Reportage: Frank Buchmeier (buc)
War das eine deprimierende Erfahrung?
Keineswegs, denn Kelly zeigte mir, wie man trotz einer großen Schuld, die auf einem lastet, aufrecht leben kann: Sie hatte ihren Freund dazu animiert, ihren Mann zu ermorden, dafür war sie 1998 zum Tode verurteilt worden. Im Gefängnis verwandelte sich Kelly von einer bitteren, feindseligen in eine warmherzige, mitfühlende Person. Sie hielt junge Mitgefangene vom Selbstmord ab und sprach ihnen Lebensmut zu.
Ende September vergangenen Jahres wurde Kelly Gissendaner dennoch hingerichtet.
Der Staat von Georgia hat Kelly quasi drei Mal umgebracht: Am 25. Februar 2015 musste die Verlegung in die Hinrichtungskammer wegen eines Schneesturms abgesagt werden, eine Woche später entdeckte man kurz vor der Hinrichtung, dass die Lösung in der Todesspritze verklumpt war. Sieben Monate später wurde das 17 Jahre alte Urteil endgültig vollstreckt. Während sie starb, sang Kelly das Lied „Amazing Grace“: „Erstaunliche Gnade! Wie süß dieser Klang. Dies rettete mich kleines Wesen. Einst war ich verloren, aber jetzt bin ich gefunden. War blind, aber jetzt kann ich sehen.“ Ich habe die USA dafür verachtet, dass sie Kelly getötet haben. Nun liebe ich das Land wieder, weil ich viele amerikanische Freunde gefunden habe, die für eine Abschaffung der Todesstrafe kämpfen.
Die Menschen, die für Kelly Gissendaners Tod verantwortlich sind, berufen sich auf denselben Gott wie Sie. Woher soll man wissen, wer die Bibel richtig auslegt?
Diese Frage kann nur jeder für sich selbst beantworten. Man muss sein Gewissen fragen und aus den eigenen Erfahrungen heraus erkennen, was Gottes Wille ist.
Glauben Sie, dass Sie Kelly Gissendaner irgendwann wieder begegnen?
Ja, ich werde aber auch jenen Menschen wieder begegnen, die mir weniger sympathisch waren. Das Leben im Jenseits ist genauso bunt wie das Leben hier, aber nicht so blutig und so schuldbeladen.