Alibaba ist das größte Internetkaufhaus der Welt. Kaum ein Chinese, der nicht auf dessen Handelsplattform Taobao (Schatzsuche) einkauft. Chef des Unternehmens ist Jack Ma – ein 1,50 Meter kleiner, der gefeiert wird wie ein Rockstar.

Korrespondenten: Inna Hartwich

Peking - Leise huscht Jack Ma die Treppen hinauf. Vorsichtig lässt er sich auf den Stuhl fallen, lehnt sich zurück. „Verstehen Sie etwas von Technik? Sehen Sie, ich auch nicht. Null. Ich kann am Rechner gerade mal E-Mails verschicken.“ Der Chef des chinesischen Internetkaufhauses Alibaba klingt ein wenig stolz. Da hat er sie wieder, die Menschen, ihre Aufmerksamkeit, hat sie gefangen, neugierig gemacht, Chinesen wie Westler, bei Fernsehinterviews, auf Konferenzen oder wie gerade eben erst bei der Roadshow quer durch die USA, auf der Suche nach Investoren – für seinen bislang größten Coup, den Börsengang von Alibaba.

 

Wenn Jack Ma Englisch spricht, tut er das bedacht, im Chinesischen wird er lauter und gestikuliert. Wie kann so einer, der von Internettechnologien keine Ahnung hat, der bereits in der Schule die technischen Fächer scheute, wie kann er der Herrscher von E-Commerce schlechthin werden? Der Gründer des Imperiums Alibaba, das alles verkauft, was Chinas Fabriken nur so herstellen? Jack Ma kann das. Ein smarter Chinese, der eigentlich Ma Yun heißt, sich für ausländische Ohren lieber Jack Ma nennt und mit seinen bald 50 Jahren immer noch wie ein Jugendlicher wirkt, auf der Suche nach sich selbst. Das aber täuscht. Der gerade einmal 1,50 Meter kleine Mann ist in China ein ganz Großer, er wird gefeiert wie ein Rockstar – und benimmt sich auch oft nicht anders, nur eben auf seine eigene exzentrische Art, von asiatischer Kampfkunst und chinesischem Führungsstil durchsetzt.

Das größte Internetkaufhaus der Welt

Alibaba ist das größte Internetkaufhaus der Welt. Kaum ein Chinese, der nicht auf dessen Handelsplattform Taobao (Schatzsuche) einkauft, ob am Schreibtisch im Büro oder in der U-Bahn per Smartphone. In so manchen Laden gehen die Menschen im Land nur noch deshalb hin, um die Sachen anzuschauen, Kleider und Schuhe Probe zu tragen oder das Gewicht der Bratpfanne zu überprüfen. Gekauft aber wird über Taobao, es ist billiger als im Geschäft, und es wird schnell angeliefert. Taobao hat alles, Flachbildschirme, Ananaskekse, Babyjeans, Wasserschläuche, Plastik-Essstäbchen. Anders als Ebay verlangt Alibaba keine Provision. Das Geld kommt über Online-Werbung hinein. Anders als Amazon verkauft Alibaba die Waren nicht selbst, sondern bietet lediglich eine Plattform für Händler und Kunden an. Mit dem Mikroblogging-Dienst Weibo etabliert Alibaba das, was die Kommunistische Partei mit Twitter aus dem Land ausgesperrt hat. Mit Alipay gibt es ein eigenes Bezahlsystem, mit Aliexpress erobert der chinesische Konzern seit April 2010 auch Märkte außerhalb Chinas, auf Englisch, Russisch und Portugiesisch. Alibaba produziert Filme und Musik und steigt in jedes Geschäft ein, das Erfolg wie Geld verspricht. Analysten schätzen den Wert des gesamten Alibaba-Konzerns derzeit auf 163 Milliarden Dollar (rund 126 Milliarden Euro).

Gemessen am Umsatzvolumen ist das chinesische Internetkönigreich doppelt so groß wie Amazon und dreimal so groß wie Ebay. Allein im vergangenen Quartal stieg der Umsatz um 46 Prozent. „Ebay ist ein Hai im Ozean, Alibaba ist ein Krokodil im Jangtse. Wenn wir im Meer schwimmen, verlieren wir, aber im Fluss gewinnen wir“, sagte Jack Ma einst. Den Fluss hat er längst erobert. Mas Vermögen wird auf bis zu zwölf Milliarden Dollar geschätzt. Nun wagt sich das Krokodil ins Meer hinaus. Der Börsengang in New York wird möglicherweise die größte Neuemission der IT-Geschichte werden. Beobachter gehen davon aus, dass Alibaba – der Konzern beherrscht heute 85 Prozent des chinesischen Online-Handels – in der ersten Runde zwischen 20 bis 24 Milliarden Dollar einsammeln könnte und damit auch das US-Unternehmen Facebook übertrifft, das sich vor zwei Jahren an die Börse wagte.

Alibaba lebt von Legenden und von einer sehr speziellen Firmenkultur. Darin unterscheidet sich das chinesische Unternehmen wohl kaum von westlichen Internetfirmen. Den Gründungsmythos wiederholt Jack Ma gern: Im Jahre 1995 habe er sich auf eine Reise nach Amerika aufgemacht und bis dahin nie eine Tastatur berührt. In Amerika geht er zum ersten Mal ins Internet, gibt die Worte „Bier“ und „China“ ein. Nichts. Doch er ist infiziert – und will auch in seinem Heimatland Freunde, Bekannte, Kollegen mit diesem Virus anstecken. Leicht ist es nicht. Ma war oft in seinem Leben gescheitert. Mitten in der Kulturrevolution kam er als Kind von Schaustellern in Hangzhou, in der Nähe von Shanghai, zur Welt. Seine Eltern gaben ihm den Namen Yun, die Wolke.

22.000 „Ali-Menschen“

Bereits in der Schule interessiert er sich für die englische Sprache. Für viel mehr aber auch nicht. Er heftet sich an die Fersen der damals noch wenigen ausländischen Touristen, lauscht den fremden englischen Tönen. Bei der Aufnahme an eine Universität scheitert er gleich zweimal, strandet am Lehrerseminar in Hangzhou, unterrichtet später Englisch an der Elektro-Ingenieur-Uni seiner Heimatstadt und arbeitet als Übersetzer – bis zur besagten Reise in die USA. Sie verändert sein Leben, sie krempelt auch den Handel in China um.

Heute schmückt eine schicke Konzernzentrale das hübsche Hangzhou und beschäftigt Ma 22 000 Mitarbeiter. „Aliren“ nennen sich sich, Ali-Menschen. Sie geben sich Namen von Kung-Fu-Helden, tragen manchmal seltsame Hüte und rennen mit Spielzeugschwertern durch die Flure. Auch Ma verkleidet sich gern, er schminkt sich die Lippen und tritt als Schneewittchen bei Firmenfesten auf. Manchmal traut er auch schon mal seine heiratswilligen Angestellten in einer Massenhochzeit. Viele Chinesen beten ihn an, weil er es ohne Parteikarriere ganz nach oben geschafft hat. Dass er bereits mehrfach Verständnis für das Tiananmen-Massaker von 1989 zeigte und die Internetzensur der KP billigt, fällt bei dem Erfolg offenbar kaum ins Gewicht.

Vor Kurzem hat Ma seinen Vorstandsposten aufgegeben, er will Platz machen für die Jüngeren. Seiner Verehrung tat der Schritt keinen Abbruch. Loyalität ist das, was bei Alibaba zählt. Kenner berichten von einem geradezu militärischen Stil, es gehe zu wie in einer Kaserne. „In den Sitzungen schreien sich alle an, wer nicht mit einem roten Kopf und heiserer Stimme da rauskommt, der hat etwas nicht verstanden“, erzählt einer, der bei Alibaba gearbeitet hat. Ma selbst sagte in einem Interview: „Manches kann ich schon ertragen. Wenn ich die Entscheidung eines Mitarbeiters falsch und dumm finde, ändere ich sie.“

Ein Unternehmen wie die KP in den Anfangsjahren

Wer die Methoden nicht akzeptiert, der fliegt. So wie der Taobao-Chef, den der Firmengründer kurzerhand entließ. Der Topmanager soll vor Ma geweint haben. Der Nationalheld hat kein Verständnis für solche Gefühlsausbrüche. „Feng Qingyang“ nennt sich Ma auf seiner Visitenkarte. Es ist ein Name aus der Kampfkunst-Novelle „Der lächelnde, stolze Wanderer“. Ein mutiger Schwertkämpfer soll die Figur gewesen sein, sie steht für die Macht eines Windes, der alles Böse austreibt. Das chinesische Wort „feng“ kann, etwas anders geschrieben, auch „irre“ bedeuten oder „absolut perfekt“. Es ist genau das, wie Freunde und Feinde von Alibaba Jack Ma kennzeichnen. Manche vergleichen das Unternehmen auch mit der KP in den Anfangsjahren. „Genau so wie Alibaba jetzt hat die Partei früher daran geglaubt, ein neues und besseres China zu schaffen, es war eine Art Religion für sie“, schreibt Li Zhihui in einem Buch über den Internet-Handelsriesen. Jack Ma sagte im Fernsehen: „Unser Erfolg ist mein Glück, in der richtigen Zeit das Internet entdeckt und viel zugehört zu haben. Ich war bereit zu lernen.“

18 Freunde waren sie, als 1999 alibaba.com online ging. Heute nutzen 600 Millionen Chinesen das Internet, überall, auf der Straße, im Restaurant, auf der Toilette. Sie sind begeistert von den Möglichkeiten, vor allem von den Möglichkeiten des Internetkonsums. Vieles andere lässt die Partei ohnehin sperren.

Die Internetbranche ist derzeit der wertmäßig größte Wirtschaftsfaktor in China. Der Staat arbeitet am Ausbau. So steigt die Zahl derer, die Zugang zum Netz haben, und steigt auch die Zahl derer, die dort ihr Geld ausgeben. Bei Alibaba zum Beispiel. „Ich habe einen Traum: Das Leben der Chinesen soll einfacher werden“, sagt Ma immer wieder und trifft sich auch hier gut mit der Ideologie der Partei. „Zhongguo meng“, nennt sie das, „chinesischer Traum“. Ein Traum von der Wiedergeburt einer starken und reichen Nation. Jack Ma verkörpert mit seinem großen Ego und seiner unerschöpflichen Begeisterung genau diese Vision.