Die Bundesregierung wollte nicht, dass der Bundestag den Völkermord an Armeniern „Völkermord“ nennt. Jetzt gibt es einen Kompromiss. Der CDU-Abgeordnete Christoph Bergner ist damit nicht zufrieden, wie er im StZ-Interview erklärt.

Berlin – - Die Regierung wollte verhindern, dass der Bundestag den Völkermord an Armeniern „Völkermord“ nennt. Jetzt wurde ein Kompromiss gefunden. Dem ehemaligen Ministerpräsidenten Sachsen-Anhalts, Christoph Bergner, reicht das nicht, wie er im StZ-Interview erklärt.
Herr Bergner, der Bundestag will am Freitag des Völkermords an Armeniern gedenken. Die Regierung forderte eine zurückhaltende Wortwahl, wollte den Begriff „Völkermord“ aus dem Antrag streichen, den Sie mit vorbereitet haben. Jetzt liegt ein Kompromiss vor. Verstehen Sie die Bedenken der Regierung?
Die Zurückhaltung liegt darin begründet, dass das Auswärtigen Amt die polarisierende Wirkung des Wortes „Völkermord“ fürchtet und für kontraproduktiv im Sinne der Verständigung hält. Es war leider nicht möglich, sich mit der Regierung im Zuge der Antragsberatung über dieses Argument im Einzelnen auseinanderzusetzen. Denn ich bin der Meinung, dass eine wirklich nachhaltige Verständigung die Anerkennung historischer Tatsachen zwingend voraussetzt.
Jetzt soll das Leid der armenischen Christen als „beispielhaft“ für die Geschichte des 20. Jahrhunderts und deren Völkermorde aufgenommen werden. Reicht das?
Ich nehme dankbar zur Kenntnis, dass damit zwei Dinge zum Ausdruck gebracht n werden. Erstens: Wir unterwerfen uns nicht dem türkischen Geschichtsverständnis, sondern orientieren uns, wenn auch sprachlich zurückhaltend, an den belegbaren Fakten. Zweitens: wir erkennen die exemplarische Bedeutung dieses Völkermords an. Der Genozid an den Armeniern ist im 20. Jahrhundert das erste Beispiel dafür, dass ein Staat in großer Zahl eigene Staatsbürger tötet und damit dem Wahn verfällt, ein ethnisch und religiös gereinigtes Staatsvolk schaffen zu wollen. Mit dem Kompromiss wird auch dieser Dimension Rechnung getragen.
In der Überschrift des Antrags taucht das Wort „Völkermord“, anders als sie es wollten, aber nach wie vor nicht auf. Werden Sie da auf noch mehr Klarheit drängen?
Ich hätte mir schon deutlichere Worte gewünscht. Ich nehme die Intention des Außenministers ja durchaus ernst und sehe ein, dass man sich hier vom Bemühen leiten lässt, außenpolitisch kein Porzellan zu zerschlagen. Ich bezweifle aber, dass die Zurückhaltung beim Reizwort „Völkermord“ mäßigende Wirkung auf die Reaktion türkischer Regierungsstellen hat. Das jedenfalls ist die Erfahrung, die wir vor zehn Jahren machen mussten, wo wir in einem Antrag des Bundestags den Begriff auch vermieden haben. Dennoch wurden wir mit harschen Gegenreaktionen konfrontiert.
Steinmeier sagt, er wolle lieber den Dialog zwischen Armeniern und Türken fördern, statt zu polarisieren. Ist das mehr als ein Lippenbekenntnis?
Bedauerlicherweise kann ich weder diesem noch anderen Außenministern vor ihm attestieren, dass sie dem Anspruch, einen Dialog zwischen Armeniern und Türken befördern zu wollen, gerecht geworden sind. Der Impuls, den das Parlament vor zehn Jahren mit mit einer einstimmig verabschiedeten Resolution zum Gedenken an die Vertreibung und Vernichtung der Armenier geben wollte, ist außenpolitisch nicht weiter verfolgt worden. Damals stand in der Überschrift, Deutschland müsse zur Versöhnung zwischen Türken und Armeniern beitragen. Zuletzt aber argumentierte die Bundesregierung bei der Beantwortung einer Parlamentsanfrage, es sei Sache der betroffenen Völker, sich zu verständigen. Das verdeutlicht, wie wenig die damalige Aufforderung des Parlaments Niederschlag in der deutschen Außenpolitik gefunden hat.
Werden sich die Abgeordneten der Koalition hinter dem Kompromiss versammeln oder gibt es noch Bewegung?
Abgeordnete der vier im Bundestag vertretenen Fraktionen, die sich mit der Vorbereitung des hundertsten Jahrestages des Genozids an den Armeniern beschäftigten, hatten eigentlich vereinbart, dass am Freitag noch nicht abschließend abgestimmt wird. Wir wollen, dass die Anträge der Opposition und der Koalition in die Ausschüsse kommen, so dass wir noch die Möglichkeit einer gründlichen Beratung haben. Ich würde mir zum Beispiel auch eine Expertenanhörung wünschen. Da müsste dann selbstverständlich auch die türkische Seite zu Wort kommen. Wir sollten jedenfalls jetzt als Parlamentarier dem Diskurs der gegensätzlichen Meinungen Raum geben und damit das tun, was in den letzten zehn Jahren in der deutschen Außenpolitik auf diesem Gebiet vielleicht etwas zu kurz gekommen ist.