Ihre Eltern kamen als Gastarbeiter nach Deutschland, jetzt ist Cemile Giousouf die erste Muslimin, die für die Fraktion der CDU und CSU im Bundestag sitzt. Sie hofft, dass sie ein Vorbild für alle Zuwanderer sein kann.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)
Stuttgart. - Nach Recherchen des Mediendienstes Integration gehören dem neuen Bundestag 37 Abgeordnete mit Migrationshintergrund an. Somit stammen fast sechs Prozent der 631 Politiker aus Einwandererfamilien – deutlich mehr als in der vorigen Legislaturperiode. In absoluten Zahlen liegt die SPD (13) vor CDU und Linkspartei (je 8), Grünen (7) und CSU (1). An der jeweiligen Fraktionsstärke bemessen liegt die Linke ganz vorn, noch vor den Grünen.
Frau Giousouf, wie war der erste Tag als Abgeordnete?
Sehr spannend und auch sehr emotional. Meine Mutter war mit dabei – die war noch aufregter als ich. Das hätten sich meine Eltern nie vorstellen können, als sie aus Griechenland nach Deutschland gekommen sind: Dass ihre Tochter hier mal Abgeordnete sein könnte. Insofern war es ein großes Ereignis.
Immer mehr Parlamentarier haben einen Migrationshintergrund. Glauben Sie, dass da Nachholbedarf besteht und dass es sich weiter entwickeln wird?
Aber klar. Bundestagspräsident Lammert hat das in seiner Rede sehr schön dargestellt: Das Parlament ist in unterschiedlichen Bereichen vielfältiger geworden: Wir haben mehr Frauen, unterschiedliche Berufsgruppen und mehr Abgeordnete mit Zuwanderungsgeschichte. Bei der CDU sind es acht. Ich bin also nicht die Einzige. Das heißt nicht, dass jeder Integrationspolitik machen muss, aber es bereichert mit Sicherheit die Fraktion, wenn man auf unterschiedliche kulturelle und religiöse Hintergründe sowie binationale Kontakte zurückgreifen kann.
Sie sind die erste Muslimin Ihrer Fraktion. Sehen Sie sich daher als Vorzeigemigrantin dargestellt?
In der Gremienarbeit sind wir seit Jahren tätig. Da ist schon viel Bewegung. Leider war es bisher aber so, dass auf Bundes- und Landesebene kein Muslim im Parlament Mandatsträger war. Insofern ist es etwas Besonderes. Ich persönlich möchte damit deutlich machen, dass auch Muslime in der CDU ihre politische Heimat finden können. Wir sind auch davon überzeugt, dass Zuwanderer – insbesondere muslimische – verstärkt ihr Kreuzchen bei der CDU gemacht haben, weil die alten Muster langsam aufweichen. Das gute Wahlergebnis haben wir auch den Zuwanderern zu verdanken.
Könnte Ihr Beispiel Schule machen?
Absolut. Das würde ich mehr sehr wünschen, dass auch andere junge Menschen sagen: Ich kann mich auch als Muslim in der Partei wiedersehen. Das Besondere an meinem Mandat ist doch, dass meine Familie als sogenannte Gastarbeiter nach Deutschland kam. Ich habe mich dann in der CDU engagiert und habe es geschafft, ins Parlament zu kommen. Auch das zeigt: Wir sind ein Einwanderungsland.
Bräuchten die Zuwanderer nicht viel mehr kleine Vorbilder im öffentlichen Leben?
Da bin ich ganz bei Ihnen. Armin Laschet hat als erster Integrationsminister in NRW zum Beispiel für Lehrer mit Migrationshintergrund in Schulen geworben. Wir brauchen diese Repräsentanz auch im gesamten öffentlichen Dienst.

Inwieweit wird das Thema Integrationspolitik Ihre Arbeit als Abgeordnete prägen?
Es gibt ja keinen Integrationsausschuss. Ich würde gerne in den Bereichen Bildung und Forschung tätig sein. Auch da ist das Thema Integration mit dabei.
Sollte es einen solchen Ausschuss geben?
Ein eigenständiger Integrationsausschuss oder ein Unterausschuss, der dem Innenausschuss angegliedert ist, wäre je nach Ressortzuschnitt denkbar. Das Thema Integration berührt stark Fragen der Bildung, aber auch Arbeit und Soziales.
Inwieweit dürfen die Parteien über Integrationspolitik streiten?
In Nordrhein-Westfalen wurde 2009 einen Integrationskonsens geschlossen, wonach Integrationspolitik nicht zum Wahlkampfthema gemacht werden soll. Ich finde, dass uns auf Bundesebene ein ähnlicher Konsens gut zu Gesicht stehen würde, weil das Thema zu wichtig für das gesellschaftliche Klima ist, als dass man damit Parteipolitik machen sollte. Nichtsdestotrotz gibt es natürlich Unterschiede: Es ist zum Beispiel gut, dass wir jetzt über die doppelte Staatsbürgerschaft diskutieren.
Glauben Sie, dass sich bei der Integration irgendwann eine Normalität einstellen wird?
Da bin ich sehr optimistisch. Die Normalität wäre dann da, wenn wir vielleicht in vier oder acht Jahren Chancengerechtigkeit in jedem gesellschaftlichen Bereich automatisch mitdenken. Die Gesellschaft verändert sich. In der Stadt Hagen etwa hat jedes zweite Neugeborene eine Zuwanderungsgeschichte. Allein die Tatsache, dass immer mehr Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in unterschiedlichen Berufen tätig werden, befördert die Normalität. Gerade für die jüngere Generation wird es in ein paar Jahren kein Thema mehr sein.