Alvar Freude spricht im Interview über die Aufregung um Street View, die Internet-Kenntnis von Politikern und die Debatte um Netzsperren.

Alvar Freude ist als Experte Mitglied in der Enquetekomission "Internet und digitale Gesellschaft." Google Street View sei nichts anderes als eine erweiterte Straßenkarte, sagt er im Interview.

Herr Freude, Sie sind als Experte Mitglied der Enquetekommission "Internet und digitale Gesellschaft" des Bundestages. Können Sie uns sagen, was die Politik mit dem Internet vorhat?


Das kommt darauf an. Es gibt einige Politiker, die für das Internet am liebsten Regeln wie im Straßenverkehr aufstellen würden - mit Schildern, Geschwindigkeitsbegrenzungen und Führerscheinentzug. Ich glaube, das hängt aber vom Kenntnisstand der jeweiligen Politiker über das Internet ab.

Sehen Sie da Unterschiede zwischen den Parteien?


Nicht unbedingt. Zwar gibt es in der Union einige Abgeordnete, die das Internet stärker kontrolliert sehen wollen, während Politiker von der FDP liberaler sind, auf der anderen Seite unterscheiden sich die Meinungen einiger Unionsmitglieder aber nicht so sehr von denen sogenannter Netzaktivisten.

Hat die Enquetekommission also schon Erfolg?


Das wird sich zeigen. Ich denke, dass die Kommission einiges erreichen kann. Wie viel, muss sich zeigen. Es kommt darauf an, welche Vorschläge der Kommission am Ende tatsächlich von der Politik umgesetzt werden. Bei der Tagespolitik ist die Kommission aber ohnehin außen vor.

Zum Beispiel beim Thema Google Street View.


Genau. Um Street View herrscht eine Hysterie, die ich nur schwer nachvollziehen kann.

Woran liegt diese Hysterie Ihrer Meinung nach?


An Unkenntnis. Viele Menschen haben offenbar die Befürchtung, dass sie bei Google live im Internet zu sehen sein könnten. Dabei ist Street View nichts anderes als eine erweiterte Straßenkarte. Den Leuten wird unterschwellig Angst gemacht, dass da irgendetwas Schlimmes im Internet passiert. Das ist eine Strategie, die wir öfters beobachten. Etwa auch, wenn es um das Zugangserschwerungsgesetz, Islamismus oder Urheberrechtsverletzungen im Internet geht. Das sind vorgeschobene Argumente.

Überlagert die Debatte über Street View also andere, wichtigere netzpolitische Themen?


Ja, auf jeden Fall. Es wird jetzt viel darüber diskutiert, dass Banken oder Arbeitgeber mit Street View das Wohnumfeld begutachten könnten. Aber das passiert schon seit Jahren. Scoring-Firmen nutzen Daten aus dem Wohnumfeld, um die Kreditwürdigkeit zu bestimmen. Ein wichtiges Thema, aber das ist nicht so plakativ. Bei Google hat man ein Bild.

Insgesamt scheint Netzpolitik aber nicht mehr nur ein Nischenthema zu sein.


Das stimmt. In den letzten anderthalb Jahren hat sich einiges verändert. Vor der Diskussion über die Netzsperren war das ein Themen, mit dem sich nur ein paar Experten in den Fraktionen beschäftigt haben. Damit konnte man sich innerparteilich kaum profilieren. Aber das hat sich stark geändert. Fast alle Fraktionen haben jetzt Leute in ihren Reihen, die aus dem Netzumfeld kommen und davon auch wirklich Ahnung haben.

Eines der Themen, mit denen Sie sich im Arbeitskreis Zensur intensiv beschäftigen, sind die Netzsperren gegen kinderpornografische Seiten. Sie sind zwar Gesetz, werden aber nicht umgesetzt. Ist Ihre Arbeit damit erledigt?


Ganz und gar nicht. Wir haben die schräge Situation, dass es ein Gesetz gibt, das nicht angewendet wird. Das heißt aber nicht, dass es vom Tisch ist. Die Netzsperren bleiben der falsche Weg.

Warum sind Sie so dagegen?


Weil Netzsperren nicht das Problem lösen. Und ist die Infrastruktur zum Sperren von Internetseiten erst einmal installiert, werden Begehrlichkeiten geweckt - in der Politik, auch in der Privatwirtschaft. Die Musikindustrie wäre sicherlich glücklich, wenn es Netzsperren gäbe.