Exklusiv Daimler betrachte die Entwicklung auf den Märkten positiver als noch vor einem halben Jahr, sagt Daimler-Chef Zetsche. Im Interview präsentiert sich ein selbstbewusster Vorstandsvorsitzender, der auf Angriff geschaltet hat.

Stuttgart - Die zurückliegenden Monate haben Daimler-Chef Dieter Zetsche Nerven gekostet. Gleich mehrere Gewinnwarnungen um den Jahreswechsel herum haben dokumentiert, dass nicht alles nach Plan läuft. Jetzt ist die Verunsicherung weg. Im Interview präsentiert sich ein selbstbewusster Vorstandsvorsitzender, der auf Angriff geschaltet hat.

 
Herr Zetsche, bei der Automesse IAA in der nächsten Woche wird das Elektroauto wieder ein großes Thema sein. Wie positioniert sich Daimler auf diesem Markt?
Wir positionieren uns auf der IAA bei der Elektromobilität als der Marktführer in Deutschland. Wir haben den Elektro-Smart, der schon jetzt in größeren Stückzahlen läuft. Wir sind damit Marktführer. Auf der IAA werden wir als Europapremiere die B-Klasse mit Elektroantrieb präsentieren, die dann im nächsten Jahr in Serie geht.
Wann wird es den ersten eigenständigen Elektro- Mercedes geben, ein Auto also, das nicht aus einem Modell mit Verbrennungsmotor abgeleitet ist?
Der Smart ist genau dieses Auto. Natürlich kann man zwei Wege gehen. Der erste Weg führt zu einem vernünftigen Aufwand durch Nutzung der Stärken, die sich aus der Serienfertigung konventionell angetriebener Fahrzeuge ergeben. Die Alternative ist, ein weißes Blatt Papier zu nehmen und ein Auto ganz neu zu machen. Wenn Sie die B-Klasse mit Elektroantrieb mit dem i3 von BMW vergleichen, auf den Sie ja anspielen, dann sehen Sie, dass wir die gleichen Fahrleistungen haben, die sogar etwas größere Reichweite und bessere Platzverhältnisse. Der Markt schreit ja leider nicht gerade nach Elektroautos. Wir wissen aber, dass wir hier in Vorleistung treten müssen.
Der i3 kommt mit Range-Extender, also einem Zusatzmotor. Die B-Klasse sollte ursprünglich auch einen Range-Extender erhalten, was jetzt gestrichen wurde. Warum?
Die technischen Eigenschaften, die Kosten und die Entwicklungszeiten waren nicht annähernd so, wie wir uns das vorgestellt hatten. Deshalb haben wir die Konsequenz gezogen. Aber noch einmal: wir haben einen Antrieb, der die Reichweite des i3 sogar übertrifft, und können unseren Kunden ein hochinnovatives Auto zu vernünftigen Konditionen anbieten.
Agiert Daimler nicht zu vorsichtig? Sie machen vieles in Partnerschaften und bauen auch den Elektromotor nicht alleine, sondern zusammen mit Bosch. Wer nichts auf eigenes Risiko macht, wird aber auch keinen Wettbewerbsvorsprung erlangen.
Wir sind nicht zu vorsichtig. Wir waren weltweit die Ersten, die einen Hybrid mit Lithium-Ionen-Batterie gebracht haben, und wir haben 150 Patente im Bereich Lithium-Ionen-Batterien – so viele wie sonst kein Autobauer. Aber Partnerschaften und Fragen der Fertigungstiefe spielen mit Blick auf die Kosten, die letztlich doch der Kunde trägt, immer eine Rolle. Die Wirtschaftlichkeit ist mindestens ebenso wichtig wie die technischen Fähigkeiten, die zu erreichen sind. Es geht um Stückzahleffekte, was dafür spricht, Projekte mit einem Partner zusammen zu machen. Wenn wir selbst Komponenten entwickeln und fertigen, dann ist die Chance, dass ein anderer Autobauer das kauft, gering. Mit einem Zulieferer zusammen sieht das anders aus.
Um Ihr Esslinger Karbon-Unternehmen mit Toray aus Japan ist es still geworden. Sind Sie bei dem Werkstoff, der sich durch das geringe Gewicht gut für Elektroautos eignet, jetzt skeptisch?
Wir haben Karbon im Einsatz. Wir halten es aber nicht für erforderlich zu demonstrieren, dass man eine Karosserie ganz aus Karbon bauen kann – was natürlich möglich ist. Was Esslingen betrifft, dort haben wir die Herausforderung, in wettbewerbsfähige Kostenpositionen zu kommen. Gegenwärtig arbeiten wir dort mit rund 30 Beschäftigten.
Wie steht es um die Zukunft von Litec, dem Batterie-Projekt mit Evonik?
Die Litec-Batterie ist die beste, die es gibt; sie wird im Elektro-Smart eingesetzt. Dieser läuft so gut, dass wir kaum mit der Produktion hinterherkommen. Aber wir diskutieren in der Tat darüber, ob wir nicht noch einen Partner in Litec hinzunehmen, so wie wir das ja auch ursprünglich schon mal geprüft hatten.
Ist die Brennstoffzelle die bessere Variante des Elektroantriebs?
Dass wir auf dem Gebiet technologisch ganz vorne sind, ist unbestritten. Und wir sind bei dieser Thematik nicht mehr in einer singulären Position. BMW hängt sich an Toyota an. Auch Volkswagen äußert sich deutlich anders als früher. Das begrüßen wir natürlich. Wir haben die Technologie. Trotzdem stellt sich auch hier die Frage, ob es gelingt, die Brennstoffzelle wirtschaftlich zu machen. Auch hier geht es um Stückzahlen. Durch unsere Partnerschaft mit Ford und Nissan sind wir da ein ganzes Stück vorangekommen. Zusätzlich stellt sich natürlich die Frage der Wasserstoff-Infrastruktur. Auch da ist die Partnerschaft ein Fortschritt, weil wir damit gemeinsam das Thema auf drei Kontinenten vorantreiben können.
Konjunkturell hat sich die Lage etwas eingetrübt. Zwar scheint in Europa die Talsohle erreicht zu sein, aber die Schwellenländer sind ins Gerede gekommen. Welche Folgen hätten Probleme dieser Länder für Daimler?
Der Markt hat sich zu Jahresbeginn insgesamt negativer als von den Fachleuten vorhergesagt präsentiert. Im weiteren Verlauf hat sich aber Amerika unerwartet dynamisch entwickelt, und auch China läuft trotz aller Unkenrufe gut; es gibt keine Anzeichen dafür, dass der chinesische Markt schwächelt. Wir haben in diesem Marktumfeld in der Summe, dank unserer hervorragenden Produkte, eine sehr gute Entwicklung. Wir blicken deshalb positiver auf die Märkte als vor einem halben Jahr.
Wie konkret sind die Überlegungen, ein Werk in Brasilien zu bauen? Ein erster Anlauf mit der A-Klasse in den neunziger Jahren war ja ein Flop.
Der brasilianische Markt ist gemessen an den Stückzahlen signifikant gewachsen, aber er hat sich auch in der Struktur nach oben entwickelt. Mit der neuen Kompaktklasse, um die es primär gehen wird, haben wir Fahrzeuge im Angebot, die kostengünstig produziert werden können und mit ihrer Attraktivität gut in diesen Markt passen würden. Für uns geht es schlicht um die Frage, ob wir in Brasilien produzieren oder mit diesem Segment gar nicht auf dem Markt vertreten sein werden. Unsere Entscheidung lautet: wir sind dabei.
Wie weit ist das Projekt?
Die Entscheidung für einen Standort werden wir noch in diesem Jahr vornehmen. Gegenwärtig sind noch zwei bis drei Standorte in der engeren Wahl.
Wann kommt Mercedes in China richtig in Schwung? Die Absatzzahlen haben sich in den zurückliegenden Monaten gut entwickelt, aber es heißt, der neue Chinavorstand Hubertus Troska habe sich bei den Händlern gleich unbeliebt gemacht.
Lassen Sie mich klarstellen: Hubertus Troska hat keinen Brief an die Händler geschrieben, sondern unser Chinavertriebschef, nachdem die Händler in eine Art Streik getreten waren. Da hat er deutlich gemacht, dass das womöglich nicht der richtige Weg ist, Probleme zu lösen. Die letzten Monate haben wir vom Markt ermutigende Signale bekommen, das zeigen auch die positiven Augustzahlen. Und mit der neuen E- und der neuen S-Klasse wird es weiter aufwärtsgehen. Ich räume ein, dass wir in China lernen mussten.
Sie hätten dort gerne früher mit der Produktion begonnen?
Natürlich.
In China gibt es konjunkturell Gegenwind. Bleibt es bei dem Ziel, bis 2015 die Produktion auf 200 000 Fahrzeuge pro Jahr zu verdoppeln?
Wir haben keinen Anlass, das infrage zu stellen.
Daimler wächst und investiert sehr viel. Was bedeutet das für die Beschäftigung, vor allem in Deutschland?
Grundsätzlich gilt, dass wir auch in Deutschland eine stabile Beschäftigung haben werden. Ich kenne keinen Standort, an dem wir ein Beschäftigungsproblem hätten. Unsere Herausforderung im Personenwagenbereich ist eher, dass wir mit der Produktion die Nachfrage nicht befriedigen können. Im Nutzfahrzeugbereich haben wir in Wörth eine sehr erfreuliche Auftrags- und Beschäftigungssituation.
Wie sieht Daimler den Standort?
Es gibt keinen Hersteller, der so auf den Standort Deutschland setzt, wie wir. Wir haben auf der Seite der Personenwagen 70 Prozent unserer Wertschöpfung hier, aber der Markt steuert nur etwa 20 Prozent zum Absatz bei. Grob gerechnet arbeiten von unseren 275 000 Beschäftigten 170 000 in Deutschland und davon wiederum rund 100 000 in Baden-Württemberg. Wir investieren massiv am Standort, allein eine halbe Milliarde Euro gerade in der Entwicklung im Technologiezentrum Sindelfingen. Das sind beeindruckende Zahlen.
Trotz aller Erfolge hinken Sie bei der Rendite hinter den eigenen Ansprüchen hinterher.
Wir sind auf dem richtigen Weg. Wir haben massiv in die Zukunft, in neue Produkte investiert. Das zahlt sich jetzt aus. Als ich hier angetreten bin und zugleich die Selbstverpflichtung hinsichtlich der CO2-Emissionen griff, konnten wir die Vorgaben nicht erfüllen. Wir mussten extreme Anstrengungen unternehmen und haben einen Parforceritt hingelegt, der natürlich viel Geld gekostet hat.
Mit dem Programm „Fit for Leadership“ wollen Sie zwei Milliarden Euro einsparen. Werden Sie dieses Ziel erreichen?
Ja, wir sind auf einem sehr guten Weg bei der Kostenposition, kommen da zügig voran. Gleichzeitig lösen unsere Produkte bei unseren Kunden durchgängig Begeisterung aus; alle neuen Produkte kommen hervorragend an. Unsere Marke wird auch in Deutschland, wo wir bisher vielleicht am kritischsten gesehen werden, zunehmend als „cool“ wahrgenommen. Ich bin sehr froh über die Verfassung, in der sich dieses Unternehmen befindet. Das zeigt sich auch im Aktienkurs mit einem Plus von 28 Prozent in diesem Jahr, womit wir klar vor dem Wettbewerb liegen. Die Märkte sind ganz offensichtlich der Auffassung, dass wir jetzt das kommende Unternehmen sind.