Clueso macht Musik für Mädchen und andere Romantiker, auch auf seinem neuen Album „Stadtrandlichter“. Im StZ-Interview spricht der 34-jährige Erfurter über seine Sympathie für Udo Lindenberg und andere ältere Herren – und verrät, warum er das sonnige Gemüt vieler Stuttgarter schätzt.

Stuttgart – - Spätestens seit dem Duett mit Udo Lindenberg ist Clueso ein Popstar. 2011 nahm er gemeinsam mit dem Altmeister dessen Hit „Cello“ neu auf, und auch die letzte Schwiegermutter war dahin geschmolzen. Der 34-Jährige ist eigentlich mit dem Hip-Hop erwachsen geworden, davon merkt man aber kaum noch etwas. Hör- und tanzbar ist seine Musik trotzdem, auch auf dem neuen Album „Stadtrandlichter“. Im Interview mit Simone Höhn spricht der Erfurter über seine erste Begegnung mit Westdeutschland, seine Sympathie für Stuttgarter und sein Faible für ältere Herren.
Clueso, Ihr neues Album „Stadtrandlichter“ ist das erste, das unter Ihrem eigenen Label erscheint. Hat sich die neue Freiheit auch auf Ihre Musik ausgewirkt?
Nein, in meiner Musik war ich schon immer frei. Im Studio bin ich wie ein Kind, das spielt und das einfach Musik macht. Da hat man wenig Möglichkeiten, auf mich einzuwirken. Das können nur meine Freunde, die haben einen großen Einfluss auf meine Musik.
Apropos Kind: wie haben Sie Ihren Eltern eigentlich beigebracht, dass Sie Musiker und nicht wie geplant Friseur werden wollen?
Das war nicht so einfach. Meinen Eltern war es natürlich wichtig, dass wir Kinder etwas Anständiges lernen. Ich wollte als Teenager nichts anderes als Musik machen, bin eine Zeit lang mit Halbstarken durch die Gegend gezogen und habe auch einigen Mist gebaut. Erst bin ich von der Schule geflogen, dann habe ich meine Friseurlehre geschmissen, schließlich bin ich von zu Hause ausgezogen. Da war ich 19.
Und dann?
Bin ich in eine WG gezogen. Das war die Hip-Hop-Zeit, in der wir am Wochenende unser letztes Geld zusammenkratzten und auf sämtliche Jams in ganz Deutschland gefahren sind.
Das ist schon viele Jahre her, und trotzdem singen Sie auch auf Ihrem neuen Album viel von Aufbruch, Abschied und Sehnsucht – wo zieht es Sie noch hin?
Ich habe auf jeden Fall vor, mein „Reisen“-Album noch mal ins Studio zu bringen. Es gibt ein Sammelsurium von Songs, die ich auf meinen Reisen aufgenommen habe. Ich habe immer meine Gitarre dabei, wenn ich unterwegs bin, und habe oft im Hotelzimmer noch einen Song aufgenommen. Die Stücke haben ihren ganz eigenen Spirit.
Sie haben auch ein privates Album mit Ihrem Opa aufgenommen, Udo Lindenberg singt wieder auf dem neuen Album mit, und mit Wolfgang Niedecken sind Sie freundschaftlich verbunden. Haben Sie ein Faible für ältere Herren?
Ich hänge irgendwie viel mit älteren Herren ab, ja. Das finde ich cool, da gibt es viel zu holen.
Was denn?
Bei meinem Opa ist es das Lebensgefühl, das er sich bis ins hohe Alter erhalten hat. Ihn hat die Musik ein Leben lang begleitet, ich habe auch vor, mit der Musik alt zu werden. Außerdem hat er den Schalk im Nacken sitzen, man merkt sofort, was er für ein Lausbub war und immer noch ist.
Was bedeutet Ihnen Udo Lindenberg?
Er ist ein alter Haudegen in der Musikszene, ein echter Profi. Dabei ist er auch der lockerste, den ich kenne. Er hat die Musik und die Figur Udo Lindenberg zu seinem Lebensmodell gemacht. Er legt dabei aber auch eine gesunde Ironie an den Tag, das macht ihn wiederum nahbar. Mit ihm zu hängen ist sehr witzig, aber man weiß auch, dass man mit Udo Lindenberg abhängt, das vergisst man keine Sekunde. Man hat das Gefühl, als würde man mit jemanden von den Stones rum hängen. Der Typ ist einfach Geschichte. Auf Deutsch: ich mag den!
Sie wohnen in einer Künstler-WG mit sechs Leuten. Ist das so wie das Klischee: kreatives Chaos, den ganzen Tag Party, Musik, Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll?
Das würde ich so auf jeden Fall mal unterschreiben! Aber es gibt natürlich auch Zeiten, in denen alle geschäftig und konzentriert in ihren Zimmern sitzen und an irgendeinem Projekt basteln. Und klar, es gibt die Phasen, in denen wir gerne Party machen wollen, vor allem im Sommer. Dann ist bei uns schon ein bisschen Kommune Eins angesagt (lacht).
Sie leben schon immer in derselben Stadt. Das ist für einen Musiker ungewöhnlich. Was verbinden Sie mit Erfurt?
Es ist meine Heimat, ich lebe sehr gerne dort und gehöre quasi zum Stadtbild. Und das schon immer. Auch früher als ich noch nicht bekannt war, kannten die Leute den verrückten Hübi, der immer Musik gemacht hat. Ich bin einer von ihnen und gehöre dahin. Ich kenne die schönen Ecken von Erfurt und auch die schäbigen, es ist eine Art Hassliebe, wie sie viele Menschen für ihre Heimat empfinden.
Sie haben auch eine besondere Beziehung zu Stuttgart . . .
Ja, auf jeden Fall! Ich habe viele Freunde und Bekannte, die von hier kommen oder immer noch in der Gegend wohnen, wie zum Beispiel Philipp Poisel. Mit Max Herre bin ich befreundet, die Fantastischen Vier haben mich quasi beim damals in Stuttgart ansässigen Label Four Music unter Vertrag genommen. Wenn ich nach Stuttgart komme, fühle ich mich immer auch ein bisschen zu Hause. Mir gefällt die hügelige Landschaft, erinnert mich ein bisschen an Beverly Hills.
Und wie finden Sie die Menschen hier?
Ich finde, dass die Leute ein sonnigeres Gemüt haben als anderswo. Das spiegelt sich auch in der Musik wider. Das, was Max Herre und sein Freundeskreis früher gemacht haben, das hatte seinen ganz eigenen Flavour. Das klang fast ein bisschen wie französischer Hip-Hop. Das war sehr cool.
Sie waren neun Jahre alt, als die Mauer gefallen ist. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Ich war zwar noch ein kleiner Junge, aber mit neun checkt man das schon. Meine Familie ist damals in Erfurt geblieben. Es war seltsam, plötzlich war die Mauer weg, das System gab es nicht mehr, unser kleines Umfeld war aber immer noch dasselbe wie zuvor. Dann hat man aber doch den Wandel gespürt: wie um uns die großen Einkaufszentren gebaut, die Häuser saniert wurden, wie vor der Garage des Nachbarn plötzlich ein BMW anstatt eines Trabis stand.
Können Sie sich noch an Ihre erste Begegnung mit dem Westen erinnern?
Ja! Ich weiß noch wie ich das erste Mal mit meinen Eltern in einen Supermarkt in Eschwege gefahren bin und wie es da so anders gerochen hat. Mein Bruder und ich kauften uns eine Schachtel Tic-Tac -Minzbonbons, und nachdem sie längst leer war, haben wir noch tagelang an der Packung geschnuppert, weil sie so nach Westen gerochen hat.