Der Governance-Experte Christian Strenger hält es für schwierig, wenn Ministerpräsidenten in Aufsichtsräten sitzen.

Herr Strenger, N iedersachsens Ministerpräsident und VW-Aufsichtsratsmitglied Stephan Weil hat seine Regierungserklärung vorab dem Autokonzern vorgelegt, um sie auf rechtliche Konsequenzen abklopfen zu lassen. Hat er sich damit entmündigen lassen?
Das muss man differenziert betrachten. Weil muss, wenn er vor dem niedersächsischen Landtag und dem Wirtschaftsausschuss auftritt, über VW reden. Da kann er sich in rechtlichen Fragen beim Konzern rückversichern, das kann man nicht beanstanden. Allerdings macht Weil den Fehler, dass er ständig über aufsichtsratsbezogene Dinge spricht, was eindeutig Sache des Aufsichtsratsvorsitzenden ist. So verkündete er, die Vorstände hätten ihren Beitrag zu Dieselgate geleistet. Trotz eines Verlustes von mehr als vier Milliarden Euro haben sie für 2015 Boni von 35 Millionen Euro erhalten. Immer wieder lässt Herr Weil erkennen, dass sein Hauptanliegen die VW-Mitarbeiter sind. Das ist sicher ehrenwert, aber er ist als Aufsichtsratsmitglied nur an die Unternehmensinteressen insgesamt gebunden.
Unions-Fraktionsvize Michael Fuchs fordert, dass Niedersachsen seine Beteiligung an VW aufgibt, weil die Nähe zwischen Staat und Unternehmen zu groß sei. Kann ein Konzern, der zu 20 Prozent dem Land Niedersachsen gehört, überhaupt im Sinne einer guten Unternehmensführung geleitet werden? Oder muss das sogenannte VW-Gesetz abgeschafft werden?
Dass der Stadt Hannover der Bäderbetrieb gehört, ist in Ordnung. Beim VW-Konzern sprechen wir von einer ganz anderen Dimension. Man kann das VW-Gesetz nicht kurzfristig ganz abschaffen. Aber es ist falsch, dass das Land nur 20 Prozent der VW-Stammaktien hält, aber das VW-Gesetz Niedersachsen dennoch bei Entscheidungen eine Sperrminorität garantiert, die das Aktienrecht erst ab 25 Prozent vorsieht. Zudem wird das Entsenderecht für zwei Aufsichtsräte eher als Entsendepflicht wahrgenommen. Dass das Land Niedersachsen zur Kontrolle einen Staatssekretär in den VW-Aufsichtsrat entsendet, wäre nachvollziehbar. Doch ein Ministerpräsident hat einfach zu viele politisch bedingte Interessenkonflikte, die einen Sitz im Aufsichtsrat nahezu unmöglich machen. VW braucht dringend einen erneuerten Aufsichtsrat mit mehr fachlicher Expertise und mit wirklicher Unabhängigkeit. Derzeit überwiegen auch die familiären Abhängigkeiten. Beispielsweise leitet ein Herr Porsche (Anmerkung der Redaktion: Ferdinand Oliver Porsche) den allentscheidenden Prüfungsausschuss, in dem er die hierfür gebotene Unabhängigkeit einfach nicht darstellen kann. Es muss sich also in der Unternehmensführung und in der -kontrolle bei Volkswagen dringend etwas ändern.
Politische Erfahrungen können in Aufsichtsräten eine vernünftige Sache sein, aber es muss immer primär um die wirtschaftlichen Interessen des Unternehmens gehen. Grundsätzlich ist es vernünftiger, wenn nicht mehr amtierende Politiker in Aufsichtsräten sitzen. Was die lobbyartigen Verflechtungen angeht, sind nur graduelle Änderungen zu erwarten. Eckart von Klaeden, früher Staatsminister im Kanzleramt, heute Cheflobbyist bei Daimler, Thomas Steg, früher Regierungssprecher, heute Cheflobbyist bei VW – das ist schon eher etwas reichlich.