Mit aus den Weiten der Internet-Welt abgekupferten, emotionalen Videos sammelt das erst ein halbes Jahr alte, deutschsprachige Internetportal Heftig.co inzwischen mehr Facebook-Likes ein als die etablierte Konkurrenz auf dem Online-Boulevard.

Stuttgart - Die Masche stammt aus den USA und ist schlicht gestrickt. Man sammle in den Weiten des Internet gefühlsbetonte Videos, versehe sie mit Spannung versprechenden, klickfreundlichen Überschriften – und setze auf die massenhafte Verbreitung in sozialen Medien. Präsentiert werden so Videos mit Titeln wie: „Er ist der wohl lustigste Flugbegleiter Deutschlands. Herrlich!“ Nach dem Vorbild der schon seit einigen Jahren etablierten US-Portale Buzzfeed und Viralnova setzt auch die deutsche Neugründung Heftig.co darauf, dass die Leser selbst für die entsprechende Reichweite sorgen. Facebook ist aus dieser Sicht wichtiger als das gute Suchergebnis auf Google.

 

Auf der Facebook-Seite von Heftig.co loben die Leser der meist positiven und auch rührseligen Nachrichten das ihnen präsentierte Bild der Welt: „Das gibt mir ein wenig den Glauben an die Menschheit zurück“, schreibt beispielsweise ein Nutzer über die Rettung einer Katze in Kalifornien durch die Feuerwehr.

Doch Kritiker sehen die Seite als einen Beleg dafür, auf welch niedrigem Niveau die Nutzer im Netz bedient werden können. „Ihr wollt überhaupt keinen Qualitätsjournalismus, stimmt’s? Keine ordentlich recherchierten Reportagen, keine anspruchsvoll zusammengestellten Tests, Interviews und Marktübersichten. Ihr wollt diesen Kram. Und ganz ehrlich, liebe Leute: sollt ihr haben! Denn der Erfolg von heftig.co wird zahllose Nachahmer auf der Jagd nach dem schnellen Euro heraufbeschwören“, so kommentiert dies der Online-Jorunalist Christian Rentrop auf dem Portal Netzwelt.de.

Wenn Schlagzeilen und öffentliche Erregung das Geschäftsmodell sind, dann haben es die Gründer des „Viral-Portals“ Heftig.co in den vergangenen Tagen in den medialen Mainstream geschaft. Bis Ende Mai waren Michael Glöß (35) und Peter Schilling (39) öffentlich nicht in Erscheinung getreten. Registriert war ihre Firma zunächst im mittelamerikanischen Belize. Das Länderkürzel „co“ steht für Kolumbien. Nun haben sie sich geoutet und versuchen ihrer Vermarktungsmaschine damit einen weiteren Schub zu geben.

Die Weiterempfehlungen der Nutzer sind der Schlüssel

Das Portal ist eine der am meisten geklickten neuen Internet-Plattformen der vergangenen Jahre in Deutschland. Der Internet-Analysedienst Similar Web schätzte die Zahl der so genannten Visits im April auf etwa 9,2 Millionen. Die Betreiber selbst bezifferten die Zahl der Besuche in diesem Zeitraum aber auf 27,6 Millionen. Falls dies stimmen sollte, hätte die erst im Dezember 2013 gestartete Seite aus dem Stand die Reichweite des Portals Stern.de um mehr als zwei Millionen Besucher übertroffen. An die Spitzengruppe der Online-Medien in Deutschland kommt man aber nicht heran. Bild.de kam laut dem Medienauswerter IVW im April auf knapp 280 Millionen Visits. Nachprüfbare Mediadaten von IVW wird es für Heftig.co frühestens im Herbst geben. Wenn es aber um die Frage geht, wie eifrig die Inhalte im Netz weitergereicht werden, dann liegt Heftig bereits vorn. Gegen die 2,36 Millonen „Likes“ bei Heftig kamen im April selbst Bild.de mit 1,33 Millionen und Spiegel-Online mit 1,29 Millionen nicht heran. Diesen Durchbruch hat Heftig.co nicht mithilfe von Google-Optimierungen geschafft, sondern allein durch den Multiplikatoreneffekt von Facebook-Empfehlungen.

Sie wollten doch gar keine Journalisten sein, sagen Glöß und Schilling – und wehren sich gegen die Kritik, dass ihr Portal nur an schlichte menschliche Instinkte appelliere. Man sei Teil einer Medienrevolution, in der das wechselseitige Teilen von Inhalten die wichtigste Antriebskraft sei. Man richte sich eher an Medienmuffel, als dass man seine Nutzer von bestehenden Portalen abziehe. Keine Politik, keine Wirtschaft, keine Stars und Sternchen – das sei das inhaltliche Rezept. „Wir interessieren uns mehr für die kleinen Geschichten des Alltags, die die Leute berühren und mit denen sie sich auch selber identifizieren könnten“, sagte Glöß jüngst in einem Interview mit der „Wirtschaftswoche“. Im übrigen stecke in der Präsentation harte Arbeit. „Die Storys liegen oft stundenlang unter der Lupe, werden hin und her gedreht, Überschriften verändert, getestet, Bilder ausgetauscht, wieder getestet“, sagte der Heftig-Mitgründer. Finanziert wird das durch Werbung, wobei unklar ist, wie hoch die Erträge des Portals tatsächlich sind.

Laut einer Analyse des Internetportals Gründerszene dürften die Einnahmen wegen der Fokussierung auf die wenig ertragreiche mobile Werbung nur im vierstelligen Bereich liegen. Das Portal funktioniert nur dadurch, dass das Netz hemmungslos nach Gratis-Inhalten durchforstet wird, die dann ohne Rücksicht auf Urheberrechte kopiert werden.

Kopieren gehört zum Kerngeschäft

Manche Geschichte auf Heftig stammt direkt von den US-Vorbildern. „Wir suchen Bilder und Videos, die Nutzer bereits anderswo im Internet der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt haben“, sagt Firmengründer Schilling. Und die seien doch glücklich, wenn diese sich weiterverbreiteten. Der auf Rechtsfragen im Internet spezialisierte Stuttgarter Rechtsanwalt Carsten Ulbricht sieht das anders. „Dadurch, dass jemand etwas ins Netz stellt, ist das Urheberrecht nicht aufgehoben“, sagt er. Heftig schütze eher die Tatsache, dass Rechte-Inhaber aus dem Ausland nicht unbedingt auf ein deutsches Internetportal schauen. Doch das US-Vorbild Buzzfeed habe inzwischen wegen eines Bildes eine Millionenklage am Hals, obwohl in den Vereinigten Staaten die urheberrechtlichen Regelungen weniger streng seien. Buzzfeed investiert inzwischen aber auch in journalistische Texte, für die dann die schlichteren Videos das Lockmittel sind.

Doch so hemdsärmelig Heftig selbst mit geistigem Eigentum umgeht, so sehr ist es seinerseits von Plagiatoren bedroht. Wer die kolumbianische Internetdomäne von Heftig.co weglässt und sich bei Heftig.de einwählt, der stößt auf dieselbe Masche und oft auch auf die identischen Videos. „Man kann nur einschreiten, wenn eigene Inhalte wie die Überschriften oder die Einleitung zu den Videos kopiert werden“, sagt der Rechtsexperte Ulbricht.

Sollten sich Heftig.co und seine Klone aber trotz dieser Schwächen durchsetzen, könnten sie für journalistische Online-Portale, die auf Boulevardthemen setzen, langfristig ein Problem werden. Wenn sie größere Lesergruppen von deren Seiten abziehen, dann würde auch der Online-Werbekuchen neu verteilt.

Wie ködert man Klicks?

Der Köder
„Click-Bait“ also „Klick-Köder“ heißt eine in den USA inzwischen auch bei seriösen Medien weit verbreitete Methode, Online-Lesern in Überschriften gezielt Appetithäppchen zum Weiterklicken zu liefern. „Eine 120 Kilogramm schwere Buchhalterin fällt auf ein Krokodil. Was dann passiert, ist echt eklig“ , so hat das auch die StZ in allerdings persiflierender Absicht einmal getwittert – was im Netz dann aber ganz ernsthaft kritisiert wurde. Das Risiko ist, dass die Leser dies irgendwann als Masche durchschauen, weil nach dem Klick allzuoft die Enttäuschung wartet.

Die Entlarvung
In den USA hat das Portal „Saved you a Click“ das Entlarven der Köder seinerseits zu einem halb satirisch, halb ernst gemeinten Modell gemacht. Auf einem Twitter-Kanal kann man die schnelle Auflösung der populärsten viralen Überschriften abonnieren und sich damit den womöglich enttäuschenden Klick auf die eigentliche Story von vorne herein sparen. In Deutschland ist seit kurzem mit „Erspart dir den Klick“ ein Imitator am Start.