Exklusiv Seit den mit Julia Roberts verfilmten Selbstfindungsmemoiren „Eat, Pray, Love“ gehört Elizabeth Gilbert zu den Bestsellerautoren der USA. Ihr neuer Roman heißt „Das Wesen der Dinge und Liebe“. Über die Emanzipationsgeschichte spricht sie im Interview.

New York - Seit den mit Julia Roberts verfilmten Selbstfindungsmemoiren „Eat, Pray, Love“ gehört Elizabeth Gilbert zu den Bestsellerautoren der USA. Die 44-Jährige lebt mit ihrem Mann in New Jersey und New York, wo sie zum Gespräch über ihren jüngsten Roman „Das Wesen der Dinge und der Liebe“ empfängt.

 
Mrs. Gilbert, was halten Sie vom Sexleben der Moose?
Oh, wenn Sie wüssten! Moose bilden einen wahren Hort der sexuellen Umtriebe. Sie sind nicht nur ständig miteinander zugange, sondern dienen auch anderen Pflanzen als Liebesnest. Farnen zum Beispiel. Die benutzen das Wasser in den Moosen als Transportmittel für ihre Sporen. Das spielt sich allerdings alles auf so mikroskopisch kleiner Ebene ab, dass Botaniker jahrzehntelang nichts davon erkennen konnten und einfach annahmen, Moose hätten kein Geschlechtsleben. Bloß weil Moose nicht so aussehen wie . . .
Orchideen . . .
Oder wie diese Blumen hier (deutet auf einen üppigen Strauss Wiesenblumen aus dem Garten ihres Hauses in New Jersey): das sind die Flittchen der Pflanzenwelt. Moose zeigen nicht, was in ihnen steckt.
Darin gleichen sie der Protagonistin Ihres neuen Romans, Alma, die unfreiwillig eine scheinbar spröde Jungfrau bleibt und ausgerechnet Moose zum Gegenstand ihrer botanischen Studien macht.
Diese Ähnlichkeit ist natürlich beabsichtigt. Ich sehe Moose als Metapher für ganze Generationen von Frauen: Frauen mit wilden Begierden, hochintelligente Frauen, die durch ihre Rolle in der Gesellschaft zur Unscheinbarkeit verdammt waren und zu einem Leben, das ihren Gaben und Sehnsüchten in keiner Weise entsprach.
Alma bringt es dennoch zu einem gewissen Ansehen als Botanikerin des 19. Jahrhunderts. Ist „Das Wesen der Dinge und der Liebe“ ein feministischer Roman?
Ja und nein. Dass Alma nicht in den Pantheon der Wissenschaft eingeht, hängt mit ihren eigenen Grenzen zusammen, nicht damit, dass sie eine Frau ist. Und doch kann von Chancengleichheit natürlich keine Rede sein. Ich habe bei meinen Recherchen festgestellt, dass die erfolgreicheren Forscherinnen zu Almas Zeit drei Eigenschaften teilten: Sie hatten einen Vater, einen Bruder oder einen Ehemann, der ebenfalls Wissenschaftler war.
Alma ist eine Millionenerbin . . .
Und sie hat keine Kinder, was ihr die Möglichkeit gibt, ihre ganze Energie auf die Wissenschaft zu verwenden.
Verbindungen, Geld, keine Kinder – sind die Voraussetzungen für den Erfolg von Frauen denn heute so anders?
Nein. Wären es nicht die Frauen, die die Kinder kriegen, hätten sie die Männer längst weit hinter sich gelassen. Erst seit der Erfindung der Pille haben sich die Chancen der Frauen wirklich verbessert, seit wir selber bestimmen können, ob und wann wir Kinder haben möchten.
Sie selber haben keine.
Das war eine bewusste Entscheidung. Ich möchte mein Leben dem Schreiben und Reisen widmen, meinem Mann und meinen übrigen Lieben. Unsere Gesellschaft unterstützt Frauen mit Kindern noch immer viel zu wenig. Mein süßer Hund verbringt die Hälfte seiner Tage bei einem Hundesitter, weil ich ständig unterwegs bin. Was würde ich da mit einem Kind machen?
„Das Wesen der Dinge und der Liebe“ ist Ihr erster Roman seit Ihrem Bestseller „Eat, Pray, Love“. Wie gehen Sie mit dem Erwartungsdruck um?
Gar nicht – ich empfinde keinen. Der Bann war mit „Das Ja-Wort“ gebrochen.
Der Fortsetzung von „Eat, Pray, Love“, in der Sie den Mann Ihrer Träume heiraten und die Ehe als Institution auseinandernehmen.
Als „Das Ja-Wort“ erschien, dachte ich: Okay, Leute, was immer ihr loswerden wolltet über Memoiren, über Frauen, über mich und über Frauen wie mich, die Memoiren schreiben, sagt es, spuckt es aus. Das taten sie. Und wie. Ich war erleichtert. Für mich war die Sache damit erledigt. Seither fühle ich mich schriftstellerisch so frei wie nie zuvor.
Was für Bücher möchten Sie schreiben?
Bücher, in denen sich alle willkommen fühlen wie in einem großen Zelt. Ich werde immer eine Autorin sein, die für ein breites Publikum schreibt. Manche halten James Joyces „Ulysses“ für den Höhepunkt der Kunst. Ich hingegen möchte die Leser bei der Hand nehmen und sagen: Entspann dich, Schätzchen, ich erzähle dir jetzt eine tolle Geschichte.
Wie in Ihrem neuen Roman.
Da wollte ich auch mit meinen besten Freunden spielen: mit Charles Dickens, Jane Austen, Henry James. Das sind die Autoren, die ich liebe. Das ist Literatur zum Hineinsinken. Ich werde diesen Meistern nie auch nur bis zur Kniekehle reichen. Aber ich möchte wenigstens im selben Sandkasten spielen wie sie.
Sie sind von Philadelphia über Amsterdam bis in den Südpazifik gereist, um die verschiedenen Schauplätze dieses Buches auszukundschaften. Was ist Ihnen davon besonders in Erinnerung geblieben?
Raivavae, eine der abgelegensten Inseln der Welt in Französisch-Polynesien. Dort unternahm ich die anstrengendste Wanderung meines Lebens, um auf den Gipfel eines erloschenen Vulkans zu gelangen, der so hoch ist, dass ich zwei Wettersysteme gleichzeitig erlebte, als ich oben war: Rechts wärmte mich die Sonne, die von einem strahlend blauen Himmel schien, links wurde ich nass geregnet und meine Hand steckte im Nebel. Plötzlich wurde mir klar, was Yin und Yang, was „ao“ und „po“ bedeutet, die Vorstellung von Licht und Dunkelheit, von der die polynesische Kultur durchdrungen ist. Mir wurde bewusst, wie nahe beides beieinander liegt.
Auch Alma steht auf diesem Gipfel und denkt über das Wesen der Dinge und der Liebe nach. Als Wissenschaftlerin treibt sie besonders die Frage um, weshalb Menschen Gutes tun und Kunst schaffen, obwohl ihnen dadurch kein evolutionärer Vorteil erwächst. Wie würden Sie diese Frage beantworten?
Ich weiß es nicht. Ich möchte am liebsten unter den nächsten Tisch kriechen und heulen über die Tatsache, dass in den USA die Gültigkeit der Evolutionstheorie noch immer bezweifelt wird.
Arbeiten Sie an einem neuen Roman?
Ich möchte der Literatur tatsächlich noch eine Weile treu bleiben. Es hat solchen Spaß gemacht, endlich nicht mehr über mich selber schreiben zu müssen, sondern nach Herzenslust drauflos zu erfinden. Die Damen in meinem nächsten Roman werden allerdings nicht ganz so wissenschaftlich veranlagt sein wie Alma . . . und hemmungsloser, viel, viel hemmungsloser.