Im Gespräch mit Michael Heller von der der Stuttgarter Zeitung argumentieren Mark Binz und Martin Sorg, Stuttgarter Juristen und Experten für Familienunternehmen, warum zu große Steuervorteile bei der Vererbung von Unternehmen letztlich kontraproduktiv sind.

Stuttgart – - Mark Binz und Martin Sorg beraten Familienunternehmen. Trotzdem halten sie es für geboten, Firmenerben stärker zur Kasse zu bitten. Im Interview sagen sie, warum das im Sinne der Familienbetriebe wäre.
Herr Sorg, Herr Binz, das Bundesverfassungsgericht verlangt eine Erbschaftsteuerreform mit der Begründung, dass Firmenerben gegenüber anderen Erben zu leicht davonkämen, ohne Steuern zahlen zu müssen. Werden da Äpfel und Birnen verglichen, oder ist das wirklich ungerecht?
Sorg Ja und nein. Selbstverständlich verdienen Familienunternehmen wegen ihrer volkswirtschaftlichen Bedeutung eine Begünstigung gegenüber sonstigem Vermögen. Aber sowohl die vom Gericht für große Familienunternehmen beanstandeten Verschonungsregeln als auch die von Unternehmensverbänden geforderten Eckpunkte für eine Reform gehen über das Erforderliche hinaus, und sie gehen zu Lasten derjenigen, die nicht von der Erbschaftsteuer befreit sind.
Binz Das Bundesverfassungsgericht hat jetzt zum dritten Mal in Sachen Erbschaftsteuer ein Urteil gefällt. Das Minderheitsvotum von drei der acht Richter deutet an, dass es beim nächsten Mal eine Entscheidung geben könnte, die der Vorzugsbehandlung von Betriebsvermögen ein Ende setzt. Diejenigen, die an der bestehenden Rechtslage so wenig wie möglich ändern wollen, erweisen den Familienunternehmen womöglich einen Bärendienst.
Wie wollen Sie die Erbschaft eines leicht verkäuflichen Wertpapierdepots mit einer Beteiligung vergleichen, zu der viele Verpflichtungen und Beschränkungen gehören?
Sorg Natürlich ist da ein Unterschied. Niemand möchte, dass Familienunternehmen durch die Erbschaftsteuer gefährdet werden. Hierbei muss aber die Kirche im Dorf bleiben. So wäre es nicht gerecht, wenn auf der einen Seite auch weiterhin große Unternehmensvermögen gefährdungsunabhängig völlig befreit wären und auf der anderen Seite sonstige Vermögenswerte bis zu fünfzig Prozent besteuert würden. Der Unterschied ist einfach zu groß.
Ist es nicht grotesk, dass ausgerechnet Privathaushalte, die über erhebliches Vermögen verfügen, Gerechtigkeit anmahnen?
Sorg Nein. Steuerliche Gerechtigkeit ist Ausfluss des im Grundgesetz verankerten Gleichheits- und Sozialstaatsprinzips. Und sie wird nicht nur von wohlhabenden Privatpersonen angemahnt, sondern insbesondere von Privatpersonen mittleren Einkommens und Vermögens, denen gegenwärtig eine Erbschaftsteuerbelastung zugemutet wird, die kein Unternehmer akzeptieren würde.
Für große Unternehmen soll es künftig eine Bedürfnisprüfung geben. Viele Familienbetriebe laufen Sturm gegen die Berücksichtigung des Privatvermögens hierbei. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble will die Hälfte des Privatvermögens berücksichtigen. Ist das ein guter Kompromiss?
Binz Das Verfassungsgericht hat die Bedürftigkeitsprüfung nur als eine mögliche Option darstellt und in dem Zusammenhang die Einbeziehung des Privatvermögens erwähnt. Ich halte das jedoch für den falschen Ansatz, zumal es zu missbräuchlichen Gestaltungen geradezu einlädt.
Sorg Richtig im Sinne von gerecht wäre dies: Erbschaftsteuer wird nur erhoben, wenn und soweit das Unternehmen hierdurch nicht gefährdet wird. Es besteht dann keine Notwendigkeit, auf das Privatvermögen zuzugreifen. Aber warum darf ein Gesellschafter den geerbten Anteil bereits nach sieben Jahren verkaufen, ohne aus dem Verkaufserlös auch nur einen Euro Erbschaftsteuer zahlen zu müssen? Und warum müssen Gewinnausschüttungen nach dem Erbfall nicht wenigstens teilweise zur Bezahlung der Erbschaftsteuer verwendet werden, zumal es sich um Geld handelt, auf das der Betrieb offensichtlich verzichten kann? Dies dient weder der Schonung von Unternehmen noch dem Erhalt von Arbeitsplätzen.
Verkaufen viele Familieneigentümer nach dem siebten Jahr, also steuerfrei?
Sorg Die Sieben-Jahres-Frist ist natürlich ein großes Thema, wenn just während der Karenzzeit Umstrukturierungen im Gesellschafterkreis anstehen, etwa zur Beendigung eines Gesellschafterstreites. Wir beschäftigen uns in der Kanzlei gerade mit zwei solchen Fällen. Da es die Verschonung erst seit 2009 gibt, kann es steuerfreie Verkäufe frühestens ab 2016 geben.
Binz Eine Behaltensfrist von 30 Jahren wäre für große Familienunternehmen immer noch günstiger als eine Bedürftigkeitsprüfung mit ungewissem Ausgang. Den 30-Jahre-Zeitraum kennen wir bereits von der Erbersatzsteuer für Familienstiftungen.
Umstritten ist auch, ab welchem Wert von einem großen Unternehmen gesprochen werden kann. Ab 20 Millionen Euro, wie es der Bundesfinanzminister plant?
Sorg Bei den genannten 20 Millionen Euro, die sich nach den Plänen des Ministers auf den einzelnen Erwerb, nicht auf das ganze Unternehmen beziehen, wären immerhin 98 Prozent der Unternehmensübertragungen befreit. Ob eine niedrigere oder eine höhere Grenze gezogen werden sollte, oder ob auf den Wert des Unternehmens anstatt auf den des jeweiligen Erwerbs abgestellt werden sollte, darüber lässt sich lange streiten. Wichtig ist allein, dass kein Familienunternehmen durch die Erbschaftsteuer konkret gefährdet wird. Binz Ob ein Unternehmen gefährdet ist oder nicht, hängt allerdings weder von seiner Größe noch der Zahl seiner Gesellschafter ab, sondern von den Umständen des Einzelfalls. Von daher erscheint jede betragsmäßige Abgrenzung im Sinne eines Alles-oder-nichts-Prinzips willkürlich und damit verfassungsrechtlich angreifbar.
Wie wollen Sie das Problem lösen?
Sorg Die diskutierte Grenzziehung würde sofort an Bedeutung verlieren, wenn der Gesetzgeber den Mut aufbrächte, eine Erbschaftsteuer für alle mit niedrigeren, moderat progressiv gestalteten Steuersätzen und einer gefährdungsorientierten Verschonung von Unternehmensvermögen zu schaffen.
Bedroht eine schärfere Erbschaftsteuer den Mittelstand, das Rückgrat der Wirtschaft? Steht ein Ausverkauf bevor?
Sorg Nein. Die Erbschaftsteuer gibt es seit über 100 Jahren. Unternehmen waren zwar meistens begünstigt, jedoch nie im heutigen Umfang. Dem deutschen Wirtschaftswunder mit seinen vielen Familienunternehmen hat dies keinen Abbruch getan. Daran wird sich nichts ändern, da die Begünstigung von Betrieben grundsätzlich nicht zur Diskussion steht.
Hat die noch gültige Erbschaftsteuerregelung einen Wandel bei der Eigentümerstruktur behindert, weil der Status quo als vorteilhafteste Lösung galt?
Sorg Wir haben beobachtet, dass allein des Steuervorteils wegen auch dann übertragen wurde, wenn dies etwa aufgrund des Alters der Kinder eigentlich noch viel zu früh war. Dadurch kann es zu Fehlentwicklungen und Rückabwicklungen, zum Beispiel aufgrund von Widerrufsrechten, kommen – meist mit fatalen Folgen für Familie und Unternehmen.
Es gibt gegenwärtig auffällig viele Fälle, in denen sich Familien streiten – Oetker, Porsche/Piëch oder Dussmann. Ohne Rechtsanwälte wie Sie geht vielfach nichts mehr. Was ist der Grund für die Streitlust?
Binz Ich würde nicht von Streitlust sprechen. Ich kenne niemanden, der aus Lust streitet. In Wahrheit geht es darum, dass Interessenkonflikte und Streitfragen, die man in der Vergangenheit oft aus Gründen der Familienraison unter den Teppich gekehrt hat, heutzutage eher offen ausgetragen werden. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen. So sind Minderheitsgesellschafter heute nicht mehr bereit, sich alles gefallen zu lassen, sich insbesondere dem Diktat eines Mehrheitsgesellschafters zu unterwerfen. Das gilt auch innerhalb der eigenen Familie, wenn beispielsweise der Vater nur einem einzelnen Kind sein Unternehmen oder zumindest die Mehrheit daran vermacht hat. Früher hatten die übergangenen Geschwister gekuscht. Heute machen sie Stunk und Pflichtteilsansprüche geltend. Der Wandel ist unübersehbar.
Sie haben vor gut 25 Jahren bei dem Maschinenbauer Voith eine Realteilung vorgeschlagen und umgesetzt. Dem Beispiel sind wenige gefolgt. Sollten Familien nicht häufiger einfach getrennte Wege gehen, wenn sich kein Konsens mehr herstellen lässt?
Binz Grundsätzlich ist der Prozess, dass sich in einem Unternehmen die Gesellschafter wieder auf einen aktiven Kreis konzentrieren und die anderen ausscheiden, positiv zu sehen. Wenn wir ein Mandat übernehmen, prüfen wir immer als Erstes, ob eine weitere Koexistenz Sinn macht oder ob es für alle Seiten besser wäre, wenn man sich trennt. In unserem aktuellen Fall Tönnies verhandeln wir derzeit nach mehr als drei Jahren Rechtsstreitigkeiten über eine gemeinsame Zukunft in Form einer gleichberechtigten Doppelspitze von Onkel und Neffe. Ist eine Trennung aber unvermeidlich, so bietet sich immer eine Realteilung an, sofern diese unternehmerisch Sinn macht.
Ist das Modell Familienunternehmen ein Auslaufmodell?
Binz Ganz und gar nicht. Familienunternehmen sind eine Welt für sich. Denken Sie nur an die berühmten „Hidden Champions“, die oft Weltmarktführer in ihrer Nische sind. Viele Familienunternehmen, etwa Faber-Castell, bestehen seit mehreren Hundert Jahren. Der gesellschaftliche Wandel führt allerdings dazu, dass die Kinder nicht mehr wie früher die natürlichen Nachfolger im Topmanagement sind. Die nachfolgende Generation weiß, dass sie Alternativen hat und dass keiner von ihr selbst Firmenchef werden muss. Deshalb geht der Trend zum Fremdmanagement mit Aufsichtsrat, durch den die Familie unternehmerischen Einfluss ausüben kann – bei minimiertem Streitpotenzial.