Harry Luck hat ein Buch über Spießertum geschrieben. Im StZ-Interview erklärt er, warum er Gartenzwerge und kurzärmelige Hemden gar nicht so schlimm findet – und warum gepflegtes Uncoolsein befreiend wirkt.

Berlin – - Er ist einer der Menschen, die nie ohne Schirm aus dem Haus gehen und keine Folge von „Wetten, dass . . .?“ verpassen. Spießig zu sein, das ist das neue cool, behauptet der Bamberger Autor Harry Luck – und hat eine Enzyklopädie des Spießertums herausgegeben. Zeit für ein Streitgespräch.
Herr Luck, kann es sein, dass Sie bei der Bundestagswahl die Grünen gewählt haben?
Weil Claudia Roth gesagt hat, dass sie eine Oberspießerin sei, weil sie den Feierabend am liebsten auf der Couch verbringt? Klar, im Vergleich zu den bärtigen Strickpulliträgern der Achtziger sind die Nadelstreifen-Grünen von heute sehr spießig geworden. Aber Spießer gibt’s in allen Parteien. Ich wäre nicht überrascht, wenn Peer Steinbrück zu Hause eine Schrankwand hat und Angela Merkel gerne Eierlikör trinkt.
In Ihrem Buch brechen Sie eine Lanze für Sitzpinkler und Wertstofftrenner. Man denkt an einen linken Ökospießer, der Autofahrern den Rückspiegel abtritt, wenn die den Wagen halb auf dem Fußweg parken.
Sorry, aber in dieses Klischee passe ich nicht. Anderen zu schaden, das liegt mir fern. Der neue Spießer ist sympathisch und tolerant, aber diese Toleranz fordert er auch für sich selbst ein  . . .
. . . das lag schon immer in der Natur des Spießers . . .
Ich möchte mich aber nicht dafür rechtfertigen müssen, Filterkaffee und alkoholfreies Bier zu trinken. Damit schade ich ja niemandem. Der intelligente Spießer zeigt ein gesundes Selbstbewusstsein gegen den Trend und die Marschbefehle der Hipster und Modepäpste.
Ihr Buch suggeriert, dass Spießer die besseren Menschen sind, weil sie gesünder leben und überhaupt besser wissen, was gut für sie und andere ist. Wie spießig ist das denn?!
Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Schrebergärtner gesünder leben, weil sie ihr eigenes Obst und Gemüse anbauen und viel im Freien sind. Wer immer einen Regenschirm bei sich hat, sieht uncool aus, wird aber nicht nass und bleibt gesund.
Müssen Sie das sagen, weil Sie eine steile These für Ihr Buch brauchten – oder finden Sie Schrebergärtner und Filterkaffeetrinker wirklich cool?
Ich verstehe „Spießer“ nicht als Schimpfwort. Mir geht es darum zu zeigen, dass man nicht um jeden Preis cool sein muss, sondern dass das gepflegte Uncoolsein sehr befreiend wirkt.
Dann ist Ihr Buch in Wirklichkeit eine Kampfansage an die sogenannten Hipster?
Kampfansagen liegen mir fern! Mein Buch ist ein Appell an Eierlikörtrinker und Kurzarmhemdträger, sich zu den Dingen zu bekennen, die sie gerne tun, ohne sich zu schämen.
Die vielen Erkennungsmerkmale, die Sie in Ihrer Enzyklopädie auflisten, treffen ja in der einen oder anderen Form auf 90 Prozent der Bevölkerung zu. Ist man schon spießig, nur weil man gerne ab und zu einen Sonntagsbraten isst oder im eigenen Garten wühlt?
In der Tat glaube ich, dass in jedem ein Spießer steckt. Sogar in Claudia Roth, die in dem genannten Interview zugegeben hat, einen Gartenzwerg zu besitzen. Das Spießigste ist übrigens, andere als Spießer zu bezeichnen.
Sie sind kürzlich von München nach Bamberg gezogen. Hat man es als Spießer in der Provinz leichter?
Zumindest gelten in der Großstadt andere Dinge als spießig als in der Provinz. Bestes Beispiel ist das Kurzarmhemd: In München oder Berlin werden Sie außer bei Busfahrern oder Schutzpolizisten kein Kurzarmhemd finden, weil die Modepäpste das als uncool verboten haben. In Bamberg tragen der Bürgermeister und der Sparkassendirektor wie selbstverständlich ein Kurzarmhemd, vielleicht sogar mit Krawatte. Und niemand käme auf die Idee, das wäre nicht in Ordnung.