Junge Familien, Rentner und Selbstständige haben es schwer, einen Immobilienkredit zu erhalten. Grund ist ein neues Gesetz. „Gut gemeint, aber nicht gut gemacht“, sagt dazu LBS-Chef Tilmann Hesselbarth.

Stuttgart -

 
Herr Hesselbarth, seit 21. März ist die neue Wohnimmobilienkreditrichtlinie in Kraft. Bekommen Rentner, die ihr abbezahltes Haus umbauen wollen, keinen Kredit mehr?
Keine Frage, es ist für Rentner deutlich schwieriger geworden. Die Wohnimmobilienkreditrichtlinie ist gut gemeint aber nicht gut gemacht. Wir haben zudem den Eindruck, dass die Ausführungsbestimmungen in Deutschland schärfer ausfallen als notwendig.
Neu ist, dass die Immobilie als Sicherheit bei der Kreditvergabe nur noch eine untergeordnete Rolle spielt, wichtig ist das künftige Einkommen. Was heißt das in der Praxis?
Gewisse Kundenkreise haben deutlich größere Probleme einen Immobilienkredit zu erhalten als bisher. Das sind nicht nur Rentner, das sind auch junge Familien und Selbstständige – alle diejenigen, die nicht mehr eindeutig eine ganz langfristige Einkommensperspektive nachweisen können.
Junge Familien trifft es, wenn einer in Elternzeit ist.
Genau. Wir geben Milliarden aus für Familienprogramme, um Familien dann anschließend bei der Finanzierung ihrer Immobilie abzustrafen.
Was bringt das neue Gesetz?
Es ist absolut richtig, sich bei der Kreditprüfung darauf zu konzentrieren, dass der Immobilienkäufer nachweisen muss, dass er dauerhaft Zins und Tilgung erbringen kann. Seriöse Banken und Bausparkassen haben das schon immer gemacht.
Dann ändert sich bei Ihnen ja nichts.

Doch, der bürokratische Aufwand ist dramatisch. Für eine Standardwohnbaufinanzierung bekommt der Kunde gut 200 Seiten Vertragsunterlagen ausgehändigt. Wer liest das? Das hilft niemandem und dient auch nicht dem Verbraucherschutz. Drei oder vier Seiten mit dem Wichtigsten würden die meisten Leute lesen.

Die Papiermenge dient der Absicherung.
Genau. Alle sichern sich ganz massiv ab. Nach dem Motto: viel Papier hilft viel.
Wird der Gesetzgeber hier nachbessern – vor allem bei jungen Familien?
Wir haben den Eindruck, dass die Erfahrungen der ersten Monate die Politik haben nachdenklich werden lassen. Die Menschen wollen sicher finanzierte Immobilien, aber dieses Gesetz bremst gewaltig.
Wirkt sich das Gesetz auf Ihr Geschäft aus?
Unsere Bearbeitungszeiten der Kreditanträge sind bedeutend länger geworden. Die Bearbeitung der Darlehensanträge hat sich im Schnitt von zwei Wochen auf vier Wochen verlängert. Das wird sich am Ende auf die Zahl unserer Neuabschlüsse auswirken. Und der Kunde muss leider viel länger auf eine Finanzierungszusage warten.
Neu ist, dass Banken bei finanzieller Überlastung der Kunden in Haftung genommen werden können. Verzichten Sie deswegen auf Geschäft?
Nein. Wir haben bisher auch nur Kredite vergeben, die wir betriebswirtschaftlich vertreten konnten. Das lässt sich daran ablesen, dass wir bei einem Kreditbestand von sechs Milliarden Euro nur 15 Millionen Euro Einzelwertberichtigungen bilden mussten. Diese 15 Millionen bilden unser Risiko ab. Das ist absolut wenig.
Ein großer Veränderungsdruck in der Branche kommt durch die Digitalisierung. Wie reagiert die LBS?
Digitalisierung ist nicht wie Manna vom Himmel gefallen, es ist ein fortschreitender Prozess, der zugegeben jetzt einen Quantensprung macht. Ich sage immer: Die Baufinanzierung ist wie die Berufswahl und die Partnerwahl eine der wichtigsten Entscheidungen im Leben. Wenn ich mich bei einem von den Dreien vertue, wird es teuer. Ernsthaft: Die Wohnbaufinanzierung erfordert eine hoch qualifizierte Beratung. Die lässt sich nicht digitalisieren. Gleichwohl werden wir die Digitalisierung in unsere Vertriebsstrategie einbetten. Die Vernetzung wird vor allem das Informationsangebot, die Abwicklung und die Kommunikation mit dem Kunden betreffen.
Sparkassen sind ein wichtiger Vertriebsweg für Bausparverträge. Der durchschnittliche Sparkassenkunde kommt immer seltener in die Filiale. Gibt es den Bausparvertrag bald nur noch übers Internet?
Den klassischen Bausparvertrag gibt es künftig verstärkt im Internet. Aber der Abschluss des Bausparvertrages ist nur die erste Stufe. Wenn es in die Finanzierung mündet, suchen wir den unmittelbaren Kontakt zum Kunden. Dann gehört der Fachberater mit an den Tisch. Dazu sind die Dinge zu komplex und zu wichtig.
Wird die Digitalisierung der Prozesse, die Vernetzung der Bereiche und der Internetvertrieb zu Lasten von Arbeitsplätzen gehen? Brauchen Sie andere Mitarbeiter?
Die Digitalisierung wird in unserer Branche eher Routine-Arbeitsplätze entlasten. Dort wo die Digitalisierung neue Qualifikationen erfordert, werden wir unsere Mitarbeiter weiterbilden. Wir wissen, dass wir demografisch in ein paar Jahren auf eine Situation zulaufen, in der wir uns verstärkt um Mitarbeiter werden bemühen müssen. Ich sehe in der Digitalisierung zuallererst eine Chance. Es wird kein entweder oder geben – nur klassische Beratung oder nur Online-Beratung. Die richtige Mischung aus beidem bringt uns weiter.
Bausparkassen verkaufen viele neue Bausparverträge, aber die Nachfrage nach Bausparkrediten sinkt. Zerstört die Niedrigzinsphase das Geschäftsmodell der Bausparkassen?
Die Niedrigzinsphase ist die extremste Herausforderung, der sich die Bausparkassen seit ihrer Gründung gegenübersehen. Diese Gefährdung ist von den Zentralbanken ausgelöst, sie hat keinen realwirtschaftlichen Hintergrund. Die Menschen wollen Immobilien und sie wollen Finanzierungen. Die Bausparkassen müssen diese Niedrigzinsphase jetzt aushalten und unternehmerisch möglichst flexibel reagieren. Die Politik hat mit der Novellierung des Bausparkassengesetzes reagiert.
Hätten Sie sich mehr gewünscht?
Wir hätten uns gewünscht, dass die Politik jenseits der Rechtsprechung ein klares Signal gibt, wie mit Altbeständen umzugehen ist. Das obliegt jetzt der Rechtsprechung.
Kunden, die sparen, aber kein Darlehen nehmen, waren jahrelang bei Bausparkassen willkommen, weil sie frisches Geld brachten. Jetzt muss höchstrichterlich geklärt werden, wie man sich von diesen Kunden trennt. Begrüßen Sie das?
Zunächst bin ich irritiert über die Rechtsprechung im Moment. Ich stoße mit meinem Rechtsverständnis an Grenzen, wenn ich höre, dass ein Oberlandesgericht – hier in Stuttgart – ganz anders entscheidet als alle anderen Oberlandesgerichte in Deutschland, die diese Fälle auf den Tisch bekommen. Aber selbstverständlich begrüßen wir es, dass jetzt der Bundesgerichtshof entscheiden wird. Wir fühlen uns in unserer Rechtsauffassung mehr als bestätigt.
Warum begrenzen Sie nicht die Laufzeit von Bausparverträgen? Dann gäbe es das Problem der attraktiven Altverträge nicht.
Diese Konditionen waren damals in dem wirtschaftlichen Umfeld richtig und angemessen. 20 Jahre später ist man klüger, aber diese ausschließlich politisch getriebene Zinsentwicklung hat niemand vorhersehen können. Auch die Aufsicht hat damals nichts gegen die Verträge einzuwenden gehabt. Wir haben reagiert. Neuere Verträge können bei Nichtinanspruchnahme des Darlehens 15 Jahre nach Vertragsbeginn gekündigt werden.
Haben Sie Verfahren vor dem Oberlandesgericht Stuttgart laufen?
Nein, wir haben gegenwärtig keine Verfahren vor dem OLG Stuttgart laufen.
Was kostet Sie die gerichtliche Auseinandersetzung um die Kündigungen?
Das hält sich bis jetzt in vertretbarem Rahmen.
Beim Bausparen werden die Sparguthaben der einen für die Darlehen der anderen verwendet. Wie hoch ist der Anlagegrad, also der Prozentsatz, der die Bauspardarlehen ins Verhältnis zu den Bausparguthaben setzt?
Der Anlagegrad ist dramatisch gesunken, er liegt mittlerweile in der Branche unter zehn Prozent. Grund sind zwei gegenläufige Bewegungen. Wir haben steigende Einlagen, weil man zurecht Bausparkassen für einen sicheren Anlageort hält und eine sinkende Nachfrage nach Bausparkrediten. Idealtypisch sind zwischen 70 und 80 Prozent.
Was bedeutet eine so geringe Nachfrage nach Bausparkrediten?
Wir legen unseren Schwerpunkt in der Kreditvergabe in dieser Phase auf Darlehen außerhalb des Bausparkollektivs, also auf Vor- und Zwischenfinanzierungen, die wir zu üblichen Marktkonditionen herausgeben. Deshalb wachsen insgesamt unsere Kreditbestände.
Dann sind Sie aber immer weniger eine Bausparkasse?
Ja, im Moment ist das so. Wir gehen natürlich fest davon aus, dass sich das bei steigenden Zinsen wieder umdreht und wir mehr Bausparkredite vergeben.
Wie war das Geschäft im ersten Halbjahr?
Wir hatten im letzten Jahr mit über acht Milliarden Euro das beste Neugeschäft aller Zeiten, mit einem Zuwachs von sechs Prozent. Wir werden das dieses Jahr nicht ganz erreichen, peilen aber erneut acht Milliarden an. Die Nachfrage nach Zinssicherungsprodukten ist ungebrochen.
Welche Veränderungen bringt die Fusion mit der LBS Rheinland-Pfalz mit sich, die Ende August umgesetzt wird?
Für die Kunden wird sich außer dem Namen LBS Südwest nichts ändern. In Rheinland-Pfalz werden wir die Zusammenarbeit mit den Sparkassen intensivieren. Hier sehen wir Wachstumschancen. Für die Mitarbeiter gibt es Veränderungen. Stuttgart wird Sitz des Vorstands und der Stäbe. Wir werden in einem dreijährigen Fusionsprozess die Stabsabteilungen hier in Stuttgart konzentrieren. Wir werden Mitarbeiter abbauen, aber es wird keine fusions- und betriebsbedingten Kündigungen geben. Im September werden wir dazu genaueres sagen können.
Die Volksbanken haben eine Bausparkasse – Schwäbisch Hall – und fahren damit gut. Brauchen die Sparkassen tatsächlich neun Landesbausparkassen?
Die Vorteile aus Dezentralität und Zentralität sind sehr gut abzuwägen. Der Vergleich mit Schwäbisch Hall ist schwierig, weil Schwäbisch Hall nie anders angetreten ist. Ob es am Ende der Diskussion eine LBS gibt oder man sich über mehrere Schritte auf diesen Weg macht, das müssen die Träger entscheiden.