Dass Chinas Behörden ein nahezu perfektes System der Überwachung etabliert haben, ist bekannt. Doch jetzt haben erstmals Wissenschaftler untersucht wie die Zensur funktioniert. Sie kamen zu überraschenden Ergebnissen.

Leben: Ricarda Stiller (rst)

Stuttgart - Wenn in Deutschland jemand twittern würde, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Currywurst in Berlin gegessen hat, würden die Imbissbuden vielleicht ein paar Currywürste mehr verkaufen. Vermutlich aus dem simplen Grund, dass beim Lesen des Tweets der Appetit auf Currywurst angeregt wurde. Eine Sensation wäre die Nachricht kaum, weder aus kulinarischer noch aus politischer Sicht, geschweige denn, dass jemand auf die Idee käme, der Tweet müsse womöglich zensiert werden.

 

Anders sieht dies in China aus. Es ist bekannt, dass in China zahlreiche Filter und Zehntausende von Zensoren damit beschäftigt sind, unliebsame Kommentare aus dem Internet herauszufischen und die Veröffentlichung gegebenenfalls zu verhindern. Eine groß angelegte Studie der Universität von Kalifornien in San Diego sowie der Harvard-Universität in Cambridge (Massachusetts), die jetzt in der Fachzeitschrift „Science“ erscheint, hat die verschiedenen Zensurmethoden und automatische Filter in China in der Praxis untersucht. Dazu haben die Wissenschaftler sogar ein eigenes Internetportal betrieben. Außerdem haben sie zu bestimmten Themen jeweils Kommentare geschrieben. Mal auf Linie der Regierung, mal genau dagegen. So konnten sie herausfinden, welche Themen derart von Bedeutung sind, dass sie vor der Veröffentlichung in jedem Fall überprüft wurden. Sie fanden heraus, dass Beiträge, die auf öffentliche Protestaktionen Bezug nehmen, am häufigsten zensiert und gelöscht werden. Anders verhält es sich mit allgemeiner Kritik an der Führung in Peking. Sie wird auch zensiert, aber nicht so häufig. Offenbar, so die Forscher, nutzt Peking solche Beiträge als Ventil und als Gradmesser für die Stimmung im Land.

Zu den brisanten Themen gehört wohl auch der Speiseplan von Staatspräsident Xi Jinping. Die Nachricht, dass Xi „steamed buns“ gegessen hat – eine Art gedämpftes Brötchen, das in China häufig auf der Straße verkauft wird –, geriet gleich aus zweierlei Gründen ins Visier der Zensoren. Zum einen natürlich, weil es sich um den Staatschef handelt, zum anderen, weil es in China üblich ist, dass alle Chefs dem obersten Chef folgen – selbst wenn es nur das Essen von Dampfbrötchen ist.