Der Zulieferer Mahle will an vier Standorten Kosten senken. Im StZ-Interview sprechen Mahle-Chef Heinz Junker und Arbeitsdirektor Michael Glowatzki über die schwierigen Verhandlungen mit den Betriebsräten.

Stuttgart -

 
Mit der Übernahme des Bereichs Thermomanagement des US-Konzerns Delphi stärkt der Stuttgarter Zulieferer Mahle die Tochter Behr. Gleichzeitig will das Unternehmen an deutschen Standorten sparen. Was sind die Hintergründe? Mahle-Chef Heinz Junker und Arbeitsdirektor Michael Glowatzki erläutern es.
Herr Junker, Sie haben das Thermomanagement-Geschäft von Delphi übernommen. Was gewinnen Sie außer Marktanteile?
Junker: Marktanteile sind in unserem Geschäft wichtig. In der Regel reichen drei Anbieter auf dem Weltmarkt aus. Mahle Behr ist aber die Nummer vier oder fünf. Im Nutzfahrzeugbereich sind wir zwar Marktführer, bei Personenwagen sind wir aber davon entfernt. Ursprünglich wollten wir organisch wachsen. Dann bot sich die Gelegenheit, das Thermomanagement-Geschäft von Delphi zu übernehmen. Probleme mit den Kartellbehörden erwarte ich dabei nicht. Künftig setzen wir etwa fünf Milliarden Euro im Bereich Thermomanagement um – und sind nach dem japanischen Denso-Konzern jetzt zumindest gleichauf mit Valeo und Visteon.
Kaufen Sie auch Technologie zu?
Junker: Delphi ist uns bei einigen Produkten technologisch voraus. Mahle Behr hat auch gute Produkte, aber nun können wir – was sehr wichtig ist – eine Lücke im Portfolio schließen. Behr war traditionell der einzige unter den großen Zulieferern, der keinen Kompressor im Angebot hatte. Doch die Automobilhersteller erwarten von Lieferanten auch komplette Systementwicklungen. Deshalb haben wir uns manchmal schwergetan, globale Aufträge zu gewinnen, bei denen es – über die gesamte Lebenszeit eines Modells hinweg – manchmal um Milliardensummen ging. Delphi hat Kompressorenwerke in Ungarn, Mexiko, Brasilien und China.
Bekommen Sie neue Kunden dazu?
Junker: Mahle Behr ist insbesondere in Japan nicht so gut aufgestellt wie andere Wettbewerber. Das liegt aber teilweise am japanischen System. Denso, eine Toyota-Tochter, ist der Haus- und Hoflieferant von Toyota. Auch andere japanische Hersteller haben eigene Zulieferer. Das heißt aber nicht, dass sie sich zu 100 Prozent dort eindecken. Ein Toyota bezieht etwa 80 Prozent aus dem eigenen Haus. Damit will man auch die eigene Tochter unter Wettbewerb setzen. Und um an solche Anteile zu kommen, braucht man in Japan mindestens ein Entwicklungszentrum und eine Mannschaft, die die Landessprache spricht.
Wie wollten Sie das Defizit von Mahle Behr beheben?
Junker: Unser Plan sah vor, das Geschäft selbst aufzubauen, aber das hätte bestimmt sechs bis zehn Jahre gedauert. Delphi hat bereits deutlich mehr Geschäft mit japanischen Kunden.
Streichen Sie nun die Investitionspläne?
Junker: Wir brauchen keine Anstrengungen zu unternehmen, selbst Werke in Japan zu errichten. Das heißt aber nicht, dass wir Investitionen bei Mahle Behr reduzieren.
Delphi ist in Asien, Osteuropa und in den USA stark. Bleibt Westeuropa für Mahle Behr.
Junker: Mahle Behr ist in den USA sehr viel stärker als Delphi, denn wir haben vor mehr als zehn Jahren die früheren Chrysler-Inhouse-Aktivitäten übernommen – einschließlich eines Werks in Dayton/Ohio. Delphi ist dafür in Mexiko extrem gut positioniert – sie haben dort ein Werk mit über 2000 Mitarbeitern. Mahle Behr hat zwar auch ein Werk im Nordosten von Mexiko, ist aber nicht in Zentralmexiko vertreten, wo sich viele Hersteller angesiedelt haben.
Unterscheidet sich die Technologie von Delphi und Mahle Behr stark?
Junker: Es handelt sich um ähnliche Produkte. Ich weiß, worauf sie hinauswollen. Es gibt keine Planung, ein Werk von Mahle Behr zu schließen. Wir haben keine Auslastungsprobleme – weder in den Delphi- Werken noch in denen von Mahle Behr. Und wir denken auch nicht an einen Abbau von Arbeitsplätzen. Eine Klimaanlage ist großvolumig und kann nur zu hohen Kosten über weite Strecken transportiert werden. Der Radius ist auf etwa 500 Kilometer begrenzt. Ab dieser Entfernung werden Einsparungen bei den Personalkosten von den höheren Logistikkosten aufgebraucht.
Dann könnten Sie die Jobs der Beschäftigten von Mahle Behr doch sichern.
Junker: Das ist ein kritischer Punkt. Was da an Informationen von den Betriebsräten gestreut wurde – die Rede ist von flächendeckenden Gehaltskürzungen von 15 Prozent –, ist einfach falsch. Ich kann es Ihnen erklären. In der Betriebsrätevollversammlung im November hatte ich eine Beispielrechnung präsentiert. Mehr war das nicht.
Also waren es nur abstrakte Überlegungen?
Junker: Nicht ganz. An kritischen Standorten müssen wir die Kosten senken. Aber es geht weder um die flächendeckende Einführung der 40-Stunden-Woche noch um 15-prozentige Entgeltkürzungen. Wir wollen lediglich an einem einzigen Standort – in Leibertingen – eine längere Arbeitszeit einführen. Dort fertigen wir Nockenwellen. Wir haben so viele Neuaufträge, dass wir sogar einstellen müssen. Doch um den Standort wirtschaftlich vernünftig dastehen zu lassen, möchten wir eine verlängerte Arbeitszeit ohne Entgeltausgleich.
Die Betriebsräte wollen fünf Jahre Kündigungsschutz.
Junker: Eine Beschäftigungssicherung über fünf Jahre gibt es bei keinem deutschen Zulieferer. Dafür ist die Volatilität in unserer Branche viel zu groß – das wäre Harakiri. Eine Beschäftigungssicherung hat zudem mit Geben und Nehmen zu tun. Wir sind bereit, Zusagen über Produktanläufe und Investitionen zu machen – aber die Vertreter der Arbeitnehmer verharren starr auf ihrer Position. Sie haben uns nichts angeboten. Doch von unseren gut 20 Standorten in Deutschland schreiben einige rote Zahlen. Als kritisch sind Öhringen, Gaildorf, Wustermark und Leibertingen zu nennen. Da müssen wir etwas machen.
Produktivitätssteigerungen reichen nicht?
Junker: Wenn wir unsere Kosten beispielsweise in Gaildorf mit denen in Polen oder der Slowakei vergleichen, ist der Unterschied so groß, dass wir das über die Produktivität nicht hinbekommen. Weil wir eine hohe Fertigungstiefe haben, liegen die Personalkosten teilweise über 35 Prozent. Das erhöht die Attraktivität der osteuropäischen Standorte noch. Wenn ein Produktwechsel ansteht, verschärft sich die Situation. Unsere Wettbewerber fertigen in Osteuropa. Wir sind da in einer Zwangslage. Wir müssen schauen, wie wir Nachfolgeprodukte für die Standorte in Deutschland gewinnen können.
Wie kann die Lösung aussehen?
Junker: An Standorten mit strukturellen Problemen haben wir nur die Möglichkeit, Personalkosten zu senken oder Personal zu reduzieren – ansonsten sind Verluste vorprogrammiert.
Glowatzki: Unser Konzept sieht vor, die geltende Regelung für unkritische Standorte zu verlängern. Das können wir bei kritischen Standorten nicht. Da brauchen wir Zugeständnisse, und zwar auch solche, die in den Flächentarifvertrag eingreifen. Uns schwebt eine Art Werkzeugkasten mit verschiedenen Maßnahmen vor, über die wir dann im jeweiligen Einzelfall verhandeln können. Dabei geht es um die Möglichkeit der Arbeitszeitverlängerung, der Verschiebung von Tariferhöhungen und der Kürzung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Es sind Instrumente, die wir etwa bei Mahle in Lorch im Remstal schon anwenden.