So gesund und umsichtig man auch lebt – der Körper macht irgendwann nicht mehr mit. Lässt sich das verhindern? Eine Einschätzung.

Stuttgart - Warum können Menschen nicht 150 Jahre alt werden wie einige Schildkröten? Liegt es an den Genen, und wird sich das Leben eines Tages mit Medikamenten verlängern lassen? Wäre das überhaupt eine verlockende Alternative? Der britische Gerontologe Thomas Kirkwood hat schon in den 70er Jahren eine biologische Theorie des Alterns aufgestellt. Heute leitet er ein Institut zur Alternsforschung an der Universität Newcastle. Im Gespräch gibt der 59-Jährige einen Einblick in seinen persönlichen Umgang mit dem Altern.

 

 Herr Kirkwood, ich bin jetzt 28 Jahre alt. Wie lang werde ich leben?

Es wäre arrogant, das beantworten zu wollen. Ihre Familiengeschichte ist dafür wichtig, Ihr Lebensstil, die Veränderungen in der Gesellschaft. Aber Sie haben eine gute Chance, 90 zu werden. Mit etwas Glück könnten Sie es sogar bis 100 schaffen.

Mit Glück oder mit guten Genen?

Sie brauchen beides. Der Zufall spielt eine große Rolle. Aber wenn Sie sehr, sehr alt werden, dann haben Sie höchstwahrscheinlich auch Gene, die diese Langlebigkeit befördern. Darum suchen Forscher wie ich entweder unter Hundertjährigen oder wenigstens bei Menschen, die 90 Jahre alt sind, nach Langlebigkeitsgenen.

Gibt es ein bestimmtes Alter, ab dem die Gene entscheidend sind?

Es gibt keine genetische Uhr für das Altern. Der Zufall spielt eine große Rolle. Man sieht das bei bestimmten Würmern: Da können wir Populationen genetisch identischer Würmer züchten und sie in Flüssigkultur rühren, so dass alle Würmer genau dieselben Lebensumstände haben. Diese Würmer haben ein präzises Entwicklungsprogramm. Bei jedem Tier entstehen genau 959 Körperzellen. Und es gibt eine Mutation bei diesen Würmern, die sie länger leben lässt. Aber wenn Sie zwei Populationen nehmen - eine langlebig, eine kurzlebig -, in sich jeweils genetisch identisch, dann ist die Lebensspanne eines Individuums dennoch ungeheuer variabel.

Sie sind 59 Jahre alt. Wird die Forschung persönlicher, wenn man älter wird?

Eigentlich nicht. Die Sache, die mich am meisten frustriert, ist, was das Altern dem Sehsinn antut. Seit ich zehn bin, trage ich eine Brille. Aber jetzt habe ich drei: eine zum Autofahren, eine für die Arbeit am Schreibtisch, und diese Brille, die bifokal ist. Da den Überblick zu behalten, finde ich wirklich nervig. Andererseits ist das Altern eine interessante Reise. Man wird lockerer, ich genieße das Leben tatsächlich mehr.

Was machen Sie, um alt zu werden?

Ich versuche, mich gesund zu ernähren. Aber ich esse auch gerne Steak und Pommes, wenn auch nicht jeden Abend. Ich esse viel Gemüse, viel Fisch. Aber das ist auch die Art Essen, die ich mag. Ich lebe keinen optimalen Lebensstil für ein langes Leben. Weil ich zu viel Druck und Stress habe; ich bin ehrgeizig und getrieben. Man sollte versuchen, relaxter zu sein. Ich lerne, das Leben leichter zu nehmen, und darin werde ich besser, je älter ich werde.

Was sollte ich denn tun, um meine Chancen zu verbessern, 100 zu werden?

Sie sollten Ihren Körper lieben und ihn so behandeln, wie ein Mensch, der sein Auto liebt, es behandelt. Geben Sie sich den richtigen Treibstoff, machen Sie Sport, schlafen Sie genug, fühlen Sie sich gut. Das Selbstwertgefühl ist sehr wichtig für eine gute Gesundheit. Versuchen Sie, interessiert zu bleiben. Behalten Sie den Wunsch, ein erfülltes Leben zu leben. Stellen Sie weiter Fragen!

Laut Studien sollte ich auch heiraten, oder?

Die vorhandenen Studien zeigen, dass eine Ehe das Leben verlängert. Es sollte aber möglichst eine glückliche Ehe sein. Und wahrscheinlich macht es keinen Unterschied, ob Sie heiraten oder in einer festen Beziehung sind. Eine gesunde Beziehung mit einer anderen Person zu haben, Frustration teilen zu können, das ist gut. Man hat in Studien nur eben verheiratete Menschen und Singles verglichen.

Aristoteles glaubte, dass jeder Geschlechtsverkehr die Lebensspanne reduziere. Ist Enthaltsamkeit auch lebensverlängernd?

Das gilt wohl nur für Fruchtfliegenweibchen. Offenbar injizieren die Männchen mit ihren Spermien auch Stoffe, die den Weibchen schaden. Diese sollen die Spermien von Rivalen schädigen. Für den Menschen gilt aber eher das Gegenteil. Vermutlich verlängert Sex die Lebenserwartung, denn es ist körperliche Anstrengung und gut für die geistige Gesundheit. Auch Kinder zu haben verkürzt das Leben nicht unbedingt. Es gibt eine Studie aus Norwegen, die zeigt, dass die Lebenserwartung von Frauen mit sehr vielen Kindern abnimmt. Das sind dann aber acht oder mehr Kinder. Und so erstaunlich ist das nicht, denn wir wissen, dass eine Schwangerschaft nicht gut ist für die Knochen und die Zähne einer Frau, weil das Kalzium für den wachsenden Embryo abgezweigt wird.

Aber Frauen, die besonders alt werden, sind doch häufiger kinderlos?

Es gibt beim Menschen einen Zusammenhang zwischen der Fruchtbarkeit und der Lebenserwartung. Das liegt vermutlich am Immunsystem. Ein sehr empfindliches Immunsystem vergrößert die Chance, alt zu werden in dieser Welt voller Infektionskrankheiten. Bei einer Frau kann das aber die Fruchtbarkeit schmälern, denn um ein befruchtetes Ei im Körper heranreifen zu lassen, muss das Immunsystem gewissermaßen einen Kompromiss eingehen.

Vor 200 Jahren glaubte man, dass alle Lebewesen irgendwann sterben, weil der Nachwuchs sonst keine Chance hätte, sich durchzusetzen. Das ist doch eine nette Idee.

Sie leuchtet ein: Wenn Lebewesen nicht altern würden, dann wäre die Welt voller Tiere, die allen Platz einnehmen und alles fressen, und es gäbe keinen Platz für Wachstum, keine Möglichkeit für neue Generationen zu entstehen. Das ist wirklich eine nette Idee, aber wie so viele attraktive Ideen ist sie grundsätzlich falsch. Das zeigt schon eine einfache Tatsache: In der Natur leben Tiere nicht lang genug, um zu altern. Nur der Mensch hat ein Überbevölkerungsproblem. Tiere in der Wildnis sterben jung. Wenn Sie Mäuse im Labor halten, dann leben sie drei, vielleicht sogar vier Jahre. Aber in der Natur erleben 90 Prozent der Mäuse ihren ersten Geburtstag nicht.

Aber es gibt doch Tiere, die sehr lange leben?

Allerdings. Aber sie leben - bis auf einige Ausnahmen - eben nicht so lange, dass sie Zeichen des Alterns zeigen.

Warum leben manche Tiere dann länger?

Was ein Organismus zu seinen Lebzeiten macht, ist Folgendes: Er nimmt Nahrung auf, wandelt sie in Energie um und nutzt sie dann, um die Dinge zu tun, die er im Leben tun muss: also wachsen, Nachkommen zeugen und seinen Körper in Schuss halten und reparieren, weil der ständig geschädigt wird. Die Frage ist also: Wie viel Energie sollte ein Lebewesen in diese Reparatur stecken? Die Antwort: nur so viel Energie, dass der Körper in gutem Zustand bleibt für die Zeit, die das Lebewesen vermutlich in der Wildnis überlebt. Die Maus benötigt zum Beispiel einen Körper, der 18 Monate lang gut in Schuss ist. Alles darüber hinaus wäre Verschwendung. Diese Theorie habe ich bereits 1977 aufgestellt.

Wir altern also, weil wir länger leben, als unser Körper erwartet hat?

Der Mensch altert, weil der enorme Druck der natürlichen Selektion Organismen geschaffen hat, die nur so viel Energie in ihre Reparatur stecken, wie nötig ist, um die zu erwartende Lebenszeit zu überstehen. In einen Körper zu investieren, der ewig leben kann, wäre Verschwendung.

Für die Natur ja, viele Menschen würden aber sicher investieren. Wird es einmal eine Pille für ein deutlich längeres Leben geben?

Das ist schon möglich, doch wahrscheinlich nicht zu unseren Lebzeiten. Einige Pharmafirmen haben sehr viel Geld investiert. Aber ich glaube, dass der menschliche Körper ohnehin sehr viel Energie in die Reparaturmechanismen steckt. Da ist vielleicht nicht mehr so viel Luft, das noch zu verbessern.

Aber theoretisch könnten wir doch den Körper so beeinflussen, dass er mehr Energie in die Reparaturmechanismen steckt?

Denkbar wäre das. Wir sind jetzt zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit in den Ländern der Ersten Welt von der Gefahr des Hungerns befreit. Heute haben wir alle Energie, die wir benötigen. Einen Teil davon könnte man vielleicht in die Reparaturmechanismen stecken.

Wäre das denn sinnvoll?

Länger zu leben ist natürlich verlockend. Aber wir gewinnen doch schon jedes Jahrzehnt zwei Jahre Lebenserwartung hinzu. Haben wir das erfolgreich gemeistert? Nein, wir passen uns furchtbar schlecht an.

Und träumen trotzdem vom ewigen Leben.

In den USA erschien vor einiger Zeit ein Buch über das Altern. Die These war: wenn die Alternsforschung so schnell fortschreitet, dass wir jedes Jahr mehr als ein Jahr Lebenserwartung hinzugewinnen, dann haben wir die Fluchtgeschwindigkeit erreicht. Das Buch war ein Aufruf, das zu forcieren, damit wir nicht eine der letzten Generationen sind, die sterben. Ich fand das furchtbar böse.

Warum böse?

Überlegen Sie mal, wie das bei Menschen ankommt, die sich tatsächlich mit den Realitäten des Älterwerdens herumschlagen. Da gibt man sich einer Fantasie hin, die von den realen Problemen ablenkt. Wir müssen die Fortschritte in der Altersforschung nutzen, um die Lebensqualität in den letzten Jahren zu verbessern.

Zur Person: Tom Kirkwood

Forscher: Tom Kirkwood (59) erforscht seit den 70er Jahren das Altern. Er studierte Mathematik und Biologie in Oxford und Cambridge. Schon 1977 stellte er eine biologische Theorie des Alterns auf, die er auch heute vertritt. Seit 1999 ist er Direktor am Institut für Altern und Gesundheit der britischen Universität Newcastle.

Buchautor: Auf deutsch ist vor elf Jahren Tom Kirkwoods Buch „Zeit unseres Lebens – Warum Altern biologisch unnötig ist“ im Aufbau-Verlag erschienen.