Kurt Lauk sieht im beschleunigten Atomausstieg eine Gefahr für den Industriestandort und warnt vor überproportionalen Belastungen.  

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Berlin - Der CDU-Wirtschaftsrat sieht im beschleunigten Atomausstieg eine Gefahr für den Industriestandort und warnt vor überproportionalen Belastungen. Kurt Lauk, der Chef des CDU-Wirtschaftsrats, ist überzeugt, dass der derzeitige Ausstiegskurs die Armen ärmer macht.

 

Herr Lauk, wie schnell kann der Atomausstieg in Deutschland realisiert werden?

Sogar die Grünen wollen zehn Atommeiler noch eine ganze Weile weiterlaufen lassen. Das wird wohl so etwa der Konsens. Wir können an unserem Industriestandort die Energiepolitik nicht länger streitig stellen.

Sie zitieren die Grünen, warum nicht Bayerns Umweltminister Söder, der 2020 anpeilt, oder den Sachverständigenrat für Umweltfragen, der von 2015 spricht?

Zurzeit wird diskutiert, als wäre der Fuchs im Hühnerstall: Alle sind aufgescheucht, es gibt kein Konzept, und jeder meint, eine Zahl nennen zu müssen. Aber wir dürfen die Fragen nicht auf Kernkraft verengen. Es geht um Industrie- und Standortpolitik, um Netze, Netzmanagement, Speicher und Gaskraftwerke. Wir dürfen keine Energiepolitik machen, die die Besserverdienenden sich leisten können und die Armen ärmer macht. Auf diesem Kurs sind wir.

Kämpfen Sie wegen der sozialen Problematik weiter für die Laufzeitverlängerung, wie sie im Herbst 2010 beschlossen wurde?

Nein, dafür kämpfe ich nicht. Aber aus meiner Sicht gibt es nach wie vor einen Konsens, dass man Kernkraft trotz Japan sicher betreiben kann. Sonst müsste man morgen abschalten. Das fordert niemand.

Die Bundeskanzlerin schätzt das Restrisiko heute anders ein als vor Fukushima.

Keiner bestreitet das. Aber wir müssen uns vor einem nationalen Alleingang hüten.

Wo liegen die größten Hemmnisse?

Wir brauchen schnell Netze, weil wir sonst die Windkraft aus dem Norden nicht in den Süden bringen. Die Folgen eines Atomausstiegs sind mitnichten allgemein akzeptiert. Fragen Sie mal die Bevölkerung bei Kassel, wo es 10000 Proteste gegen den Leitungsbau gibt. In den letzten zwölf Jahren haben wir hundert Kilometer Leitungen gebaut - wir brauchen aber Tausende.

Sind die Akzeptanzprobleme das größte Hindernis oder die Kosten?

Das schenkt sich nicht viel.

Mit welchen Kosten rechnen Sie?

Wenn Deutschland unsinnigerweise einen Alleingang macht, wird die Energiewende einen hohen dreistelligen Milliardenbetrag kosten. Dann kann die Regierung allerdings auch gleich den Import von Atomstrom verbieten - das ist dann wenigstens konsequenter Unsinn. Ich bin auf alle Irrationalitäten gefasst.

Welche Branchen trifft es am stärksten, wenn der Ausstieg früher kommt?

Teile der Chemieindustrie, der Stahl- und Aluminiumindustrie sind schon weg. Noch schlimmer ist, dass auch innovative Industrien vertrieben werden - die Carbonteileproduktion für Elektroautos zum Beispiel.

Gebäudesanierung, Trassen-, Windpark- und Speicherbau schaffen Arbeitsplätze. Eine moderne Infrastruktur ist zudem ein volkswirtschaftlicher Wert, oder?

Das stimmt, aber bei der Energieproduktion müssen wir ehrlich sein: Bei der Windindustrie lag die Subvention für einen Arbeitsplatz in 2010 bei etwa 2900 Euro - bei der Solarindustrie waren es im gleichen Jahr mehr als 300.000 Euro.

"Am Ende zahhlt der Verbraucher"

Und wie war das damals bei der Steinkohle?

Das ist ja abgeschafft und kein Modell. Die Subventionen für erneuerbare Energie haben die Steinkohle überholt. Um diese Branche aufzupäppeln, haben wir in den vergangenen zehn Jahren 85 Milliarden Euro an Kosten aufgehäuft. Da fasse ich mir an den Kopf. Obwohl Wind nur sechs Prozent und Fotovoltaik nur 1,9 Prozent zur Stromerzeugung beitragen, muss jeder Vier-Personen-Haushalt rund 5300 Euro dafür bezahlen. Das ist für Durchschnittsverdiener eine Menge Geld. Noch ein Wort zur Gebäudesanierung: dabei entsteht Mehrwert, das ist wahr. Aber wer zahlt? Diese Koalition wird das Paket nicht stemmen und die nächste auch nicht; ein Bürger mit Normaleinkommen kann eine energetische Sanierung nicht finanzieren. Die Besserverdienenden können diese Kehrtwende mitmachen, aber die Armen machen wir dadurch ärmer.

Da sind Sie ganz auf SPD-Kurs. Die drückt jetzt auch nicht mehr aufs Tempo, sondern legt Wert auf die Bezahlbarkeit der Wende.

Ich bin froh, dass die SPD dieses Thema endlich aufnimmt. Der Wirtschaftsrat vertritt diese Position seit langem.

Kann nicht gerade der Maschinenbau im Südwesten von der Atomwende profitieren?

Schon. Aber an der Industriestruktur hängen Wohlstand, Arbeitsplätze und die Sozialsysteme. Wir haben in Europa den höchsten Industrieanteil am Bruttoinlandsprodukt. Steuern wir bei Energie um, tasten wir die gesellschaftlichen Grundlagen an.

Brüderle und Röttgen wollen die Wende mit Milliarden aus der Staatskasse finanzieren. Kauder und die Haushälter der Koalition setzen auf Sparpakete und die Verbraucher. Auf welche Seite schlagen Sie sich?

Erstens wird die Wende billiger, wenn wir sie EU-weit realisieren. Zweitens müssen wir die Schuldenbremse einhalten und 2016 einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen. Am meisten Geld steckt der Staat in die Sozialsysteme, dort liegt also die Masse zum Umschichten. Sollen wir für den Atomausstieg bei Gesundheit, Arbeitslosen und Rente kürzen? Auf diese Debatte freue ich mich schon. Am Ende zahlt in jedem Fall der Verbraucher.

Am Freitag berät die Bundeskanzlerin Angela Merkel mit allen Ministerpräsidenten über das Thema. Welchen Beitrag erwarten Sie von den Ländern?

Sie müssen, wie beim Autobahnbau nach der Wiedervereinigung, Planungsrechte an den Bund abgeben. Sonst kriegen wir die Netze nicht gebaut, bis die Meiler abgeschaltet werden.