Der DRK-Kreisverband investiert zehn Millionen Euro in ein neues Rettungszentrum, Und das, obwohl die Einnahmen sinken und es weniger Spenden gibt.

Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) geht trotz sinkender Einnahmen in die Offensive und baut ein neues Rettungszentrum auf dem Flugfeld. Der Präsident des DRK-Kreisverbands, Michael Steindorfner, kämpft um eine höhere Kassenpauschale für die Krankentransporte, hofft auf mehr Spenden und denkt über neue Aufgabenfelder nach: die Kleinkindbetreuung und die Unterstützung von Flüchtlingen.
Herr Steindorfner, die DRK-Zentrale des Landkreises und so mancher Einsatzort platzen aus allen Nähten. Wie kommt das?
Das DRK hat zuletzt immer mehr Aufgaben übernommen – und das entspricht auch unserem Auftrag als humanitäre Hilfsorganisation. Wir müssen auch Ehrenamtliche und hauptamtliche Mitarbeiter viel mehr ausbilden als früher. Allein dafür brauchen wir überall mehr Räume.
Welche Aufgaben sind dazu gekommen?
Zum Beispiel der Notfallnachsorgedienst, der vor zwei Jahrzehnten ins Leben gerufen wurde. Aus der Erfahrung heraus, dass Menschen nach Katastrophen und Todesfällen nicht allein gelassen werden dürfen. Aber wie geht man mit traumatisierten Menschen um? Ich glaube, ich kann sagen, dass die Polizei froh ist, dass es jetzt Helfer gibt, die sich um die Betroffenen kümmern, Todesnachrichten überbringen und bei ihnen bleiben, bis der Bestatter kommt.
Aber auch die Retter brauchen manchmal Beistand und Hilfe.
So ist es. Wir hatten auch schon Fälle von hauptamtlichen Mitarbeitern, die ausgeschieden sind, weil sie die Erlebnisse bei Unfallszenarien und menschlichen Tragödien nicht überwinden konnten. Ihnen steht nun ebenfalls der Notfallnachsorgedienst zur Seite und versucht, ihnen bei der Verarbeitung der Probleme zu helfen. Wir haben im Kreis mehr als 30 Kräfte im Einsatz und bauen den Dienst noch weiter aus.
Das DRK engagiert sich auch für Demenzkranke. Das gab es früher nicht.
Wir müssen die demografische Entwicklung sehen. Es gibt immer mehr ältere Menschen. Der Bedarf an Angeboten für Demenzkranke wächst. Da können wir nicht zurückstehen. Also haben wir im Kreis drei Beratungsgruppen gebildet mit rund 25 Ehrenamtlichen. Wir haben zudem inzwischen sieben Gedächtnistrainingsgruppen mit mehr als 100 Betreuern. In 90 Gruppen wird Altengymnastik betrieben. Dazu kommen Selbsthilfegruppen für Rollstuhlfahrer, Parkinsonkranke, Krebsnachsorge und einiges mehr. Auch dafür brauchen wir Räume, nicht nur hier in der Kreiszentrale.
Sie ziehen aber nicht nur deswegen mit der DRK-Kreiszentrale auf das Flugfeld. Was wollen Sie noch verbessern?
Festzuhalten ist: wir haben das jetzige Gebäude in Sindelfingen in den 1960er Jahren mit 15 hauptamtlichen Mitarbeitern bezogen, nun haben wir allein in der Verwaltung des Kreisverbands und der Rettungswache Sindelfingen 153 Beschäftigte. Zudem ist das Haus sanierungsbedürftig. Die Heizung und die Wasserversorgung fallen oft aus. Wir hätten, um das Gebäude grundlegend zu renovieren, 1,3 Millionen Euro investieren müssen. Dieses Geld stecken wir lieber in den Neubau auf dem Flugfeld. Wichtige Ziele sind auch, von diesem verkehrsgünstiger gelegenen Standort mit unseren Rettungswagen schneller vor Ort zu sein, mehr Ausbildungskapazitäten und eine bessere Parksituation zu schaffen.
Wie rasch sind Sie am Einsatzort?
Im Wesentlichen halten wir die vorgeschriebenen 15 Minuten vom Notruf bis zum Eintreffen bei den zu versorgenden Menschen zwar ein. Doch geht es bisweilen um Leben und Tod. Wir haben deshalb fast überall im Kreis zusätzlich zum hauptberuflichen Rettungsdienst sogenannte ehrenamtliche Helfer-Vor-Ort-Gruppen, die auch mit einem Defibrillator ausgerüstet sind. Sie sind zumeist vor dem alarmierten Rettungsdienst am Einsatzort und können schnell Erste Hilfe leisten.
Auch in Waldenbuch leiden die im Ortsverein ehrenamtlich tätigen Sanitäter unter akutem Platzmangel und verlieren beim Rangieren der Fahrzeuge möglicherweise wertvolle Sekunden.
Dort geht es sehr beengt zu, das ist richtig. Moderne Einsatzfahrzeuge passen kaum noch in die Garage. Auch der Ausbildungsraum ist zu klein. Da ist man fast schon froh, wenn nicht alle der 26 DRK-Mitglieder da sind. Das Jugendrotkreuz erfreut sich im Übrigen eines sehr guten Zulaufs mit 30 Nachwuchsrettern. Wir suchen nun nach räumlichen Alternativen, denn nicht überall können wir einen Neubau hinstellen. Der Gemeinderat wird sich demnächst dem Problem annehmen.
In Weil im Schönbuch wird jetzt von der Gemeinde ein neues Rettungszentrum für 6,3 Millionen Euro gebaut. Und Sie investieren auf dem Flugfeld zehn Millionen Euro. Wie stemmen Sie die Projekte angesichts sinkender Einnahmen?
Das ist keine leichte Aufgabe. Die Einnahmen bei den Dienstleistungen haben sich im Kreisverband, ohne die Tochtergesellschaften, im vergangenen Jahr gegenüber 2012 tatsächlich um rund eine halbe Million Euro verringert und liegen bei 7,5 Millionen Euro. Der Kreisverband hat aber eine Erbschaft gemacht, nimmt zinsgünstige Kredite auf und finanziert etwa ein Drittel für den Flugfeld-Neubau aus den Rücklagen. In Weil im Schönbuch dagegen ist die Gemeinde der Bauherr, wir sind nur Mieter. Im Übrigen wird es auch in Holzgerlingen ein neues Rettungszentrum geben. Baukosten entstehen uns dort auch keine.
Sie müssen zudem so manches DRK-Haus der 25 Ortvereine im Kreis erweitern, weil die Garagenplätze nicht reichen. Fahren sie mehr Einsätze mit mehr Fahrzeugen?
Wir haben in den Ortsvereinen für den Bevölkerungs- und Katastrophenschutz zusätzliche Fahrzeuge erhalten. Diese brauchen mehr Platz. Mit den immer mehr werdenden Aufgaben ist auch die Zahl der hauptamtlich Beschäftigten in den letzten zehn Jahren von 842 auf 966 angewachsen. Im Rettungsdienst kamen wir im Jahr 2012 auf 30 300 Einsätze. Im Folgejahr waren es 900 mehr. Auch diese Zahl steigt seit Langem ständig an.
Sie könnten selbst größere Einsatzzentralen bauen, wenn Sie mehr einnehmen würden. Etwa bei den Krankentransporten. Da gibt es aber eine große Konkurrenz von preiswerteren Transportanbietern.
Der Krankentransport ist neben dem Rettungsdienst unser größtes Sorgenkind. Die Zahl von 10 955 Krankentransporteinsätzen im vergangenen Jahr kann sich zwar sehen lassen. Sie ist um rund fünf Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Um auf unsere Kosten zu kommen, müssen wir im Durchschnitt pro Einsatz 72 Euro ansetzen. Die Kassen zahlten bis vor Kurzem aber nur 48 Euro. Sie haben uns nun 58 Euro zugestanden – immer noch zu wenig. Denn Qualität beim Krankentransport hat ihren Preis. Auch weil wir immer zwei Kräfte aufbieten und moderne Versorgungsgeräte mitführen.
Machen Sie also beim Krankentransport auch ein Minus?
Ja, wir schreiben beim Krankentransport und noch viel mehr beim Rettungsdienst rote Zahlen. Für dieses Jahr müssen wie beim Rettungsdienst mit einem Defizit von 270 000 Euro rechnen. Das ist ein massives Problem. Vor drei Jahren hätte uns dieses Defizit fast unsere Liquidität gekostet. Beim Krankentransport beträgt das Minus in diesem Jahr voraussichtlich 8000 Euro.
Wie wollen Sie das Problem lösen?
Wir versuchen, in harten Verhandlungen mit den Krankenkassen ein auskömmliches Budget zu erhalten. Für die übrigen Aufgaben versuchen wir, wieder mehr Spenden zu bekommen. Denn die Zahl der Fördermitglieder – im vergangenen Jahr waren es noch 24 199 – geht zurück. Gegenüber 2010 um rund 2000 Mitglieder. Viele Leute wollen statt eines regelmäßigen Beitrags lieber nur noch spontan spenden und dann meist für ein konkretes Projekt. Etwa für den Baby-Notarztwagen. Die Anschaffung kostet 120 000 Euro, momentan haben wir 90 000 Euro zusammen. Insgesamt hatten wir im vergangenen Jahr aber einen enormen Einbruch bei den Spenden und Nachlässen und haben mit rund 140 000 Euro etwa ein halbe Million Euro weniger verbuchen können.
Woran liegt das?
Der Posten schwankt stets erheblich, weil wir Erbschaften in zumeist völlig unterschiedlichen Summen erhalten.
Wie ist ein so großes Schiff wie der DRK-Kreisverband Böblingen überhaupt zu steuern und in den Bereich von schwarzen Zahlen zu manövrieren?
Das geht nur durch ein sehr solides und kostenbewusstes Wirtschaften sowie mit sehr engagierten Mitarbeitern. Wir haben einen Etat von rund 44 Millionen Euro. Die Erlöse liegen bei 41,3 Millionen Euro. Nur wenn wir weiterhin auf eine sehr hohe Qualität bei unseren Dienstleistungen vor allem auch in unseren elf Altenpflegeheimen setzen, werden wir es mit zusätzlichen Spenden, Mitgliedsbeiträgen und Zuschüssen schaffen, ein weiterhin ausgeglichenes Ergebnis zu erzielen. Immerhin haben wir unsere Rücklagen im vergangenen Jahr um eine halbe Million Euro auf mehr als 14 Millionen Euro erhöhen können – und planen übrigens weitere neue Angebote.
Welche?
Das Flüchtlingsthema wird uns beschäftigen und die Frage, ob und wie wir helfen können – auch bei der Unterbringung. Und nicht zuletzt wollen wir bei der Kleinkindbetreuung einsteigen. Diese hat unser Bundesverband vor drei Jahren ohnehin als neue Hauptaufgabe benannt. Die Kommunen zahlen pro besetzten Kita-Platz einen Zuschuss. Davon hat jeder etwas – natürlich auch die Eltern. Der Bedarf ist vorhanden, besonders bei Firmen, bei denen die Mitarbeiter nicht wissen, wohin mit ihrem Nachwuchs.