Theoretisch könne ein Solarflugzeug ewig fliegen, sagt der Schweizer Bertrand Piccard. Er will darin zumindest die Welt umrunden. Ein Gespräch über seine Motive und die Vorbilder in seiner Familie.

Stuttgart – In drei Jahren wollen Bertrand Piccard und sein Pilot André Borschberg aus der Schweiz mit einem Solarflugzeug die Welt umrunden – ganz ohne Treibstoff. Zurzeit testen sie eine zweite Version ihres Fliegers Solar Impulse, mit dem sie die Tour in fünf mehrtägigen Etappen meistern wollen. Die erste Solar Impulse hat bereits einen Flug von Spanien nach Marokko absolviert. Die Kosten von rund 110 Millionen Euro werden von Sponsoren bezahlt. Was treibt Bertrand Piccard an? Ralf Nestler sprach mit Bertrand Piccard über die Vorbilder in seiner Familie und die Vision einer besseren Welt.
Herr Piccard, wie sind Sie auf die Idee gekommen, mit einem Solarflugzeug die Welt zu umrunden?
Für mich ist es völlig logisch, so etwas zu tun. Ich frage mich eher, warum niemand vor mir auf die Idee gekommen ist. Wir leben in einer Welt, die jeden Tag elf Millionen Tonnen Erdöl verbraucht. Wir verändern das Klima, verschmutzen den Planeten, verbrauchen viel zu viele Rohstoffe. Wir hinterlassen den nachfolgenden Generationen wahnsinnig hohe Schulden, die sie niemals zurückzahlen können. Und wir glauben, wir könnten einfach so weitermachen. Es ist verrückt, in diesem Wahnsinnstempo in die falsche Richtung zu rennen. Wir haben längst Technologien, die es uns ermöglichen, Energie zu sparen oder mit erneuerbaren Energien unseren Bedarf zu großen Teilen zu decken. Solar Impulse soll demonstrieren, was wir mit diesen neuen Techniken erreichen können.

Um diese zu etablieren, ist viel Geld nötig. Woher soll das kommen in wirtschaftlich schwierigen Zeiten?
Vor allem die Politik hat noch nicht verstanden, dass diese Technologien profitabel sind. Egal ob Kühlschränke, Computer, Autos oder Häuser – mit neuer Technik verbrauchen sie viel weniger Energie. Wenn wir Wirtschaftswachstum erzeugen wollen, müssen wir solche Produkte auf den Markt bringen. Die Leute werden sie kaufen, weil sie am Ende Geld sparen.

Aber die Investitionen sind zunächst recht hoch, sei es für ein Hybridauto oder eine umfassende Gebäudeisolierung. Herkömmliche Techniken sind billiger, warum sollte man mehr ausgeben?
Das ist keine Spende, sondern eine Investition, die sich rechnet. Es ist paradox, die Technologien sind da, aber sie werden kaum genutzt. Wir brauchen einen rechtlichen Rahmen, der die Industrie zwingt, diese sauberen Technologien auf den Markt zu bringen.

Das wäre eine massive Einmischung des Staates.
Es gibt schon jetzt viele Bereiche, in denen der Staat Regeln schafft, damit das Zusammenleben funktioniert. Tempolimits in Ortschaften oder das Verbot, seinen Hausmüll in den Wald zu werfen. Warum gibt es das nicht bei der Energie? Warum ist es erlaubt, so viel Energie zu verbrauchen, wie man will, und so viel Kohlendioxid in die Atmosphäre zu blasen, wie man will? Warum ist es erlaubt, ein Auto zu bauen, das 20 Liter Sprit pro 100 Kilometer verbraucht, obwohl es mit der gleichen Geschwindigkeit, bei gleichem Komfort und gleicher Sicherheit mit der Hälfte oder gar einem Viertel des Kraftstoffs auskommen könnte? Ich sage nicht, dass die Menschen in ihrer Mobilität oder ihrem Wohnkomfort eingeschränkt werden sollen. Alle sollen die gleichen Freiheiten haben – aber mit einem rechtlichen Rahmen, der dazu zwingt, Energie und Ressourcen zu sparen. Das wiederum wird die Industrie animieren, neue Techniken zu entwickeln.

Welche Rolle kann das Flugzeug auf dem Weg in diese „grüne Zukunft“ spielen ?
Solar Impulse soll nicht die Luftfahrt revolutionieren, sondern unser Denken. Soweit wir wissen, werden Solarflugzeuge vorerst nicht im Passagierverkehr fliegen. Sie können nur sehr wenig Last transportieren, im Moment nur einen Piloten. In Zukunft könnten es vielleicht einmal zwei Personen sein, aber nicht mehr. Solar Impulse soll vielmehr die Menschen für die neuen Techniken begeistern. Würden diese überall auf der Welt eingesetzt, könnten wir den fossilen Energieverbrauch sofort halbieren. Und die andere Hälfte können wir zur Hälfte aus erneuerbaren Quellen decken, das restliche Viertel mit Öl und Gas. Das wäre ein akzeptables Maß für die Umwelt.

Welche Techniken wurden mit dem Bau des Fliegers konkret verbessert? Kommt das der Allgemeinheit zugute?
Da gibt es eine ganze Menge – von extrem effizienten Motoren über leistungsfähige Batterien, Beleuchtung bis zu ultraleichten Strukturen aus Kohlenstofffasern. Die beteiligten Firmen bringen diese neuen Techniken auch auf den Markt.

Sie sind schon viele Flugzeuge geflogen, wie fühlt sich der Solarflieger an?
Wenn man im Cockpit sitzt, hat man wirklich das Gefühl, in die Zukunft zu fliegen. Je weiter man fliegt, umso mehr Energie hat man zur Verfügung – zumindest tagsüber. Wenn man startet, sind vielleicht 30 Prozent in den Batterien, und wenn man gegen Abend durch die Luft gleitet, sind die Batterien voll – aufgeladen von der Sonne. Ein wunderbares Gefühl.

Aber ist es nicht sehr eng in der Kabine?
Ja, aber die ersten Raumkapseln waren auch sehr eng. Das Ziel ist nicht, eine bequeme Reise zu ermöglichen, sondern eine lange. Sie können theoretisch einen endlosen Flug machen. Die Batterien werden tagsüber geladen, nachts verbraucht, und morgens beginnt der Ladezyklus von vorn. Das einzige Limit ist der Pilot.

Wie lange kann ein Mensch diese Belastung aushalten? Beim Überfliegen von Ozeanen muss er Tage und Nächte fit bleiben, um zum anderen Festland zu gelangen. Solar Impulse ist ohne Rückenwind ja nur so schnell wie ein Auto auf der Landstraße.
Von Asien bis Hawaii rechnen wir vier bis sechs Tage nonstop. Das ist etwa das Maximum, was möglich ist. Aber dann fliegen wir auch mit dem neuen Prototyp, der gerade gebaut wird. Er wird eine etwas größere Kabine haben, in der sich der Pilot für kurze Schlafphasen hinlegen kann. So lange übernimmt ein Autopilot.

Ihr Großvater flog als Erster mit einem Ballon in die Stratosphäre, Ihr Vater tauchte mit der Trieste zum Grund des Marianengrabens. Haben Sie Ihre Abenteuer freiwillig unternommen, oder sahen Sie sich in der Pflicht, den Ruf der Familie zu verteidigen?
Natürlich war das ein Antrieb für mich. Mein Großvater, mein Vater, ihre Freunde – Astronauten, Taucher, Bergsteiger, Forscher – waren Vorbilder für mich. Es hat mich später gewundert, dass es auf der Welt überhaupt so wenige Pioniere und Entdecker gab, dass für so viele scheinbar alles klar war. Für mich war es selbstverständlich, neue Dinge zu erforschen.

Wie ist es mit Ihren Töchtern? Erwarten Sie, dass sie diese Tradition fortführen?
Ich lehre sie, neugierig zu sein, offen für andere Ideen. Ich hoffe, sie werden zu Pionieren in ihren jeweiligen Berufen. Die Zeit der großen Eroberungen auf unserem Planeten ist vorüber. Wir haben alles erreicht, den höchsten Berg, die tiefsten Meeresgräben. Die neuen Pioniere müssen sich um andere Themen kümmern wie zum Beispiel Lebensqualität, Armutsbekämpfung, Menschenrechte, Medizin, Nachhaltigkeit, erneuerbare Energien. Davon profitieren letztlich alle.