Mehr Schlagkraft, viel Anerkennung durch frühere Skeptiker und eine gerechtere Lastenverteilung: Ralf Michelfelder, der mittlerweile offiziell in seinem Amt bestätigte Chef des Polizeipräsidiums Aalen, sieht viele Erfolgsindizien der Reform.

Rems-Murr : Frank Rodenhausen (fro)
Aalen/Waiblingen – - Nachdem er fünf Monate lang wegen einer Klage gegen die Besetzung der Führungsstellen zwangsweise hatte zurücktreten müssen, ist Ralf Michelfelder im Juli zum zweiten Mal zum Chef des Polizeipräsidiums Aalen ernannt worden. Die neue Struktur indes, sagt der Leitende Kriminaldirektor, habe sich auch während seiner persönlichen Zwangspause als wichtig und richtig erwiesen.
Herr Michelfelder, was haben Sie in der Zeit zwischen Februar und Juni gemacht – Urlaub oder Däumchen gedreht?
Man hat mich nicht gehört und gesehen, aber ich habe trotzdem hingeschaut und die Entwicklung aus der Ferne an meinem Interimsarbeitsplatz im Innenministerium beobachtet. Dort war ich mit anderen Aufgaben betraut.
Sie durften nicht in Aalen in zweiter Reihe sitzen?
Nein, ich war weg, weil das Verwaltungsgericht die Gefahr sah, dass wir uns gegenüber anderen Bewerbern einen Vorteil verschaffen könnten, wenn wir die Geschäfte vor Ort aus zweiter Reihe führen würden.
Wie ist die unerwartete Zwangspause bei Ihnen angekommen?
Wenn man etwas über eineinhalb Jahre lang aufgebaut hat, fiebert man natürlich darauf hin, das, was man in der Theorie erarbeitet hat, auch praktisch voranzubringen. Ich hatte die Gelegenheit, im ersten Monat die ersten Schritte zu machen. Aber dann durch eine Gerichtsentscheidung herausgerissen zu werden, ist natürlich alles andere als befriedigend.
Das heißt, es gab fünf Monate Stillstand?
Nein, der kommissarische Leiter hat das Präsidium durchaus in meinem Sinne weitergeführt. Außerdem muss eine Dienststelle auch funktionieren, wenn der Chef nicht da ist. Es kann nicht sein, dass alles an einer Person hängt, sondern die Struktur muss stimmen. Das hat sich in der Zeit der Vakanz gezeigt. Einige Grundsatzentscheidungen sind allerdings sicherlich für die Zeit aufgeschoben worden, in der Klarheit über die Fortführung herrscht – dies auch aus Respekt vor dem, der das Präsidium künftig leitet.
Wie sind Sie nach Ihrer Rückkehr aufgenommen worden?
Überall mit offenen Armen und freundlichen Gesichtern – innerhalb und außerhalb der Polizei. Das größte Lob für mich ist aber die Anerkennung derjenigen, die der Reform im vergangenen Jahr skeptisch gegenüber standen.
Zählen zu den Bekehrten auch Kritiker aus den eigenen Reihen?
Auf jeden Fall. Dazu ein Beispiel: wir hatten im Januar eine große Raubserie in Schwäbisch Gmünd. Da wurden abends in der Innenstadt Leute im Freien überfallen, von Jugendlichen zu Boden gestoßen und beraubt. Das hatte berechtigterweise eine enorme Verunsicherung der Bevölkerung zur Folge. Wir konnten darauf sofort schlagkräftig reagieren, indem wir innerhalb kürzester Zeit eine Einheit mit Beamten vom Kriminalkommissariat Aalen, dem Kriminaldauerdienst, der Kriminaldirektion Waiblingen, dem Revier Schwäbisch Gmünd und der Hundeführerstaffel zusammengezogen und eine Ermittlungskonzeption erstellt haben, die mit dieser Flexibilität und Reaktionsschnelle in der Vergangenheit nicht möglich gewesen wäre. Und gerade von Kollegen aus dem Bereich Schwäbisch Gmünd, die der Reform sehr kritisch gegenüber standen, weil dort die Kriminalaußenstelle aufgelöst wurde, habe ich lobende Worte erfahren.
Was zeigt das Beispiel noch?
Es zeigt, dass das Präsidium eine andere Schlagkraft hat, als es eine einzelne Polizeidirektion Aalen hätte haben können.
Die Umstrukturierung hat aber auch individuelle Veränderungen nötig gemacht. Gibt es nicht viele Mitarbeiter, die an einer Stelle sitzen, an der sie nicht glücklich sind?
Die im Vorfeld propagierten großen Wanderungsbewegungen hat es gar nicht gegeben. Wir haben im Präsidium etwa 1660 Bedienstete, davon haben gerade einmal 211 den Standort gewechselt. Und von diesen 211 Wechseln waren 81 nicht wunschgemäß, die Mehrzahl war persönlich gewollt oder im gemeinsamen Interesse und der Aufgabe verpflichtet erfolgt. Am Ende hatten wir gerade einmal acht Härtefälle, für die wir dann aber noch eine einvernehmlichen Lösung finden konnten. Natürlich mussten auch da oder dort Kompromisse eingegangen werden – zwischen den Interessen der Organisation und den Bedürfnissen der Mitarbeiter.
Die Umstellung verlief völlig reibungslos?
Wenn man eine so große Umstrukturierung macht, dann wäre es weltfremd zu glauben, dass es keinerlei Anlaufschwierigkeiten gibt. In einer Struktur, die mehr als 20 Jahre Bestand hatte, gibt es natürlich eingelaufene Wege. Diese Trampelpfade müssen sich in dem neuen Präsidium natürlich noch formen. Ein banales Beispiel: Wer ist der zuständige Ansprechpartner für die Nachbestellung von Verbrauchs- oder Schreibmaterial? Das musste sich erst verinnerlichen. Und natürlich haben wir auch neue Einheiten eingerichtet, wie Staatsschutz, Kriminaldauerdienst, Verkehrsunfallaufnahme, Cyberkriminalität, die sich in der Abstimmung mit der Altorganisation und den Revieren haben finden müssen. Aber diese Anlaufzeit haben wir hinter uns. Und sie hat sich nicht auf die Bevölkerung ausgewirkt. Das zeigt sich etwa an der hohen Aufklärungsquote von mehr als 60 Prozent im ersten Halbjahr.
Es sind keine Veränderungen mehr nötig?
Es gibt immer wieder Bereiche, in denen fein nachgesteuert werden muss. Es ist ja nichts in Stein gemeißelt. Dort, wo wir erkennen, dass man nachjustieren muss, wird das gemacht. Da gibt es keine Dogmas. Die jetzt noch geplanten Veränderungen sind aber eher baulicher und nicht ablauforganisatorischer Art. Wir sind beispielsweise in die Planungen für ein Führungs- und Lagezentrum in Aalen eingestiegen. Im Januar wird die Kriminalpolizei in Waiblingen zusätzliche Räume beziehen, und das Verkehrskommissariat wird sich im Frühjahr in Backnang einrichten können.
Was ist durch die neue Großorganisation besser geworden?
Wir haben beste Erfahrungen mit unserem zentralem Führungs- und Lagezentrum gemacht. Wir haben dort Leute, die das nicht nebenbei machen, sondern speziell geschult sind im Gespräch mit Bürgern in Notlagen. Dort arbeiten Kollegen, die Empathie haben, die den Bürger am Telefon beruhigen und gleichzeitig aber auch Einsatzkräfte hinschicken, die Kripo alarmieren, eine Fahndung auslösen. Die insgesamt professioneller, handlungssicherer sind und die Einsatzlage effizienter und schneller organisieren. Wir haben zudem durch die Einrichtung des Kriminaldauerdienstes aktuell eine durchschnittliche Interventionszeit von nur 24 Minuten rund um die Uhr im gesamten Präsidiumsbereich. Das konnten wir mit der alten Organisation nicht erreichen. Allein im ersten Halbjahr hat der Kriminaldauerdienst 552 Einsätze durchgeführt.
Die Opposition im Landtag nennt gerade den Kriminaldauerdienst als ein für den ländlichen Raum ungeeignetes Instrument.
Ich kann die Kritik für unser Präsidium nicht bestätigen. Ganz im Gegenteil. Wir haben gerade im Kriminaldauerdienst darauf geachtet, Kollegen aus den unterschiedlichsten Regionen des Präsidiums beisammen zu haben, und wir haben den Standort – Schwäbisch Gmünd – so gewählt, dass er die Hauptbrennpunkte schnell abdecken kann. Überhaupt gibt es für den Aufbau der Präsidien keine Blaupause. Um es mit den Worten des Innenministers zu sagen: Wir haben den Rohbau hingestellt bekommen, aber der Innenausbau wird ganz nach den regionalen Bedürfnissen gestaltet. Wir haben die Reform nicht für die Polizei gemacht, sondern für die Bevölkerung. Wir richten uns hundertprozentig an den Interessen der Bürger und an den Herausforderungen des Kriminalitätsgeschehens in unserer Region aus.
Einiges ist aber gar nicht mehr nah am Bürger dran, sondern zentralisiert worden.
In einigen Bereichen macht das auch Sinn. Beispiel Cyber- oder Wirtschaftskriminalität: Es ist wichtiger, alle Spezialisten beisammen zu haben, als einen da und einen dort. Wo die Akten ausgewertet oder die Computer analysiert werden, ist im Grunde genommen egal. Da ist es wichtiger, dass wir Fachkompetenz und teure Analysetools bündeln. Im Gegensatz dazu sind wir bei der Bekämpfung von Opferdelikten, insbesondere von Raubüberfällen oder Sexualstraftaten mit der Kriminalpolizei weiterhin flächendeckend vor Ort. Auch dort, wo eine hohe Orts- und Personenkenntnis erforderlich ist, etwa bei der Rauschgiftkriminalität, wo ich wissen muss, wer die Akteure und wo die Umschlagplätze sind, halten wir Einheiten an fünf Standorten bereit. Dass wir dort wirklich nah dran sind und die gewählte Struktur die richtige ist, zeigt die Steigerung der im ersten Halbjahr festgestellten Handelsdelikte von nahezu 30 Prozent. Wir sind also gezielt an den Dealern dran, die Sucht verbreiten und Kasse machen. Insgesamt sind wir so flexibel aufgestellt, dass alte Kreisgrenzen nicht mehr existieren: Die Hundestaffel Kirchberg/Jagst ist bei Fußballspielen in Großaspach beispielsweise ebenso präsent wie Beamte der Verkehrspolizei Schwäbisch Hall. Wir können auf einen größeren, flexibleren Personalkörper zurückgreifen und damit die Belastungen gerechter auf den Schultern aller verteilen
Das große Ziel war, mehr Polizisten auf die Straße zu bringen. Ist das schon erreicht?
Die Reform ist nicht nur eine Addition der Kollegen, die bisher in Waiblingen, Schwäbisch Hall und Aalen gearbeitet haben. Sondern wir haben insbesondere durch die Auflösung der Mittelbehörden bei der Kriminalpolizei 13 und bei der Schutzpolizei 35 Kollegen dazu bekommen, also schon mal zum Start 48 Leute mehr an Bord. Unser Anspruch ist darüber hinaus, dass wir unsere internen Verwaltungsstrukturen nur mit so vielen Leuten wie nötig und so schmal wie möglich gestalten, um mehr Personal auf die Straße zu bekommen.
Ist man dem Anspruch gerecht geworden?
Vom Grundsatz ja. Aber natürlich bedingen die schon erwähnten sozialverträglichen Umsetzungen, dass ich zum Teil nicht alle Leute dort habe, wo ich sie gerne hätte. Das sind aber Prozesse, die sich vor allem altershalber in den nächsten Jahren von selbst erledigen werden.
Die Landtagsfraktion der CDU glaubt, dass die Präsenz der Polizei im Bürgeralltag eher schlechter geworden ist und nimmt die drastisch angestiegene Zahl der Wohnungseinbrüche als einen Beleg dafür
Den Anstieg der Wohnungseinbrüche mit der Reform zu verknüpfen, entbehrt jeder Grundlage. Diese Entwicklung hat schon in den vergangenen Jahren begonnen. Die Reform kommt allerdings gerade rechtzeitig, um darauf schlagkräftig reagieren zu können. Sowohl im Bereich der Prävention als auch der Repression. Grundsätzlich jeder Einbruch kann jetzt von der Spurensicherung der Kriminalpolizei untersucht werden. Wir haben bereits im Januar eine Konzeption zur Bekämpfung der Wohnungseinbrüche herausgegeben. Wir werden jetzt eine Ermittlungsgruppe einrichten, die sich um die Brennpunkte kümmert. Wir können verschiedene Einheiten zur Bekämpfung eines Deliktfelds bündeln und wir können einen einheitlichen Standard gewährleisten.
Setzen Sie sich gerade selbst unter Erfolgsdruck?
Ich würde es Erfolgsanspruch nennen. Das ist keine schlechte Sache, gilt im Sport genauso wie bei uns. Wir haben einen Auftrag gegenüber der Bevölkerung und dem sind wir verpflichtet.