Der Kabarettist Christoph Sonntag fragt sich, ob er auf der Bühne Witze über Jesus oder Mohammed, machen darf. Wer weiß da Rat? Ein Besuch beim Theologen Hans Küng und dessen Experten von der Stiftung Weltethos.

Tübingen - - Kleines Gipfeltreffen in Tübingen: in seinem Arbeitszimmer empfängt der Theologe Hans Küng den Stuttgarter Kabarettisten Christoph Sonntag und den Generalsekretär der Stiftung Weltethos, Stephan Schlensog. Ihr Thema: Wie viel Satire ist erlaubt, wenn es um religiöse Dinge geht? Wie viel Respekt muss die moderne, säkulare Gesellschaft gegenüber den verschiedenen Religionen zeigen? In zwei Wochen wollen die drei Herren dazu einen ganzen Kongress veranstalten: den Stuttgarter Toleranzgipfel in der Liederhalle.
Herr Sonntag, welches Problem treibt den erfolgreichen Kabarettisten ausgerechnet zum Theologen Hans Küng und zur Stiftung Weltethos?
Sonntag Wir haben uns vor einem Jahr kennengelernt, als im Internet dieses dilettantische amerikanische Hassvideo gegen Mohammed kursierte und weltweit in der islamischen Welt Proteste hervorrief. Der Zufall wollte es, dass just zur gleichen Zeit mein Sohn auf dem katholischen Gymnasium im evangelischen Religionsunterricht den Film „Das Leben des Brian“ gesehen hat, diese unglaublich lustige Parodie von Monty Python auf die Jesus-Geschichte. Dann fiel mir ein, dass ich als Kabarettist ja ohnehin immer überlegen muss, wie respektlos ich sein muss oder darf, wenn es um religiöse Themen geht. Und all diese Fragen konnte ich mit Professor Küng interessant besprechen, weswegen daraus die Idee erwuchs, lass uns doch aus alledem eine gemeinsame Aktion machen, lass uns an einem Tag Wissenschaft und Kabarett zusammenführen.
Und, Herr Küng, wissen Sie noch, was Sie Christoph Sonntag auf seine Fragen geantwortet haben? Darf ein Kabarettist Witze über Religionen machen?
Küng Natürlich darf der Kabarettist Witze auch über Religionen machen. Alle Religionen kennen ja selbst den Witz über sich. Aber der Kabarettist muss sich schon seiner Verantwortung stellen. Er muss sich der Wirkung seiner Mittel bewusst sein und selbstreflektierend in der Lage sein, aus Rücksicht auf das Ganze auf das eine oder andere Mittel zu verzichten.
Kann man, was Religionen angeht, klare Grenzen ziehen zwischen erlaubtem und unerlaubtem Witz?
Küng Eine Grenze ist aus meiner Sicht sehr wichtig, und die betrifft die großen Figuren der religiösen Weltgeschichte: Moses, Jesus, Mohammed, Buddha, Konfuzius  . . . Jedem Kabarettisten muss klar sein, was immer ich über diese Figuren erzähle oder in Geschichten, Filmen oder auf Zeichnungen mit ihnen veranstalte, es kann, wenn es ohne Ehrfurcht geschieht, die Gläubigen der jeweiligen Religionsgemeinschaft tief emotional treffen, kann ihre Gefühle verletzen und kann darüber Auswirkungen haben auf das Miteinander der Religionen überall auf der Welt.
Herr Sonntag, wie würden Sie für sich diese Grenze ziehen?
Sonntag Ich gehöre ja zu dieser altmodischen Spezies von Kabarettisten, die mit ihrer Arbeit am liebsten einen Denkanstoß geben. Ich weiß doch ganz genau, wenn ich bei einem Auftritt mit irgendeinem Witz eine Figur beleidige, die einem Teil des Publikums heilig ist, also zum Beispiel über eine Gottheit, dann werde ich bei diesen Menschen Abwehr erzeugen. Ganz anders sieht es aus bei den religiösen Institutionen und den Regeln der Religionen im Alltag, da fühle ich mich als Kabarettist herausgefordert, da geht es ja um Menschenwerk.

Das heißt konkret, Witze über Gottheiten oder Religionsstifter sind tabu?
Sonntag Na, es gibt Witze, die funktionieren gerade, weil sie in ihrer Pointe die religiöse Geschichte eigentlich sogar sehr ernst nehmen. Ich hatte kürzlich einen Disput mit einem Regisseur. Er war der Ansicht, dass folgender Witz die Grenze überschreitet; ich dagegen meinte, dass er sie nur dehnt: Wäre Jesus ein Zauderer gewesen und zu Lebzeiten gefragt worden, ob er sicher Gottes Sohn sei, hätte er geantwortet: „Ich sage jetzt mal Ja, aber nagelt mich bitte nicht fest!“
Küng Ich möchte nicht falsch verstanden werden, selbstverständlich darf man über Jesus auch Witze machen, und da gibt es halt gute und schlechte Witze, das ist erst mal kein Problem. Aber gewisse Verunglimpfungen des Gekreuzigten können viele Gläubige tief verletzen. Oder denken Sie an die Mohammed-Karikaturen 2005 in Dänemark. Der Impuls für diese Karikatur war die Frage, wie spitzen wir Zeichnungen des islamischen Religionsstifters so satirisch zu, dass sie zum Test für die Toleranz der islamischen Religionsgruppe im eigenen Land und in der ganzen Welt werden. Die Karikatur war nur Mittel zum Zweck und eine massive Grenzüberschreitung.
Hätten die Zeitungen den Abdruck dieser Karikaturen verhindern müssen?
Küng Der große Fehler war, dass der damalige dänische Ministerpräsident mit Hinweis auf das Prinzip der Pressefreiheit noch nicht einmal bereit war, eine Delegation der muslimischen Bevölkerungsgruppe in seinem eigenen Land zu empfangen und mit ihnen über deren Bedenken zu sprechen. Erst dann ging eine Delegation nach Kairo und löste von dort aus weltweite Protestaktionen von Muslimen aus.
Herr Schlensog, ist also alles nur eine Frage des politischen Managements?
Schlensog Nein, unabhängig davon war auch die dänische Mohammed-Karikatur selbst ein Fehler. Wer einen Religionsstifter mit Dynamitstangen zeichnet und so faktisch behauptet, der religiös motivierte Terror in der Welt sei von diesem Religionsstifter begründet und gewollt, der verunglimpft und verletzt. Die Kreuzzüge des Mittelalters sind ja auch nicht Jesus von Nazareth persönlich anzulasten. Die Grenze zwischen Satire und Verunglimpfung ist nicht in der Theorie zu definieren, sondern muss in der Praxis gefunden werden.
Sonntag Satire darf alles. Aber sie muss gut sein.
Küng Und sie muss die Menschenwürde achten! Zugleich müssen wir uns der Globalität bewusst sein, die bei solchen Ereignissen wie dem Karikaturenstreit in Dänemark eine große Rolle spielt. Was der Kabarettist tut, kann als Bild überall auf der Welt ankommen. Deswegen muss sich der Kabarettist ganz im Sinne der Verantwortungsethik Max Webers auch der möglichen Folgen seines Tuns ständig bewusst sein.
Aber bevor nun die Kabarettisten hierzulande anfangen, auf die in manchen Gegenden dieser Welt völlig überreizten religiösen Gefühle Rücksicht zu nehmen und ihre Witze zu beschneiden, wäre es da nicht der angemessenere Weg, überall auf der Welt auf stärkere religiöse Gelassenheit zu dringen?
Schlensog Das genau ist ja einer der Impulse für unsere Veranstaltung. Der Toleranzgipfel am 7. November in Stuttgart soll ja auch die Chancen größerer Gelassenheit ausloten, tagsüber aus wissenschaftlicher und empirischer, abends aus kabarettistischer Sicht. Er soll uns alle auch etwas entspannter und pragmatischer machen in diesen Fragen. Aber vor allem brauchen wir in dieser Debatte stärkere Differenzierung, und die werden wir nur bekommen, wenn wir mehr voneinander wissen.

Bei allem Respekt für Differenzierung, wir können doch nicht ernsthaft akzeptieren, dass aus einem Gefühl der Verletzung heraus jemand zum Mittel der Gewalt greift, oder?
Schlensog Völlig richtig. Das Gefühl der Verletzung ist per se noch kein Grund, um etwa Gewalt zu rechtfertigen. Aber das gilt nicht nur für so schwerwiegende Fragen wie Terror und Gewalt, sondern vor allem auch für Alltagsfragen. Nehmen wir doch ein aktuelles Beispiel: Die Behauptung einer muslimischen Schülerin, im Schwimmunterricht würden ihre religiöse Gefühle verletzt, mag ja für dieses Mädchen zutreffen. Aber sie ist – wie Richter vor allem mit Blick auf deren Integration festgestellt haben – noch lange keine zulässige Begründung dafür, den schulischen Schwimmunterricht nicht zu besuchen. Wir müssen sehr sensibel darauf achten, an welchen Stellen fundamentalistische Kreise in allen Religionen derartige Themen und Fragen womöglich instrumentalisieren, um ihrerseits zur Verschärfung des gesellschaftlichen Klimas beizutragen. Deswegen werden just solche Alltagsfragen bei unserem Toleranzgipfel eine Rolle spielen.
Küng Ich war im Übrigen immer dafür, solche Alltagsfragen nicht prinzipiell und schon gar nicht immer juristisch zu lösen, sondern pragmatisch. Wir müssen miteinander sprechen, wir müssen in Streitfragen wie etwa dem Bau von Moscheen und Minaretten einen Ausgleich suchen. Und zugleich differenzieren: Wenn eine Lehrerin im Unterricht ein Kopftuch tragen will, ist das einfach etwas anderes, als wenn Schülerinnen Kopftuch tragen wollen. Im Übrigen ist das strikte Tragen eines Kopftuches im Koran selbst gar nicht gefordert, das ist nur eine Frage der späteren religiösen Tradition.
Sonntag Und erfunden haben das Kopftuch überhaupt einst die schwäbischen Landfrauen, das nur mal zur Klarstellung!
Spiegelt religiöse Empfindlichkeit nicht auch, wie wenig die große Mehrheit der nichtmuslimischen Deutschen von ihren islamisch geprägten Mitbürgern weiß? Ist nicht generell differenziertes Wissen eine Voraussetzung für größere Gelassenheit?
Küng Ja, Unwissenheit ist ein Übel, und zwar besonders dann, wenn sie zur Ignoranz und Arroganz gerät.
Schlensog Respekt vor Religion heißt ja nicht, alle Positionen dort gutzuheißen. Respekt heißt aber, zumindest die innere Plausibilität der religiösen Lebensformen und Regeln der anderen zur Kenntnis nehmen zu wollen. Erst wenn das gegeben ist, kann es eine respektvolle Kommunikation in der Gesellschaft miteinander geben. Der wichtigste Schritt dazu ist übrigens, dass wir in allen Debatten dieser Art aufhören, von „dem“ Islam oder von „dem“ Christentum zu sprechen.
Herr Sonntag, wenn es darum geht, die Menschen schlauer zu machen, was ist dann Ihre Rolle als Kabarettist?
Sonntag Na ja, da ist man über die Jahre ja auch bescheidener geworden. Erstens geht es den Leuten summa summarum in unseren Land gar nicht schlecht, zweitens wollen sie am liebsten gut unterhalten sein, und drittens ist es beim Kabarett halt so, dass man auf der Bühne in der Summe eher destruktiv ist, dass man sagt: Der kann’s net, der kann’s net, und über den lachen wir jetzt auch noch. Das gehört zum Wesen meines Jobs. Deswegen habe ich ja meine eigene Christoph-Sonntag-Stiftung aufgebaut, da geht es um soziale und ökologische Projekte, da wird es dann konstruktiv.
Aber nach all den Debatten starten Sie am Abend des 7. November einen Comedygipfel!
Sonntag Ja, da treffen Komikerkollegen zusammen: Abdelkarim, ein Deutschmarokkaner, Özcan Cosar, ein Deutschtürke, Oliver Polak, ein deutscher Jude, dazu Stefan Reusch und ich, und dann wollen wir doch mal sehen, ob man nicht auch über Religion und Toleranz gute Witze machen kann. Das ist dann der Praxistest: Wir gehen an Grenzen und loten sie aus, wir dürfen nur nicht drüber stürzen.
Und Sie, Herr Küng, können auch mit einem solchen Comedygipfel leben?
Küng Ich lache gern und bin für Humor auch in den Religionen.
Sonntag Als Protestant kann ich gern Luther zitieren: Wenn Gott keinen Humor hat, dann möchte ich nicht in den Himmel kommen.

Gespräch
Hans Küng (85) zählt zu den bedeutendsten Theologen unserer Zeit. Sein Projekt Weltethos hat zum Ziel, einen von allen Weltreligionen getragenen Wertekanon zu formulieren, der das friedliche Miteinander der Kulturen fördert. Der Theologe Stephan Schlensog (55) ist Generalsekretär der Stiftung Weltethos. Christoph Sonntag (51) zählt zu den bekanntesten Protagonisten der Kabarett- und Comedyszene.

 

Symposium
Die Stiftung Weltethos und Christoph Sonntag veranstalten am 7. November in der Stuttgarter Liederhalle von 9 bis 19 Uhr ein wissenschaftliches Symposium. Themen sind unter anderem: Notwendigkeit und Grenzen von Toleranz in säkularer Gesellschaft; Religion zwischen Rechtgläubigkeit, Anpassung und Toleranz; Leben als „Fremde“ in Deutschland. Vortragende sind unter anderen die US-Philosophin Susan Neiman, der Politologe Christopher Gaul, die Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide, der Theologe Karl-Josef Kuschel und der Grünen-Politiker Cem Özdemir. Die Teilnahme am Kongress ist kostenlos; Eintrittskarten dafür und für den Comedygipfel um 20 Uhr gibt es im Internet und bei den Vorverkaufskassen.

Infos und Tickets unter www.toleranzgipfel.de // Infos und Tickets unter www.toleranzgipfel.de