Der Piraten-Chef Bernd Schlömer spricht im Interview mit der Stuttgarter Zeitung über die Grenzen von Transparenz und den Wunsch nach wechselnden Mehrheiten.

Berlin – Bernd Schlömer, der Bundesvorsitzende der Piraten, hält die häufigen Rücktritte in seiner Partei für normal. Manchmal würde er sich aber wünschen, dass die ein oder andere Streitigkeit nicht im Internet ausgetragen würde.
Herr Schlömer, Sie sind seit zwei Monaten Chef der Piratenpartei – wie oft haben Sie schon an Rücktritt gedacht?
Bisher nicht. Wenn man sich um so ein Amt bewirbt, macht man sich ja klar, worauf man sich einlässt. Ich ahnte, was auf mich zukommt.

Was denn?
Eine höhere Medienaufmerksamkeit mir gegenüber. Und es war klar, dass wir als Partei jetzt ernster genommen werden und daher die Diskussionen intensiver werden.

Rücktritte sind das Thema, mit dem Ihre Partei die meisten Schlagzeilen macht: immer wieder geben Piraten ihre Ämter auf, weil die Belastung zu groß ist.
Wir sind eine Partei, deren Mitglieder nicht das Modell der klassischen Politikerkarriere anstreben. In einer Partei, die den Anspruch hat, basisdemokratisch zu arbeiten, und weniger auf Personen als auf Inhalte zu achten, gibt es vielleicht mehr Wechsel.

Aber Ihre Parteifreunde begründen ihre Rücktritte doch mit Überlastung.
Wenn man nebenamtlich und ehrenamtlich eine Aufgabe übernimmt, dann steht irgendwann eine Entscheidung darüber an, wo die eigenen Lebensschwerpunkte liegen. Es ist dann natürlich, wenn Mitglieder sich nach einer Weile wieder mehr beruflich und privat engagieren wollen. Wir müssen allerdings darauf achten, dass wir unsere Leute nicht verheizen.

Oft scheint es nicht nur um zu viel Arbeit zu gehen, sondern auch um Verletztheit: Streit unter Piraten wird öffentlich über soziale Netzwerke ausgetragen. Müssen Sie sich so etwas wie einen internen Knigge geben?
Im Umgang mit Social Media kommt es immer drauf an, wie oft und wie man kommuniziert. Manchmal ist es besser, wenn man nicht kommuniziert.

Sie sind seit 2009 im Bundesvorstand. Wie haben Sie den Aufstieg der Piraten erlebt – und wie hat er die Partei verändert?
Zu meinem ersten Bundesparteitag kamen 350 Mitglieder, man kannte einander. Inzwischen sind wir von 2000 auf 31 000 Mitglieder gewachsen. Wir haben uns immens weiterentwickelt. Als ich als Bundesschatzmeister angefangen habe, übernahm ich eine Kiste mit Zetteln. Jetzt können wir regelmäßig von externen Wirtschaftsprüfern testierte Rechenschaftsberichte vorlegen.

Die Piraten sind angetreten, um anders zu sein als das Klischee vom Berufspolitiker. Jetzt sitzen Abgeordnete als Berufspolitiker in vier Parlamenten. Wie ist die Landung in der Wirklichkeit?
Die Zeit ist zu kurz, um das beurteilen zu können. In ein oder zwei Jahren wissen wir besser, was die Piraten von ihren Versprechen halten können. Alle geben sich Mühe – die Berliner Fraktion zum Beispiel beteiligt die Mitglieder über das Meinungsbildungsinstrument Liquid Feedback.

Nehmen wir zum Beispiel das Thema Transparenz. Am Anfang ätzten die Berliner gegen die „Hinterzimmerpolitik“ anderer Parteien. Gerade hat die Fraktion eine viertägige Klausur hinter verschlossenen Türen hinter sich, an deren Ende der komplette Fraktionsvorstand in einer Hauruckaktion neu gewählt wurde. Ist das transparent?
Ich habe den Transparenzanspruch der Piraten schon vor Monaten anders definiert. Es gibt für den Politikbetrieb auch eine Präventivkraft des Nichtwissens. Es gibt einen Bereich, unter dem vertrauliche Gespräche geschützt werden müssen. Das ist nötig, um den Parlamentsbetrieb zu schützen. Würden wir vollkommene Transparenz herstellen, würden unsere politischen und Moral- und Rechtssysteme zusammenbrechen. Mir wäre wichtig, dass Piraten anschließend nachvollziehbar schildern können, was erreicht wurde.