Wenn ein Regime keine Journalisten ins Land lässt, wächst die Bedeutung sozialer Netzwerke. Wie ein US-Blogger alle täuschte.  

Edinburgh - Die gute Nachricht ist, dass der Betrug aufgeflogen ist. Das Netz hat mit der Enttarnung seine Selbstreinigungskräfte bewiesen. So sieht das der Netzaktivist Markus Beckedahl, der das Blog Netzpolitik.org. betreibt. Die schlechte Nachricht hingegen ist, dass sich "Redaktionen nun länger überlegen, ob sie über anonyme Blogger und Dissidenten in totalitären Systemen berichten", sagt der Internetexperte. Der US-Amerikaner, der in Person einer fiktiven lesbischen Syrerin zum Kronzeugen der brutalen Unterdrückung des Assad-Regimes geworden ist, habe mit seinem Tun den totalitären Herrschern in die Hände gespielt, so der Netzexperte.

 

Denn über Wochen hing die Welt an den Lippen dieser fiktiven lesbischen Bloggerin aus Syrien. Zeitungen, Fernsehen und Internet berichteten über sie. Geboren wurde die unerschrockene 35-jährige Amina Abdallah Araf al-Omari nach eigenen Angaben als Tochter einer amerikanischen Mutter und eines syrischen Vaters im beschaulichen Virginia. Als junge Frau zog die syrisch-amerikanische Doppelstaatsbürgerin dann angeblich in den Nahen Osten, wo sie als Englischlehrerin lebte. Im Februar ging sie mit ihrem Blog "A Gay Girl in Damascus" online, plauderte über ihr Liebes- und Glaubensleben sowie ihre Sehnsucht, den Sturz des Baath-Regimes mitzuerleben. "Heute oder morgen mag der letzte Tag sein für mich - oder der erste eines neuen Syriens. Ben Ali ist weg, Mubarak ist weg, Saleh soll angeblich auch weg sein. Assad hat nicht viel länger, und ich bereite mich vor, ihn gehen zu sehen", war da zu lesen. Mittlerweile ist die Seite nur noch im Google-Cache zu sehen.

Seit vier Jahren im Netz

Inzwischen ist klar, die mutige Bloggerin ist ein Digitalgespenst, die Erfindung eines 40 Jahre alten, verheirateten, bärtigen amerikanischen Langzeitstudenten, der im schottischen Edinburgh an seinem Examen bastelt. Anfang der Woche räumte Tom MacMaster den Betrug ein. Vor vier Jahren hatte er Amira Arafs Autobiografie ins Netz gestellt - eine junge lesbische Frau, die intensiv in Chatrooms mitmischte. Im Februar formte er sie dann per Blog zur Aktivistin im Kampf für Demokratie um.

Der Schwindel flog auf, als die angebliche Cousine Rania Ismail detailliert von der Verhaftung Amiras berichtete und damit die Medien in Alarm versetzte. Bald jedoch stellte sich heraus, dass ihr Foto von der Facebook-Seite einer in London lebenden Kroatin geklaut war. Die IP-Adresse ihres Computers, eine Art virtuelle Postleitzahl, deutete nicht nach Damaskus, sondern nach Edinburgh. Die Suche der US-Behörden nach ihren Eltern endete im Nichts. Langjährige Webfreundinnen räumten nun ein, dass sie nie persönlich Kontakt hatten. 

Tabuthemen sorgen für Aufmerksamkeit.

Dabei wäre das arabische Internetgeschöpf wohl längst in den digitalen Müllhalden des World Wide Web verschwunden, wäre es nicht so passgenau auf westliche Orientklischees vom arabischen Frühling zugeschnitten gewesen. "Wir wollen alle Aspekte unserer Gesellschaften revolutionieren, nicht nur wie unsere Staaten regiert werden, auch die Rolle der Frauen, das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und - natürlich - das Recht zu heiraten, wen wir lieben", gab die vermeintliche Amina Araf als ihr virtuelles Kredo aus. "Brutal ehrlich und Themen aufspießend, die in der arabischen Kultur lange als Tabu galten", schallte es aus Zeitungen wie dem Londoner "Guardian" zurück. 

Der Betrug wirft damit die zentrale Frage nach der Rolle und Zuverlässigkeit der sozialen Medien auf - Blogs, Tweets oder Facebook, die in Zeiten staatlicher Nachrichtenblockaden wochenlang zu Standardquellen der Berichterstattung werden können. Seit drei Monaten dürfen in Syrien keine ausländischen Journalisten mehr einreisen, Internet und Telefone werden gestört. Nach außen dringen einzig die Staatspropaganda des Regimes sowie ein Rinnsal von Amateurvideos zusammen mit Angaben von anonymen Augenzeugen oder Flüchtlingen. Anders als in Ägypten und Tunesien, wo viele Blogger sich unter ihrem Klarnamen äußerten, traut sich das in Syrien niemand. Dennoch hängen Meldungen von den Informationen aus dem Inneren des Landes ab, die sich in der Regel nicht vor Ort überprüfen lassen.

Betrüger räumt Fehler ein

Fälscher Tom MacMaster scheint inzwischen verstanden zu haben, welchen Schaden er angerichtet hat. Kleinlaut schrieb er: "Ich habe die Aufmerksamkeit der Welt abgelenkt von wichtigen Anliegen tatsächlicher Menschen an tatsächlichen Orten. Und ich habe dazu beigetragen, den Lügen des Regimes zu mehr Glaubwürdigkeit zu verhelfen. Dafür entschuldige ich mich."

Markus Beckedahl rät im Umgang mit Nachrichtenquellen im Internet zur Rückbesinnung auf die klassischen journalistischen Tugenden: die Quellen auf ihre Verlässlichkeit zu prüfen. Auch wenn das auf Kosten einer schnellen Geschichte gehe.

Spurensuche im Cyberspace.

IP-Adresse

Jeder Computer ist im Internet durch eine Internet-Protokoll-Adresse (IP-Adresse) repräsentiert. Private Surfer bekommen bei Bedarf eine Adresse von ihrem Provider. Firmen benutzen feste Adressen, die als Zahl oder als damit verbundener Klarname eingegeben werden kann. So entspricht der Name www.stuttgarter- zeitung.de der Adresse 195.191.42.126.

Whois

Viele Dienste im Internet, deren Name das Kunstwort Whois (englisch: Wer ist...) enthalten, klären auf, wer hinter Name oder Nummer steckt, so etwa www.whois. net oder www.coolwhois. com. Dort erfährt man meist auch Namen und Adresse des Eigentümers.

E-Mail

Die IP-Adresse eines Bloggers erfährt der normale Leser zwar nicht. Schreibt der Blogger, wie der Erfinder der Amina A., aber eine E-Mail, so kann er sich damit verraten. Im Kopf einer E-Mail, den das Mailprogramm meist verbirgt, steht die Adresse jeder Station, die die Mail weitergereicht hat, bis zurück zum wahren Absender.