Erst gehackt, dann Spoofing-Opfer: es ist undankbar, allen zu erklären, warum ich massenhaft Spam-Mails verschicke und nichts dafür kann.

Stuttgart - Ich müsste dem Hacker dankbar sein, weil ich nach einer gefühlten Ewigkeit wieder Kontakt habe zu lauter vergessenen Menschen. Meinem früheren Schulfreund Michael, der als Banker nach Kanada ausgewandert ist. Oder zu einem ehemaligen WG-Mitbewohner, dem besten Koch und dem schlechtesten Abspüler aller Zeiten. Denn ohne den dreisten Eingriff in meine AOL-Privatsphäre vor gut einem Jahr wäre das alles nicht passiert, was jetzt passiert ist. Doch eins nach dem anderem.

 

Seit Langem beschweren sich Freunde und Kollegen über all den Müll, den sie von mir zugeschickt bekommen: Abnehmtipps, blöde Werbung, Links, die auf längst stillgelegte Seiten verweisen. Manche werden täglich von mir zugespamt, andere wöchentlich, und alle finden es nervig. „Kannst du nicht den Provider wechseln?“, fragen sie mich ungeduldig. „Ändere dein Passwort öfter“, „mach es sicherer“, sind die gut gemeinten Ratschläge, die ich mir anhöre und dabei weiß: Ich kann nichts machen – ich bin ein Spoofing-Opfer. Das klingt schlimm und ist es auch.

Unbekannte Absender verwenden meinen Namen

Mein persönliches Unwort des Jahres kommt vom Englischen „to spoof“, täuschen, vorgaukeln. Meine Freunde fühlen sich getäuscht, wenn eine Mail von mir in ihrem Postfach liegt, sie diese gutgläubig öffnen und nur Müll erhalten haben. Was sie auf den ersten Blick nicht sehen, ist, dass gar nicht ich die Post verschickt habe, sondern irgendein Unbekannter aus England oder Russland oder sonst woher. Der Unbekannte schreibt meinen Namen in die Absenderzeile und hat sich dreisterweise meiner umfangreichen Adresslisten bedient, die seit dem AOL-Hack im Internet kursieren oder womöglich gehandelt werden. Ich habe längst ein so sicheres Passwort, dass ich Mühe habe, mich daran zu erinnern. Ich habe teure Software gekauft, die meinen Laptop gegen Trojanerattacken schützt, und ich habe unendlich viele Entschuldigungsmails formuliert, in denen ich versucht habe zu erklären, dass ich zwar den nervigen Provider wechseln kann, aber damit das Grundproblem nicht löse: die Spoofing-Attacken. Die Entschuldigungsmails an viele Hunderte Empfänger waren gut gemeint, aber sie haben das Dilemma und meine schlechte Laune nur noch verschärft. Sie führten dazu, dass mein AOL-Account gesperrt wurde, weil das Postaufkommen zu hoch war. Ich durfte plötzlich nicht mehr rein, konnte nicht einmal mehr mein eigenes Passwort zurücksetzen.

Meine Adresslisten kursieren im Internet

„Wenn Sie Hilfe benötigen, rufen Sie die Kundenbetreuung unter 0-808-234-9299 an“ erschien auf dem Schirm und ein „Es tut uns leid“. Die Nummer führte ins Nichts, selbst mit US-amerikanischer Vorwahl war nur irgendein privater Anschluss dran, auf dessen Mailbox ich keinen Hilferuf hinterlassen wollte.

Kundenfreundlichkeit sieht anders aus. Es ist nicht gerade einfach, AOL zu kontaktieren. Die Firma hat ihr Deutschlandgeschäft – was den Internetzugang angeht – an die Firma Telefónica Deutschland verkauft. Immerhin gab es doch noch eine Hotline, die halbwegs schnell zu erreichen war. Ja, die Kundenbetreuungsnummer sei eine englische, verriet mir der freundliche Telefónica-Berater. „Nein, das könne keiner wissen.“ Und: ich hätte Glück, er könne mein Passwort zurücksetzen. Bei manchen Konten habe er keinen Zugriff, dann müsse alles über die USA laufen, mit einer Wartezeit von bis zu 72 Stunden, erklärte mir der Mann. Dann schimpfte er noch eine Weile über die dauernden Hackerangriffe, die AOL so viele schlechte Schlagzeilen bringen, und empfahl mir dringend, alle meine Probleme schriftlich einzureichen. Die Antwort komme dann aus den USA, das könne aber dauern.

Alle Beschwerden müssen schriftlich eingereicht werden

Nicht nur Michael, der Banker in Kanada, hat sich gemeldet, auch andere Freunde schickten Mails, verständnisvoll die meisten, mit Details, was ihnen schon alles Missliches im Netz widerfahren ist, mit Grüßen und neuen Telefonnummern. Einer schrieb gleich zurück: „Gut, dass du gehackt worden bist, dank der Spam-Mails denke ich seit Tagen an dich.“