Die re:publica in Berlin bietet ernsthaften Stoff, technische Pionierleistungen und viel Liebe für Donald Trump.

Berlin - Er trägt zum blauen Sakko eine rote Krawatte, seine Haare sind auf unverwechselbare Art zu einer Tolle zur Seite gekämmt. Doch irgendetwas an seinem Lächeln stimmt nicht mit der Wirklichkeit überein. Das Lächeln ist offen, beinahe einnehmend – es fehlt ihm dieses zähnefletschend Wölfische des Originals. Voilà: Donald Trump ist zu Gast auf dem Internetkongress re:publica in Berlin. Über seinem Wiedergänger aus Plastik und Stoff steht die Aufforderung: „Hugs, not hate!“ Übersetzt: Umarmen, nicht hassen! Und so kommt es auch: Schon bevor die erste Rede auf der re:publica gehalten worden ist, haben Dutzende von Besuchern das getan, was sie sich vorher nie hätten träumen lassen: Sie haben Donald Trump umarmt.

 

Wie passend: im elften Jahr ihres Bestehens hat sich die re:publica das Motto „Love out loud“ gegeben. Sie will ein Zeichen der Liebe und des gesellschaftlichen Zusammenhalts in einer Zeit geben, in der Hasspredigten im Netz kursieren, Fake News die Wahrheit verseuchen, und viele von denen, die sich als Netzgemeinde verstehen, ein ungutes Bauchgefühl haben. Das Internet war auch schon mal netter. Knapp 8000 Besucher sind dieses Jahr in einen alten Postbahnhof in Kreuzberg gekommen, rund 950 Sprecherinnen und Sprecher stehen bis Mittwoch auf den Bühnen. Sie reden über Datenschutz, über künstliche Intelligenz bei der Produktion von Hollywood-Blockbustern, über Meinungsfreiheit von Bloggern in der Türkei und darüber, wie wir künftig arbeiten werden.

Und sie sprechen auch darüber, wie viel Naivität sich die Internetnutzer künftig leisten sollten. Ingo Dachwitz nähert sich dieser Frage. Dachwitz, Mitglied des Vereins Digitale Gesellschaft, zeichnet in seinem Vortrag das Bild eines Internetsurfers, der zwar in den meisten Fällen weiß, dass Firmen seine Daten nutzen. Der aber keine Ahnung davon hat, in welchen Dimensionen das geschieht. Von den meistbesuchten Webseiten in Deutschland geben 90 Prozent Nutzerdaten an Dritte weiter, die daraus Profit schlagen. Google, so eine Studie, profitiere zu 78 Prozent davon, Facebook zu 32 Prozent. Wer sich auf Webseiten über seine gesundheitlichen Probleme informiert, geht ein hohes Risiko ein: Sie leiten besonders oft Daten an interessierte Unternehmen weiter.

Datenschutz aus der Graswurzelperspektive

Dachwitz erzählt von der EU-Kommission, die derzeit an einer Verordnung arbeitet, die den Schutz von Daten bei der elektronischen Kommunikation festlegt. Auf den ersten Blick mag diese E-Privacy-Verordnung sperrig klingen. Dabei legt sie fest, wer künftig im Big Business mit den persönlichen Daten der Menschen das Heft in der Hand behält: Die Konzerne oder die Verbraucher. Es gehört zur Grundüberzeugung der re:publica-Macher, dass sie den Datenschutz von unten aus der Graswurzelperspektive betrachten.

Es quietscht und ächzt über der Gewölbedecke des Klinkersteinbaus, in dem Ingo Dachwitz spricht. Eine U-Bahn quält sich aus der Station Gleisdreieck, der Vortrag ist vorbei, „harter Stoff“, murmelt ein Mann mit Baseballkappe und Trainingsanzug – einer Art Businessanzug für Internetaktivisten. Alles strebt hinaus in den Innenhof, man trinkt Mate-Tee oder ein frühes Craft-Bier – es wird geredet und gelacht. Auf der re:publica sind alle zu Hause: diejenigen, die mit gekrümmtem Rücken auf ihre Smartphones starren und sich die Welt mit Wischbewegungen erschließen. Die inzwischen ergrauten Netzpioniere der ersten Stunden, die Kappen- und die Anzugträger. Weil das Digitale inzwischen alle Bereiche der Gesellschaft durchdringt, treffen sich in Kreuzberg neben vielen Jungen auch Ältere.

Auf der re:publica polieren viele Firmen ihr Image. Google zeigt eine bunt bepflanzte Bürolandschaft, IBM stellt seinen Supercomputer Watson vor, und auch Daimler gibt sich cool: In einer runden Sitzlandschaft stellt das Unternehmen seine Zusammenarbeit mit Startups vor. Die Besucher sind umgeben von einer 360 Grad-Leinwand, über die abwechselnd Ufos und Roboter tanzen. Dann erklärt ein Daimler-Mann, wie sich Stuttgart mit dem Geist des Silicon Valley neu erfinden will. Wenn sich ein Startup-Unternehmen um Geld und Unterstützung bewirbt, hört sich das bei ihm so an: „Da sind die Startups auf dem Dancefloor, da brennt in dieser Scouting-Phase die Luft.“ Am Ende gehe es darum, „die besten Brains“ für sich zu gewinnen.

„Wir müssen Solidarität im Netz zeigen“

Solchen „Brains“ – klugen Menschen also – muss auch die Sache mit dem Kölner Dom eingefallen sein. Der Westdeutsche Rundfunk (WDR) zeigt auf der re:publica den Dom als Teil einer virtuell erlebbaren Welt. Wer die Virtual-Reality-Brille aufsetzt, dem wird der Boden unter den Füßen entzogen – der schwebt plötzlich meterhoch über dem Altar, wandert mit seinen Augen durch die Kirche, während sich sein Körper vermeintlich mitzudrehen scheint. Wo sonst ein Mausklick auf einem gewöhnlichen Computer einen menschlichen Befehl ausführt, sorgen nun allein menschliche Blicke dafür, dass sich der eben noch taghelle Dom verdunkelt. Plötzlich sitzt man vermeintlich unmittelbar neben dem Organisten, sieht ihm beim Spiel direkt auf die Finger, vor allem aber hört man ihn.

Wer die Brille wieder absetzt, sieht andere, die ebenfalls einen vorübergehenden Wirklichkeitsverlust erleiden. Am Google-Stand blicken Brillenträger verzückt in eine Welt, die nur sie sehen, und, hoppla, da biegt die Plüschmaus aus dem Kinderfernsehen etwas zu rasant um die Ecke. Auch sie trägt dieses Teil auf der Nase, das die menschlichen Sinne erweitert. Frei nach James Bond: eine Wirklichkeit ist nicht genug.

Der erste Tag der re:publica neigt sich dem Ende entgegen, der Kopf schwirrt, obwohl der Auftritt von Sascha Lobo, dem Mann mit den starken Internet-Thesen, erst noch bevorsteht. Leichten und harten Stoff bietet diese Konferenz und ein Bekenntnis des Mitveranstalters Johnny Haeusler. Wer im Netz Opfer von Hasskommentaren und sprachlicher Brutalität werde, der dürfe nicht allein gelassen werden. „Wir müssen Solidarität im Netz zeigen und dürfen nicht wegklicken“, sagt er. Da bleibt dem falschen Trump nur ein Lächeln.

„Love out loud“: Darum geht’s bei der Internetkonferenz

Inhalt Bei der re:publica 2017 geht es um Künstliche Intelligenz, die Macht der Algorithmen und der digitale Wahlkampf, Big Data und Datenschutz, Virtuelle Realität und autonomes Fahren. Die Konferenz startete an diesem Montag in Berlin. Bis einschließlich Mittwoch werden etwa 950 Sprecher auf den Bühnen stehen, rund 8000 Besucher werden erwartet.

Motto In Zeiten von Fake News und Hassreden rufen die Veranstalter unter dem Motto „Love out loud“ zu mehr Solidarität und Liebe auf. Passend dazu bietet die Friedensbuchpreisträgerin 2016, Carolin Emcke, gleich zu Beginn der re:publica eine „Reflexion über Liebe und Empathie, on- und offline“. Weitere Gäste sind Schachgroßmeister Garri Kasparow, Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) oder Innenminister Thomas de Maizière (CDU).

Geschichte Die re:publica wurde 2007 von den Machern der Blogs Netzpolitik.org und Spreeblick ins Leben gerufen. wird die Konferenz vom Big Business, zu den Sponsoren gehören Daimler und IBM.