An der Spitze der weltweit größten Greenpeace-Dependance steht seit diesem Jahr der Schwabe Roland Hipp. Ein Gespräch über dicke Luft in Stuttgart, Donald Trump und die ungewisse Zukunft von Daimler.

Reportage: Frank Buchmeier (buc)

Stuttgart - Roland Hipp ist auf der Durchreise, und zwar, wie es sich für einen Umweltschützer gehört, mit der Bahn. Der 57-Jährige kommt aus Hamburg, wo er die Geschäfte von Greenpeace Deutschland führt, und will weiter nach Ebingen, wo er seine beiden Schwestern besucht.

 
Herr Hipp, wie entdeckt ein Bub von der Alb sein Herz für den Umweltschutz?
Als Kind war ich ein Einzelgänger, der nach der Schule stundenlang durch die Wälder gestreift ist. Diese Liebe zur Natur hatte überhaupt nichts Politisches, Umweltaktivist wurde ich erst mit Mitte zwanzig.
Davor waren Sie unter anderem vier Jahre bei der Bundeswehr – in den friedensbewegten 80ern. Wie kam’s dazu?
Ich stamme aus einem konservativen Elternhaus, es war klar, dass ich den Wehrdienst leiste. Als ich eingezogen werden sollte, ich war gerade mit meiner Lehre fertig, erkrankte mein Vater schwer. In dieser Situation wollte ich die Familie so gut wie möglich unterstützen und habe mich beim Bund verpflichtet, weil ich als Zeitsoldat mehr verdiente als als Wehrpflichtiger. Hart war für mich, dass ich als bodenständiger Älbler nach der Grundausbildung zu einem Lehrgang in den Norden der Republik musste. Tag und Nacht habe ich gelernt, damit ich die Prüfung auf Anhieb bestehe, weil ich so schnell wie möglich zurück in meine Heimat wollte. Diese Erfahrung hat mich geprägt: Bis dahin war ich jemand, der in den Tag hinein gelebt hat, doch seither versuche ich alles, was ich mache, so intensiv und ordentlich wie möglich zu machen.
Mich verblüfft, dass der Greenpeace-Chef von seiner Zeit beim Militär schwärmt.
Sie interpretieren mich falsch. Nachträglich habe ich den Kriegsdienst verweigert, weil ich als Panzerkommandant erlebt hatte, was Waffen anrichten können. Die Bundeswehr hat mich zum Pazifisten gemacht.
Wie sind Sie zu Greenpeace gekommen?
Die Initialzündung war ein Fernsehbeitrag, in dem über eine Greenpeace-Aktion gegen Dünnsäureverklappung in der Nordsee berichtet wurde. Für mich stand fest: Die reden nicht nur, die tun wirklich etwas für die Umwelt. Das wollte ich auch. Also trat ich in die Stuttgarter Greenpeace-Gruppe ein, die sich alle zwei Wochen montags in einem Jugendzentrum traf. 1984 machte ich dann ein Praktikum in der Hamburger Greenpeace-Zentrale – als Hilfskraft bei einer Anti-Atom-Kampagne.
Kannten Sie sich mit Atomkraft aus?
Nein, aber das änderte sich schnell. 1985 fuhr ich von Albstadt zu einer Anti-Atom-Demo nach Heilbronn, wo Atommüll, der aus dem AKW Obrigheim kam, von der Straße auf die Schiene umgeladen werden sollte. Ich stand neben Schulkindern an einer Bushaltestelle, als die Laster in einem Höllentempo an uns vorbeirasten. Ich dachte: Was ist, wenn jetzt ein Unfall passiert? Das war der Moment, als ich anfing, Fragen zu stellen und nach Antworten zu suchen. Die nächsten drei, vier Jahre habe ich in meiner Freizeit die Laster und Züge mit ihrer strahlenden Fracht verfolgt und Informationen gesammelt. So wurde ich zu einem Experten für Atomtransporte.
Was Ihnen 1991 einen festen Job bei Greenpeace einbrachte.
Als das Angebot kam, hatte ich nicht vorgehabt, die Alb zu verlassen. Ich war Betriebsleiter einer Textilfabrik, und meine Mutter sagte: „Bub, du kannst doch nicht nach Hamburg gehen.“ Aber dann half sie mir beim Umzug, weil sie gemerkt hatte, dass ich mir nichts Spannenderes vorstellen konnte, als in der weltweit größten Greenpeace-Dependance zu arbeiten. Anfangs war ich Atom-Kampaigner, habe beispielsweise an der Wiederaufbereitungsanlage im englischen Sellafield, in die auch deutscher Atommüll gebracht wurde, die Strahlenbelastung gemessen. Im Meer, in Böden, in Pflanzen, in den Häusern, ja selbst in Staubsaugerbeuteln und auf Tellern fand ich radioaktive Elemente.
Deutschland hat den Atomausstieg beschlossen – und Sie haben Ihr Thema verloren.
Das sehe ich nicht so, weil meine Vision von einer völlig CO2-freien, ungefährlichen Energiewirtschaft noch nicht Realität geworden ist. Deutschland ist auf einem guten Weg, aber noch weit von unserem Ziel entfernt, den Strombedarf überwiegend dezentral zu decken. Dadurch würden wir viel weniger Stromleitungen brauchen, als es bei dem derzeit noch dominanten System von Großkraftwerken der Fall ist. Wir könnten uns problemlos mit vielen kleinen Sonnen- und Windkraftanlagen versorgen.
Wenn ich mir vorstelle, dass irgendwann alle Autos elektrisch fahren, bezweifle ich das.
Ihre Befürchtungen sind unbegründet. Schon heute werfen wir immense Mengen an regenerativer Energie weg, weil wir noch zu viel Kohlestrom produzieren und die Netze den Strom gar nicht aufnehmen können. Obwohl die regenerativen Energien laut Gesetz Vorrang haben, werden die Windanlagen aus dem Wind gedreht.
Der Nabu meint, dass die Windkraftanlagen die Landschaft verschandeln und Vögel gefährden. Finden Sie es schön, wenn sich auf der von Ihnen geliebten Schwäbischen Alb riesige Propeller drehen?
Selbstverständlich braucht man für jede Anlage eine Umweltprüfung, und die gibt es ja auch. Grundsätzlich bin ich aber stolz darauf, wie viele Wind- und Sonnenkraftanlagen wir in Deutschland bereits haben. Was wäre die Alternative? Wir leben in einer Gesellschaft, die Elektrizität benötigt, und sind durch den Pariser Klimavertrag auch rechtlich dazu verpflichtet, mit dafür zu sorgen, die durch Treibhausgase verursachte Erderwärmung auf 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu begrenzen. Wir müssen also Kohlekraftwerke abschalten und vom Öl wegkommen.
Global betrachtet kann Deutschland wenig bewirken, wenn in den USA demnächst ein Präsident regiert, der den vom Menschen verursachten Klimawandel leugnet.
Die Wahl von Donald Trump war für uns ein Schock. Auch Putin, der seine Öl- und Gasfelder ausbeutet, bereitet uns Sorgen. Gerade deswegen ist es wichtig, dass Deutschland als viertgrößte Industrienation der Welt beweist, dass die Energiewende nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch ein Gewinn ist. Andere europäische Länder werden unserem Vorbild folgen, und auch Japan wird diesen Weg einschlagen. Mal sehen, ob Trump sich dieser Entwicklung entziehen kann.
Stuttgart macht Negativschlagzeilen als Feinstaubhauptstadt der Republik. Was muss sich ändern, damit die Luft im Talkessel besser wird?
Feinstaub kostet Menschenleben, daher muss sich Stuttgart wohl bald zu Fahrverboten durchringen. Aber die Mobilität muss sich generell verändern. Ihr Nachbar Daimler muss wie die gesamte deutsche Autoindustrie kräftig Gas geben, um den Rückstand bei E-Autos aufzuholen und vor allem eine umfassende E-Mobilität voranzubringen. Mit einem Smartphone muss ich künftig die Freiheit haben, kurzfristig und einfach das beste Verkehrsmittel für meine Situation wählen zu können. Städte wie Stuttgart müssen den öffentlichen Nahverkehr und die Radwege massiv ausbauen, schon allein, weil die Bevölkerungszahlen weiter steigen. Langfristig sollten wir in Ballungsräumen ganz vom Pkw wegkommen: Städte müssen für die Menschen da sein, nicht für die Autos.
Wer soll diesen Stadtumbau bezahlen?
Geld gibt es genug, es ist immer nur die Frage, wofür man es einsetzt. Ein Beispiel: Der Diesel wird zurzeit über eine im Vergleich zum Benziner niedrigere Mineralölsteuer jährlich mit sieben Milliarden Euro subventioniert. Allein mit diesem Betrag könnte man alle Stadtbusse in Deutschland auf Elektroantrieb umstellen – das haben wir berechnen lassen.
Ihre Kalkulationen mögen aufschlussreich sein, doch einst stand Greenpeace für spektakuläre Aktionen. Ich denke etwa daran, wie Ihre Leute mit Schlauchbooten zwischen Walfangschiffen und den Walen umherfuhren. Kann es sein, dass Ihre Organisation zahm geworden ist?
Nein, aber wir hinterfragen unsere Strategien und ändern sie gegebenenfalls. Nach wie vor wollen wir die Japaner davon abbringen, in der Antarktis Wale zu jagen. Doch wir haben gemerkt, dass unsere Einsätze auf dem Meer eher dazu führen, dass sich die Bevölkerung mit den Walfängern solidarisiert. Durch Aufklärung können wir mehr bewirken, besonders bei jungen Japanern.
Täuscht der Eindruck, dass Greenpeace mittlerweile zum Establishment gehört?
Greenpeace bringt eher konstruktive Unruhe ins Establishment, um eingefahrene Wege infrage zu stellen. Und die Organisation entwickelt sich weiter, denn wer nur am Alten und Bewährten festhält, hat auf Dauer keine Zukunft. In den 1980er Jahren startete Greenpeace als institutionalisierte Protestbewegung. Im Laufe der Zeit wurde uns aber klar, dass es nicht reicht, auf Missstände hinzuweisen, sondern dass wir auch Lösungen anbieten müssen. Hinzu kommt, dass die Probleme früher offensichtlich waren: Atomtransporte konnten wir zeigen, über Pestizide in der Nahrung können wir bloß informieren. An Schienen kann man sich anketten, an einen Apfel nicht. Ich will damit sagen: Wenn unsere Aktionen weniger spektakulär wirken, bedeutet das nicht, dass sie weniger effizient wären. Wir haben unsere Arbeit lediglich an die veränderte Gesellschaft angepasst.
Können Sie für das ausklingende Jahr einen konkreten Erfolg Ihrer Arbeit nennen?
Und ob! Unter starker Mithilfe von Greenpeace Deutschland wurde der Bau des Megastaudamms São-Luiz-do-Tapajós im braslianischen Amazonasgebiet verhindert. Mehr kann eine Umweltschutzorganisation nicht erreichen, als so viel Druck auf einen Staat auszuüben, dass die Regierung nicht umhinkommt, ein solch zerstörerisches Großprojekt aufzugeben.