und her. Offenbar seien die Anmeldungen „ein bisschen zu großzügig angenommen worden“, sagt er mit einem verschmitzten Lächeln. Der Live-Stream in den Vorraum klappt noch nicht, dafür gibt es dort eine Powerpoint-Präsentation. Dann begrüßt Weidner alle im „Neuland Internet“. „Ich fühle mich da heimisch, aber auch Migranten sind willkommen.“

Es geht ihnen ums Prinzip

Weidner bezeichnet sich selbst als „Aluhut“, früher eine Bezeichnung für Verschwörungstheoretiker, die sich damit gegen „Gedankenkontrollstrahlen“ schützen wollten, heute ein Synonym für Programmierer, die möglichst unerkannt im Netz unterwegs sind. Auf der Cryptoparty soll jeder lernen, wie er seinen eigenen virtuellen Aluhut bastelt, wie er sich vor Geheimdiensten, Polizei und Hackern schützen kann. Die Verschlüsselungsprogramme heißen Truecrypt, Enigmail oder PGP.

Für Frank Miskar ist das kein Neuland. Der 63-Jährige beschäftigt sich seit 20 Jahren mit Datenverschlüsselung, jetzt will er auch seine privaten Mails schützen. „Ich verschicke alle meine Briefe zugeklebt und jetzt eben auch meine Mails“, sagt er. Er habe nichts zu verbergen, doch ihm gehe es ums Prinzip. Unter den Teilnehmern fällt sein Alter nicht weiter auf – etwa die Hälfte ist 50 und älter. Die Zahl seiner Passwörter gehe „in den dreistelligen Bereich“, schätzt Miskar. Die hat er nicht alle im Kopf, sondern „in einem Notizbuch im Tresor“. Gegenüber der digitalen Welt sei eben Misstrauen angesagt, sagt er.

Eine andere Teilnehmerin, die anonym bleiben möchte, sagt, sie fühle sich „schon seit Jahren unwohl im Netz“. Als ein Helfer der Piratenpartei Fotos vom Plenum machen will, reagieren einige Teilnehmer allergisch. „Ich dachte, hier geht es um Datenschutz, da sind Fotos ja wohl fehl am Platz“, entfährt es einem Mann in der ersten Reihe.

Viele Fragen zur NSA

Während einige Teilnehmer noch damit kämpfen, ihr Wlan einzurichten und dem verschlüsselten Chat-Raum beizutreten, beschreibt der Referent Weidner den Weg eines Datenpakets, erzählt von Datenpannen bei Facebook, vom Frankfurter Internetknoten und vom U-Boot der USA, das Glasfaserkabel im Meer anzapft. „Vor einem Jahr hätten mich alle als Verschwörungstheoretiker abgetan, aber jetzt gilt das ja alles als gesichert.“ Edward Snowden hat es möglich gemacht. Auch an diesem Nachmittag fragen viele nach der NSA und ob denn die Verschlüsselungskniffe gegen sie helfen.

Aber das ist gar nicht der Anspruch Weidners. Gegen die NSA brauche man schon „schwerere Geschütze“, sagt er. Heute gehe es darum, überhaupt für sichere Kommunikation im Netz zu sensibilisieren und das Thema in den Köpfen der Bevölkerung zu verankern. Wenn beispielsweise mehr Leute mit dem Tor-Netzwerk surften, würde es darin automatisch sicherer, so Weidner. Seine Botschaft: „Sorgt dafür, dass möglichst viele verschlüsselte Daten rumfahren, damit die NSA versucht, euer Kochrezept zu knacken – und andere Daten, die den Schutz wirklich brauchen, durchkommen.“