Die erste Auslandsreise als Premierminister führt Li Keqiang nach Indien, Pakistan, in die Schweiz und nach Deutschland. Das ist ein Signal für die Bedeutung, die die Bundesrepublik für China hat, glaubt Asien-Expertin Gudrun Wacker.

Stuttgart - China wird sich im eigenen Interesse stärker den Freiheitsrechten widmen müssen, glaubt die Asien-Expertin Gudrun Wacker.

 

Frau Wacker, ist der Besuch des neuen chinesischen Premiers Li Keqiang mehr als Routine?
Auf jeden Fall. Seine erste Auslandsreise als Premierminister führt Li Keqiang nach Indien, Pakistan, in die Schweiz und nach Deutschland. Wir sind also das einzige EU-Mitgliedsland, das auf seinem ersten Reiseplan steht. Deshalb ist seine Visite schon ein Signal. Deutschland ist der größte Handelspartner Chinas innerhalb der EU und einer der größten Investoren. Man muss sich vor Augen halten, dass Deutschland ein größeres Handelsvolumen mit China vorweisen kann als Frankreich, Italien und Großbritannien zusammen. Für unsere Autoindustrie ist China mittlerweile einer der größten Absatzmärkte. Deutschland ist vor allem, und das ist für China von enormer Bedeutung, einer der großen Technologielieferanten.

Welche Themen werden das deutsch-chinesische Verhältnis in den kommenden Monaten prägen?
An den Herausforderungen hat sich mit dem Wechsel der Führung im Grunde nichts geändert. Es gibt eine Liste von Klagen, die unsere Unternehmen haben. Dazu gehören Marktzugangsbeschränkungen etwa für Dienstleistungen wie Versicherungen, Banken und so weiter. Fragen des Umgangs mit geistigem Eigentum und Industriespionage bleiben sicher ebenso auf der Tagesordnung. Und auch das Thema Menschenrechte wird weiter problematisiert werden. China hat hier mit der Entlassung eines inhaftierten deutschen Kunstspediteurs kurz vor dieser Reise zumindest ein symbolisches Zeichen gesetzt. Menschenrechte, Meinungsfreiheit und Pressefreiheit lassen sich aus einem Dialog nicht wegdenken.

Sitzt China da nicht am längeren Hebel?
Trotzdem ist es wichtig, auch über Menschenrechte zu reden. Allein schon, um jene zu ermutigen, die sich in China dafür einsetzen. Das sind keineswegs nur die Aktivisten, sondern auch jene, die schlicht darauf pochen, dass China seine eigene Verfassung ernst nimmt und Rechtssicherheit garantiert. Die neue Führung hat gerade in diesem Bereich Fortschritte versprochen. Man kann und muss sie dann auch beim Wort nehmen.

Sind solche Gespräche also mehr als Symbolik?
Sie sind wichtig, weil die Reformen, die China auf den Weg bringen will, mehr Rechtsstaatlichkeit erfordern. Beispielsweise lässt sich Korruption kaum ohne unabhängige Aufsichtsgremien, eine unabhängige Justiz und unabhängige Medien bekämpfen. Bei den Rechten von Minderheiten verbittet sich China zwar eine Einmischung in innere Angelegenheiten, aber man begründet Defizite bei den Menschenrechten auf chinesischer Seite jetzt vor allem mit dem Argument, man habe noch nicht den Entwicklungsstand erreicht, um mehr Freiräume zu ermöglichen. Dass Menschenrechte universell gelten, wird von chinesischer Seite meist nicht mehr grundsätzlich infrage gestellt. Das ist ein Fortschritt.

Hat die Kanzlerin ein Gespür entwickelt, wie sie Auftreten muss, um in China Gehör zu finden?
Die Kanzlerin hatte ein sehr gutes persönliches Verhältnis mit Wen Jiabao, dem Amtsvorgänger von Li Keqiang. Ein solches Vertrauensverhältnis muss mit der neuen Führung erst aufgebaut werden. Wir sehen, dass der persönliche Stil der neuen Führung ein anderer ist; man gibt sich lockerer an Parteispitze und Regierung. Ein Beispiel: Li Keqiang wollte sich am Samstagabend das Champions-League-Finale im Fernsehen ansehen. Was dieses lockere, offenere Auftreten für das Verhältnis zur Kanzlerin – oder überhaupt für die chinesische Außenpolitik – bedeutet, lässt sich aber noch nicht sagen.

Abgesehen vom Handelsvolumen: Was macht Deutschland in der EU für China einzigartig?
In China ist man der Ansicht, dass das, was Deutschland entscheidet, in der gesamten Europäischen Union wegweisend ist. Das ist nicht ganz ungefährlich, denn wenn Deutschland Dinge in Aussicht stellt und Brüssel anschließend nicht mitzieht, sieht es in den Augen der chinesischen Führung so aus, als könnten wir nicht liefern, was wir versprechen. Das andere Risiko ist, dass Deutschland dadurch die Verhandlungsposition der EU gegenüber China schwächt. Insgesamt sollte Deutschland angesichts der europaweit umstrittenen Haltung bei der Eurorettung in der EU nicht zu dominant aufzutreten.