Der künftige DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann sagt eine zügige Anhebung des flächendeckenden Mindestlohns von 8,50 Euro voraus – nicht erst 2018. Zudem will er wichtige Beschäftigtengruppen, wie Frauen und Angestellte, stärker in den Blick nehmen.

Berlin – - Auf dem 20. Bundeskongress des Gewerkschaftsbundes in Berlin eine Ära zu Ende: Der Vorsitzende Michael Sommer macht nach zwölf Jahren Platz für Reiner Hoffmann – einen Mann der eher leisen, aber dennoch entschiedenen Töne sowie ein selbsterklärter Teamarbeiter.
Herr Hoffmann, in der Politik ist der künftige DGB-Vorsitzende noch unbekannt – ein Handicap für Sie?
Überhaupt nicht – im Moment erlebe ich es eher als Vorteil.
Sie sind ein fröhlicher Mensch – bringen Sie mehr Schwung in die zumeist freudlose Politik der DGB-Führung?
Wieso freudlos? Wir haben einen Mindestlohn durchgesetzt. Aber wir haben natürlich eine Chance auf neuen Schwung, weil wir als fast komplett neuer geschäftsführender Bundesvorstand antreten werden. Annelie Buntenbach wird uns mit ihrer achtjährigen Erfahrung dabei helfen. Wir werden als Quartett auftreten – nach innen und außen.
Michael Sommer konnte wortgewaltig poltern am Rednerpult – wie ist Ihr Stil?
Wenn es sein muss, kann ich das auch, aber ich bin nicht unbedingt ein Mensch der lauten Töne, sondern diskursorientiert. Ich gehe eher gelassen und analytisch an die Dinge. Wenn es am Verhandlungstisch zu Lösungen kommt – umso besser.
Ihre Erfahrung haben Sie vornehmlich in gewerkschaftsnahen Organisationen gesammelt – lernen Sie derzeit die betriebliche Wirklichkeit kennen?
Von der betrieblichen Wirklichkeit ist man hier in Berlin ein bisschen entfernt. Gleichwohl habe ich großes Interesse daran, dass wir die Bodenhaftung nicht verlieren. Dafür waren meine vier Jahre bei der IG BCE im Bezirk Nordrhein außerordentlich hilfreich, weil ich in der Zeit davor im Raumschiff Europa von betrieblichen Alltagserfahrungen manchmal weit entfernt war.
Sie sind nicht der klassische Vertreter der sozial Schwachen. Ist Ihre Wahl ein Zeichen, dass sich der Gewerkschaftsbund wandelt – dass man sich nicht mehr vornehmlich als Vertreter des Prekariats, der Niedrigverdiener und der Bandarbeiter stark macht?
Zwischen dem gewerkschaftlichen Alltag und dem öffentlichen Erscheinungsbild gibt es ja noch Unterschiede. Wir haben in den letzten gut zehn Jahren eine Spaltung auf dem Arbeitsmarkt gehabt. Im europäischen Vergleich haben wir einen viel zu hohen Niedriglohnsektor – bis zu 25 Prozent der Beschäftigten sind Niedriglohn-Empfänger. Diesen Sektor wollen wir trocken legen. Der Mindestlohn ist nur eine Stellschraube, andere sind Werkverträge oder die Leiharbeit. Ich bin nicht grundsätzlich gegen diese Instrumente, aber wenn sie zum Lohndumping benutzt werden, müssen wir dagegen wirken. Wir müssen den Wert von Arbeit in der gesellschaftspolitischen Debatte wieder stärker akzentuieren – etwa die Fragen der Tarifautonomie, der Bildung und der Humanisierung der Arbeitsbedingungen. Da verspreche ich mir auch von dem Kongress ganz wichtige Signale.
Werden Sie künftig die Angestellten deutlicher in Blick nehmen, wenn Sie den DGB moderner ausrichten?
Wir haben es heute mit einem deutlich höheren Anteil an Frauen und hoch qualifizierten Arbeitnehmern zu tun. Dies führt zu einer Pluralisierung von Interessenlagen in den Betrieben. Wir als Gewerkschaften müssen darauf mehr Bezug nehmen und spezifische Lösungen anbieten. Frauen beispielsweise sind in unserer Mitgliedschaft deutlich unterrepräsentiert. Und in der Arbeitszeitpolitik müssen wir viel stärker die Ansprüche der Beschäftigten bedenken. Wenn die Arbeitgeber mehr betriebliche Flexibilität wollen, können sie diese haben, wenn sie die veränderten Anforderungen der Arbeitnehmer an Arbeitszeitsouveränität und -flexibilität über das gesamte Erwerbsleben hinweg ins Zentrum stellen. 2013 hatten die Einzelgewerkschaften mehr als 360 000 neue Mitglieder – darauf wollen wir aufbauen. Der DGB hat da eine wichtige Funktion für das Außenbild der Gewerkschaften.
Der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro wird Anfang 2015 Wirklichkeit. Verdi fordert schon eine Anhebung auf zehn Euro. Ist eine Anpassung in den nächsten zwei, drei Jahren notwendig?
Selbstverständlich ist sie notwendig. Im Gesetz steht, dass die Anpassung frühestens zum 1. Januar 2018 erfolgen soll. Das ist nach meiner Auffassung viel zu spät. Es ist kein Geheimnis, dass wir uns mit der Vereinigung der Arbeitgeberverbände darauf verständigt haben, wie die Mindestlohn-Kommission künftig arbeiten soll. Arbeitgeber und DGB sind sich einig über eine Anpassung des Mindestlohns nachlaufend zu den abgeschlossenen Tarifverträgen, und zwar bereits zum 1. Januar 2017 statt erst 2018.
Wird es Nachverhandlungen geben?
Ich gehe davon aus, dass wir uns durchsetzen werden, was die Ausnahmen vom Mindestlohn angeht. Es ist überhaupt nicht sinnvoll, Jugendliche unter 18 Jahren davon auszuschließen – das gilt auch für den sechsmonatigen Ausschluss von Langzeitarbeitslosen. Das ist nicht nur nicht gerecht, sondern auch wirtschaftlich überhaupt nicht zu begründen.