Der Fußballlehrer Bruno Labbadia spricht vor dem Spiel des VfB Stuttgart an diesem Dienstag beim Hamburger SV über seine beiden Ex-Clubs sowie über seine Erfahrungen im Abstiegskampf.

Sport: Carlos Ubina (cu)
Stuttgart - Vor vier Jahren trat Bruno Labbadia beim VfB seinen Dienst an. Damals steckten die Stuttgarter im Abstiegskampf. Jetzt wieder, weshalb der frühere Chefcoach knapp 16 Monate nach seiner Entlassung auf Versäumnisse bei seinem ehemaligen Verein zurückblickt. Der 48-Jährige benennt aber auch generelle Fehlentwicklungen in der Fußball-Bundesliga: „Als Trainer wird man fast schon gezwungen, kurzfristig zu handeln.“
Herr Labbadia, mit dem HSV und dem VfB treffen an diesem Dienstag in einem Kellerduell zwei Ihrer Ex-Clubs aufeinander. Welcher von beiden steigt ab?
Ich hoffe keiner. Denn sowohl der VfB als auch der HSV gehören zum Inventar der Bundesliga, und beide Mannschaften verfügen auch über genügend Qualität, um die Klasse zu halten.
Beide Vereine hinken aber schon seit geraumer Zeit ihren eigenen sportlichen Erwartungen hinterher.
Das stimmt. Und wenn Sie mich vor der Saison gefragt hätten, ob der HSV und der VfB am 16. Spieltag in einem Kellerduell aufeinandertreffen würden, dann hätte ich klar gesagt: Nein.
Warum?
Weil die Erfahrung zeigt, dass Mannschaften, die die Relegation erfolgreich überstehen, in der folgenden Saison eine ganz gute Rolle spielen. Das war bei Gladbach so und auch bei Hoffenheim. Da wurde durch die extreme Erfahrung eine positive Entwicklung angestoßen. Deshalb bin ich beim HSV davon ausgegangen, dass er sich ebenso wie der VfB nach dem Jahr im Abstiegskampf zwischen Platz acht und zwölf bewegt.
Es fällt aber auf, dass neben dem VfB und dem HSV mit Werder Bremen ein dritter Traditionsverein schon seit Jahren im unteren Tabellendrittel festhängt. Lässt sich aus dieser Entwicklung etwas ableiten?
Mit Sicherheit. Der VfB, Werder und auch teilweise der HSV haben jahrelang in der Champions oder Europa League gespielt. Entsprechend wurden die Kader und Gehälter aufgestockt. Verbunden damit sind auch die höheren Erwartungen bei den Fans, den Sponsoren, den Medien und auch im eigenen Verein. Wenn man dann die Qualifikation für das internationale Geschäft über einen längeren Zeitraum nicht mehr schafft, dann wird das zum Problem. Denn man muss bei laufendem Ligabetrieb und gleichbleibend hohen Ansprüchen die Kosten herunterfahren.
In Stuttgart war das von 60 Millionen Euro Personaletat auf 40 Millionen.
Ja, und wenn Sie in einer solchen Phase für den Club arbeiten, dann werden Sie als Trainer fast schon gezwungen, kurzfristig zu handeln. Sie müssen immer erst Ergebnisse liefern, da sonst der Abstand nach oben noch weiter wächst. Klappt das nicht, erhalten Sie gar nicht mehr die Chance, etwas Längerfristiges aufbauen zu können. Trotz des Sparzwangs ist uns das damals um einiges besser gelungen als in Bremen.
Fußballerische Qualität geht aber verloren.
Zweifellos, und etwas allgemeiner gesprochen ist es im Fußballgeschäft ja auch wie mit dem eigenen Körpergewicht: drauf gehen die Kilos leichter als hinterher wieder runter. Das bedeutet, dass größere Vereine wie der VfB, die abspecken müssen, indem sie gute und teure Spieler abgeben, sich schwerer tun als kleinere Vereine, die sich von unten nach oben kämpfen. Das sage ich aber, ohne die Leistung dieser aufstrebenden Clubs schmälern zu wollen.
Liegt es aber nicht auch an den Personen und Konzepten, ob sich ein Verein auf Dauer positiv entwickelt?
Natürlich. Sie müssen aber auch in bestimmten Situationen die richtigen Entscheidungen treffen und Durchhaltevermögen beweisen. Nehmen Sie Borussia Dortmund. Als ich 2009 noch Trainer beim HSV war, da dachte doch niemand daran, dass der BVB diesen Weg nach oben nehmen würde. Wir spielten im Europapokal – und die Dortmunder hingen mit dem Arsch an der Wand, weil sie zuvor noch am finanziellen Abgrund gestanden hatten. Doch schon ein Jahr später war vieles anders, und die Borussia ist mit dem Trainer Jürgen Klopp konsequent ihren Weg gegangen.
Und auch jetzt in Krisenzeiten hat man den Eindruck, dass die BVB-Führung bedingungslos zu Jürgen Klopp steht.
Ja, denn ein Trainer braucht eine starke Position. Er muss konsequent in allen Bereichen bleiben können, um die Mannschaft und den Verein nach vorne zu bringen. Er kann das zwar nicht alleine und muss sich auch den Gegebenheiten vor Ort anpassen, aber nicht immer wird die Trainerarbeit in den Vereinen auch richtig eingeordnet.
Sprechen Sie vom VfB?
Auch, aber nehmen Sie lieber zum Vergleich Borussia Mönchengladbach mit Lucien Favre. Dort verlief die Entwicklung teilweise parallel zu der des VfB. Als ich im Dezember 2010 beim VfB anfing, da steckten die Gladbacher wie wir unten drin und retteten sich in letzter Minute. Anschließend ging es aufwärts, Gladbach wurde Vierter, wir wurden Sechster. In der Saison 2012/13 investierten die Gladbacher dann 30 Millionen Euro in ihren Kader, nachdem wichtige Spieler wie Marco Reus gegangen waren. Auch wir mussten wichtige Spieler abgeben – mit dem Unterschied, dass wir zur gleichen Zeit 300 000 Euro an Leihgebühr ausgaben. Das Resultat danach: Gladbach wurde Achter, der VfB Zwölfter. Wir schafften es zudem ins Achtelfinale der Europa League und danach bis ins DFB-Pokalfinale. Beim VfB wurde diese Leistung im Gegensatz zu Gladbach aber anders eingeordnet. Jetzt werden die Gladbacher mit Lucien Favre bundesweit gefeiert, weil sie sich mit gutem Konzeptfußball oben in der Tabelle etablieren.
Der VfB steckt dagegen schon wieder im Abstiegskampf. Worauf kommt es aus Ihrer Trainersicht dabei an?
Auf der sportlichen Seite brauchen Sie einen Plan und müssen der Mannschaft klare Vorgaben machen. Damit erhält sie einen Rahmen, der sie auffängt. Darüber hinaus ist es aber die große Kunst, die Ruhe zu bewahren. Vor allem wenn Rückschläge kommen. Gerade in großen Vereinen wie dem VfB oder dem HSV gibt es dann auch große Aufregung – bei den Fans, in den Medien und im ganzen Umfeld. Das ist zwar normal, aber davon dürfen Sie sich nicht beeindrucken lassen.
Was nicht immer einfach ist.
Das ist sogar extrem schwierig. Denn der öffentliche Druck verändert die Menschen. Wichtig ist aber, dass der Trainer und die Clubführung in Krisensituationen die Nerven behalten und gut zusammenarbeiten.
Können Sie das konkretisieren?
Als Erwin Staudt noch VfB-Präsident war und wir im Abstiegskampf ein wichtiges Heimspiel gegen den 1. FC Kaiserslautern mit 2:4 verloren hatten, da war die Unruhe rund um den Club immens. Er kam zu mir und fragte, ob er eine Brandrede halten solle. Ich sagte: ein, vertrauen Sie mir. Denn die Mannschaft hatte gewollt und war nach der 2:1-Führung einfach an ihren Nerven gescheitert. Daraufhin ist Herr Staudt nicht dem Aufschrei nach öffentlicher Prügel gefolgt. Das rechne ich ihm heute noch hoch an und war einer der Bausteine dafür, dass wir anschließend in der Liga geblieben sind.
Sie haben aber sicher auch schon andere Erfahrungen gemacht.
Ja, das Gegenbeispiel habe ich beim HSV erlebt, als der damalige Vorstandschef Bernd Hoffmann nach dem 0:0 gegen Fulham im Halbfinalhinspiel der Europa League und einem anschließenden 1:5 in Hoffenheim zu mir kam und fragte, was wir jetzt tun sollten. Ich sagte zu ihm: Wenn Sie ins Finale wollen, dann spielen wir nun Bad Cop/Good Cop. Er sollte die Mannschaft attackieren, und ich wollte diese wieder aufrichten und auf das Rückspiel einschwören. Den Erfolg hätte ich anschließend Bernd Hoffmann öffentlich zugeschrieben. Doch er hat sich dazu entschieden, mich zu entlassen – obwohl wir in der Bundesliga auf Platz sieben standen. Das fühlt sich heute noch so an, als wäre ich um das Europapokalfinale, das damals in Hamburg stattfand, gebracht worden. Und so ein Endspiel erlebt man ja nicht jedes Jahr.
Ähnlich wie beim VfB können Sie also auch in Hamburg auf eine gute Bilanz verweisen. Müssten nicht einige Leute bei Ihnen Abbitte leisten, weil Sie hier oft kritisiert wurden.
Nein, darum geht es mir nicht. Ich habe mit dem Kapitel VfB längst abgeschlossen. Das Einzige, was ich dem Verein, aber auch mir vorhalte, ist, dass wir nach der Saison 2011/12 die Mannschaft nicht verstärken konnten. Das wäre der richtige Zeitpunkt gewesen, da wir dank eines Superfußballs in der Rückrunde Sechster wurden und in der Europa League standen. Ich hatte damals auch Kontakt zu einem Spieler wie Dante. Für knapp fünf Millionen Euro wäre er von Gladbach zum VfB gekommen. Das wäre ein wirklicher Königstransfer gewesen. Doch der VfB wollte nicht, und dann hat ein Jahr später eben der FC Bayern zugegriffen.
Vorgehalten wurde Ihnen oft, dass Sie nur biederen Ergebnisfußball spielen ließen.
Das kann ich den Leuten in Stuttgart auch nicht verdenken. Doch ich habe mich immer an den Möglichkeiten der Mannschaften orientiert. Ich konnte sie doch nicht offensiv spielen lassen, wenn mir klar war, dass sie ins Verderben stürmen würde. In erster Linie geht es doch darum, rechtzeitig zu punkten. Deshalb habe ich, ehrlich gesagt, öfters auch meinen eigenen Fußball verraten. Ich wollte offensiv spielen lassen. Das ging angesichts der Qualität im Team und der Spielbelastungen aber nicht. Ansonsten wären wir unweigerlich in den Abstiegsstrudel geraten – wie jetzt auch.
Jetzt können Sie das alles aus der Distanz betrachten – Lust oder Frust?
Ehrlich gesagt, ist es mir nie langweilig. Ich habe mich in den vergangenen Monaten sehr der Familie gewidmet. Aber ich habe mich auch viel mit Fußball beschäftigt, war in England, Spanien, Italien und den USA, um mir neue Impulse zu holen.
Was hat Sie in die USA geführt?
Ich war in Los Angeles, um mir ein eigenes Bild vom amerikanischen Fußball zu machen. Ich habe mir Spiele sowie das Trainingszentrum von Meister LA Galaxy angeschaut und mich mit dem US-Nationalcoach Jürgen Klinsmann ausgetauscht.
Heißt das, dass Sie sich ein künftiges Engagement nicht nur in der Bundesliga vorstellen können, sondern vor allem im Ausland?
Das heißt zunächst einmal, dass ich offen bin. Aber das war ich schon immer. Für mich ist es unabhängig von der Liga oder dem Land ausschlaggebend, ob es sich um eine reizvolle Aufgabe handelt, ob ich mich mit dem Verein und dem Projekt voll identifizieren kann. Denn ich arbeite vor allem aus Leidenschaft.