Brigitte Dahlbender organisiert die Kampagne für den Stuttgart-21-Ausstieg. Sie glaubt, dass die Bahn sich nicht gegen eine Mehrheit durchsetzen kann.

Stuttgart - Sie ist Sprecherin des landesweiten Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21 und organsiert die Kampagne "Ja zum Ausstieg". Brigitte Dahlbender ist überzeugt, dass ein modernisierter Kopfbahnhof die bessere Alternative darstellt. Bei der Volksabstimmung setzt sie auf einen klaren Sieg der Projektgegner.

 

Frau Dahlbender, der Wahlkampf vor der Volksabstimmung hat begonnen, die ersten Plakate hängen und sind auch schon wieder abgerissen worden. Täuscht der Eindruck oder kleben die Befürworter des Projekts viel stärker als Sie?

Der Eindruck konnte vielleicht ganz am Anfang der Kampagne entstehen. Wir arbeiten überwiegend mit ehrenamtlich organisierten Leuten und haben von daher eine etwas längere Vorlaufzeit gebraucht. Aber inzwischen haben wir stark aufgeholt. Es haben sich landesweit mehr als 70 Bündnisse für ein Ja zum Ausstieg gegründet. Hinzu kommt: eine Volksabstimmung verläuft anders als eine Wahl. Da baut man die Kampagne nicht über einen sehr langen Zeitraum auf. Entscheidend sind vor allem die letzten 14 Tage vor dem Urnengang. Unsere Materialien werden auch über das Internet sehr gut nachgefragt und wir spüren, dass auch bei unseren Veranstaltungen quer durchs Land großes Interesse herrscht. Aber in der Tat ist es so, dass wir jetzt erst begonnen haben zu plakatieren. Bei all dem muss man sich vor Augen führen, dass wir über ein relativ bescheidenes Budget verfügen...

..wie viel Geld haben sie für die Aktionen?

Etwa 300.000 Euro plus X. Das ist vergleichsweise niedrig für einen landesweiten Abstimmungskampf und sehr viel weniger als das Geld, mit dem die Befürworter von Stuttgart 21 wirtschaften können, die natürlich kräftig von der an späteren Aufträgen interessierten Industrie unterstützt werden. Allein der Regionalverband Stuttgart sponsert die Kampagne der Befürworter mit einer Million Euro. Da sind wir deutlich bescheidener aufgestellt. Insofern schmerzt uns auch jedes zerstörte Plakat sehr, denn dort stecken unsere spärlichen Mittel drin. Wir haben durch den Vandalismus einen Schaden von inzwischen mehr als 10.000 Euro. In diesem Zusammenhang möchte ich an die Bürger appellieren, die auf den Plakaten zum Ausdruck gebrachte politische Meinung zu respektieren. Damit meine ich übrigens alle Plakate, auch die der Befürworter. Es muss doch möglich sein, sich in einem solchen Abstimmungskampf fair zu verhalten und zu akzeptieren, dass das Gegenüber eine andere Meinung vertritt.

Wie finanziert sich die Kampagne des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21?

Die 300.000 Euro basieren auf festen Zusagen von Unterstützern. Dazu zählen unter anderem auch die Grünen im Land und der Naturschutzbund Deutschland. Natürlich haben wir zusätzlich Spendenaufrufe gestartet, und wir bitten darum, über unsere Internetseite für Plakate und andere Materialien zu spenden.

Die Projektbefürworter konzentrieren sich bei ihrer Kampagne auf zwei wesentliche Botschaften: Kein weiterer Ärger - und die von ihnen auf 1,5 Milliarden bezifferten Ausstiegskosten. Eine Auseinandersetzung über strittige Themen soll gar nicht mehr geführt werden. Wie gehen Sie damit um?

Natürlich führen wir trotzdem die Sachdebatte bei den vielen Veranstaltungen, Vorträgen und Podiumsdiskussionen im ganzen Land. Wir konzentrieren uns auf die Frage der Modernisierung des Verkehrs im ganzen Land, die durch Stuttgart 21 blockiert würde. Wir thematisieren auch die aus dem Ruder laufenden Projektkosten und werden in den nächsten Wochen sicherlich auch die Ausstiegskosten nochmals in den Mittelpunkt rücken. Dagegen rechnen wir die Ausgaben für eine Modernisierung des Kopfbahnhofs, für die wir uns einsetzen. Die Projektbefürworter fahren eine sehr emotionalisierte Kampagne, die wir in der Form nicht mitmachen.

"Die Ausstiegskosten wären verkraftbar"

Nun sind die Ausstiegskosten bei Stuttgart 21 so umstritten wie die Baukosten. Das Aktionsbündnis spricht von der Ausstiegskostenlüge. Was ist damit gemeint?

Wir ziehen unter anderem das Grundstücksgeschäft mit der Stadt Stuttgart im Wert von rund 460 Millionen Euro nebst Zinsen ab, ebenso die unzulässigerweise eingerechneten Planungskosten für die Neubaustrecke sowie eine Reihe weiterer Posten, die nach unserer Ansicht keinen Vermögensschaden für die Bahn bei einem Projektende darstellen. Das jüngst vorgestellte Gutachten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Märkische Revision, wonach die Entschädigungsansprüche der Bahn bei rund 350 Millionen Euro liegen, hat unsere Auffassung bestätigt.

"350 Millionen für nichts", würde Bahnchef Grube sagen.

Das ist schlicht die Unwahrheit. Wir haben einen Kopfbahnhof, der jetzt schon viel leistet und der der zweitpünktlichste in der ganzen Republik ist. Wenn er modernisiert würde, könnte er noch deutlich mehr leisten als Stuttgart 21. Also: wir haben nicht nichts, sondern einen Bahnhof, der mit relativ bescheidenen Mitteln modernisiert werden kann. Auch der unsäglichen Behauptung der Bahn, 75 Prozent der Fahrgäste im Land würden von Stuttgart 21 profitieren, werden wir im Lauf des Wahlkampfs entgegentreten. Die Verkehrsgutachter von SMA sind in ihrer Reisezeitenstudie zum gegenteiligen Ergebnis gekommen, nämlich, dass der Kopfbahnhof 21 mehr für die Reisenden bringt.

Die Bahn sagt klipp und klar, sie werde in den alten Kopfbahnhof nichts mehr investieren, wenn Stuttgart 21 nicht kommt. Besteht diese Gefahr aus Ihrer Sicht?

Ich halte das für eine leere Drohung. Die Bahn muss ein Interesse daran haben, diesen wichtigen Knoten im Süden Deutschlands zu modernisieren. Bei dem Fahrgastaufkommen und bei den Pendlerbezügen in Stuttgart kann sich die Bahn ein Nichtstun überhaupt nicht leisten. Das ist ein reiner Popanz, der da aufgebaut wird.

Es gibt verschiedene Szenarien über das Ergebnis der Volksabstimmung. Was passiert Ihrer Einschätzung nach, wenn die Projektgegner das Quorum von 2,5 Millionen Stimmen erreichen?

Dann haben die Bürger im Land entschieden, dass sie aus dem Projekt aussteigen wollen. Das Land wäre dann gefordert, dieses Votum auch umzusetzen. Die Ausstiegskosten von 350 Millionen Euro wären verkraftbar, wenn man sich vor Augen führt, dass wir mit K 21 eine kostengünstigere Alternative mit geringeren ökologischen Eingriffen und höherer Leistungsfähigkeit auf dem Tisch haben.

Was wäre aber, wenn das Land aus der Finanzierung aussteigt und die Bahn allein weiterbaut?

Die Bahn müsste ja dann den Kostenanteil des Landes sowie die Mehrkosten oberhalb der 4,5-Milliarden-Euro-Grenze alleine tragen. Es stellt sich allerdings in diesem Fall die Frage, ob etwa der Bund noch mitfinanzieren würde.

Das Land müsste zunächst noch Region und Stadt überzeugen, ebenfalls den Finanzierungsvertrag zu kündigen.

Ich denke, es ist schlicht und ergreifend nicht möglich, ein solches Projekt gegen die Landesregierung durchzusetzen.

Da sind Sie sich ja sogar mit dem Bahnchef Rüdiger Grube einig.

Das ist der einzige Punkt, in dem ich tatsächlich seiner Meinung bin. Ich glaube auch nicht, dass die Landeshauptstadt und die Region es durchhalten würden, dieses Projekt gemeinsam mit der Bahn gegen den Bürgerwillen und gegen die Landesregierung weiter zu betreiben.

"Wir werden die Volksabstimmung gewinnen"

Und was passiert, wenn die Projektbefürworter in der Mehrheit wären? Würden Sie ein solches Ergebnis akzeptieren?

Wir haben darüber im Aktionsbündnis noch nicht abschließend gesprochen. Persönlich und als Landesvorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz kann ich sagen: wenn die Befürworter eine überzeugende Mehrheit der Stimmen hinter sich bringen sollten, würde ich das dann akzeptieren und respektieren. Aber natürlich wird sich der BUND im Rahmen seiner Aufgaben als anerkannter Naturschutzverband weiter engagieren.

Dritter Fall: die Projektgegner erhalten eine Mehrheit, gleichzeitig wird aber das Quorum verfehlt. Sie hätten zwar gewonnen, aber nicht den Segen der Verfassung.

Dann wäre aus meiner Sicht die Frage des Ausstiegs politisch zu entscheiden. Es gibt aus kommunalen Bürgerbegehren genügend Beispiele, wo ein Abstimmungsquorum nicht erreicht wurde, sich der Gemeinderat aber dem Ergebnis dennoch gebeugt hat. Auch da gilt: gegen eine überzeugende Mehrheit kann man ein solches Projekt schwerlich über die Dauer der Bauzeit von mindestens zehn Jahren durchhalten. Ich würde in einem solchen Fall die Bahn auffordern, einen wie auch immer gearteten Kompromiss gemeinsam mit allen Beteiligten zu realisieren - ob der K 21 oder Geißler-Stohler-Kombivariante heißt. Wir favorisieren die Lösung, die die geringsten Eingriffe mit sich bringt - den modernisierten Kopfbahnhof.

Mit welchem Ergebnis rechnen Sie denn am 27. November?

Ich setze darauf, dass es gelingen kann, dass Quorum zu erreichen.

Und welches Gefühl beschleicht Sie mit Blick auf den Januar/Februar 2012, wenn möglicherweise unabhängig vom Ausgang der Volksabstimmung der Südflügel abgerissen wird und womöglich Bäume im Schlossgarten gefällt werden?

Das wäre für viele Menschen sehr schmerzlich. Ich denke, es gibt dann eine Mischung aus Enttäuschung, Frustration und Leuten, die weiterhin Protest artikulieren werden. Aber ich gehe nicht davon aus, dass es so weit kommen wird. Wir werden die Volksabstimmung gewinnen, und die Bahn wird aus diesem Ergebnis die richtigen Konsequenzen ziehen.

Zur Person

Organisatorin Brigitte Dahlbender ist eine von zwei Sprechern des landesweiten Bündnisses „Ja zum Ausstieg“. Seit 1997 amtiert sie als baden-württembergische Landesvorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und war von 2001 bis 2007 auch stellvertretende Bundesvorsitzende des Verbands. Die promovierte Biologin, Geografin und ausgebildete Mediatorin ist Mutter von zwei erwachsenen Kindern. Dahlbender, Mitglied der SPD, sitzt für den Deutschen Naturschutzring im Beirat für Raumordnung beim Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS). Für den BUND ist sie im Kuratorium Nationale Stadtentwicklungspolitik beim BMVBS. Sie sitzt zudem in der Präsidialversammlung des Deutschen Evangelischen Kirchentages.

Kampagne Das landesweite Aktionsbündnis „Ja zum Ausstieg“ umfasst mittlerweile rund 70 lokale und regionale Aktionsgruppen im Land, darunter auch einige SPD-Ortsvereine. Die Kampagne wird durch Spenden finanziert, allein die Landesgrünen beteiligen sich mit 150.000 Euro. Plakate und weitere Werbemittel können über die Homepage des Bündnisses bestellt werden.