Kultur: Tim Schleider (schl)
Ihr Handlungsballett „Krabat“ ist bei den Kritikern und vor allem beim Stuttgarter Publikum ein Riesenerfolg. Woher kam der Mut, in drei Akten gleich eine so große Geschichte erzählen zu wollen?
Ich habe 2010 den „Karneval der Tiere“ von Camille Saint-Saëns choreografiert. Da hätte ich ja gar keine Geschichte erzählen müssen, das wäre auch abstrakt gegangen. Aber ich merkte, dass ich eine Geschichte erzählen will. Ich will etwas zeigen, was jeder versteht, auch wenn er sonst nicht viel von Tanz versteht und auch kein Programmheft gelesen hat. Mich fasziniert die Tradition, die gerade das Stuttgarter Ballett mit seinen Cranko-Stücken hat, aber auch mit den jüngeren Werken von Christian Spuck und Marco Goecke. Und am aufregendsten fand ich den „Krabat“ übrigens in der Schulvorstellung. Lauter aufgeregte Jugendliche. Ich habe in der Loge gesessen und war so begeistert, wie die alles verstanden haben und mit großem Gefühl mitgegangen sind. Und übrigens haben Jugendliche während der Vorstellung viel weniger Hustenanfälle als Erwachsene.
Sind Sie streng mit den Tänzern?
Sehr! Ich muss noch daran arbeiten, die Ruhe zu bewahren, auch wenn zwanzig, dreißig Tänzer um mich herumwuseln. Ich selbst habe als Tänzer früher immer viel gequatscht, ich weiß gar nicht, wie die Ballettmeister das mit mir ausgehalten haben.

„Moderne Musik ist interessant“

 
Am 17. April wird im Ballettabend „Fahrende Gesellen“ Ihr neues Stück uraufgeführt, „Aftermath“. Wie genau ist alles von Ihnen konzipiert, bevor Sie in die Proben gehen?
Ich arbeite sehr viel vorher, habe meine Vorstellungen von Strukturen, Formen und Zuordnungen zur Musik. Aber die Schritte selbst entwickle ich erst mit den Tänzern. Am liebsten ist mir, wenn der Tänzer nach meinen Vorgaben etwas tanzt und ich daran arbeiten kann wie ein Bildhauer an seinem Kunstwerk.
In Ihren Stücken erklingt sehr viel moderne und zeitgenössische Musik. Im „Krabat“ gibt es Stücke von Penderecki, Glass und dem Letten Péteris Vasks. Haben Sie keine Sorgen, das Publikum damit zu verschrecken?
Ich denke, dass Musik, die ich interessant oder spannend finde, doch auch bei anderen ankommen muss. Für mein neues Stück konnten wir den Amerikaner Michael Gordon gewinnen, eigens für uns zu komponieren. Ich habe lange mit ihm telefoniert, dann hat er zugesagt, obwohl er auch sonst gerade schwer beschäftigt war.
Hören Sie privat auch nur Zeitgenössisches?
Auf meinem iPhone laufen gerade die Bee Gees. Die sind ja jetzt nicht mehr zeitgenössisch. Ich glaube, meine Mutter hat die früher gern gehört. Ich fühle mich bei denen jedenfalls immer sofort wie zu Hause.