Exklusiv Im StZ-Interview spricht Dieter Hoeneß vor dem Spiel am Mittwoch zwischen dem VfB und dem FC Bayern über die orientierungslosen Stuttgarter, die souveränen Münchner – und die Steueraffäre seines Bruders Uli.

Stuttgart – - Dieter Hoeneß (61) nimmt sich Zeit für dieses Gespräch – genau eine Stunde. Am Ende ist er zufrieden. „Das hat Spaß gemacht“, sagt er. Hinter ihm liegen 60 Minuten mit vielen Themen.
Herr Hoeneß, manche Sponsoren und Teile der Fans vermissen beim VfB seit Längerem eine transparente Strategie. Können Sie aus der Ferne eine erkennen?
Teilweise ja. Die Bestellung von Thomas Schneider zum Cheftrainer ist zumindest ein Signal in diese Richtung – zumal damit ja offenbar die Maßnahme verbunden ist, wieder mehr auf junge eigene Spieler zu setzen. Das ist ein Anfang, aber klar ist, dass weitere Dinge folgen müssen.
Konkret was?
Ich will hier nicht den Schulmeister spielen, aber fest steht, dass man momentan nicht so recht weiß, was man mit dem VfB anfangen soll. Eine klare Botschaft ist nicht zu erkennen. Der VfB hat nicht mehr das Profil, das er schon einmal hatte. Früher war es so, dass Platz sieben eine große Enttäuschung bedeutete. Inzwischen steht der Club aber schon seit einiger Zeit im Niemandsland der Tabelle – und so wird er dann auch wahrgenommen.
Das ist kein schönes Bild. Um es zu korrigieren, ist die Vereinsführung gefordert, die sich ja im Sommer neu aufgestellt hat – mit Bernd Wahler als Präsident. Und auch der Manager Fredi Bobic hat nach seiner Bestellung in den Vorstand mehr Verantwortung.
Ich kenne Bernd Wahler noch aus früheren Zeiten, als er bei dem Sportartikelhersteller Nike war. Da hatten wir öfter miteinander zu tun. Er ist ein sehr besonnener Mann, dem der Fußball nicht fremd ist.
Von Wahler und Bobic wird erwartet, dass sie den VfB wieder nach vorne bringen und ihn als Marke wieder salonfähig machen.
Das geht aber nicht von heute auf morgen, sondern dauert etwas. Ein neuer Mann muss sich in seine Rolle ja erst mal einfinden. Da spricht man dann immer von 100 Tagen, aber darum geht es im Fußball nicht. Nicht Geschwindigkeit ist das Thema, sondern Nachhaltigkeit.
Könnte die vom VfB mal angedachte Ausgliederung der Profiabteilung so eine nachhaltige Maßnahme sein?
Ich habe das ja schon als Manager bei Hertha BSC mitgestaltet. Ein Allheilmittel ist das zwar auch nicht, aber eine Chance. Wobei ich diesen Schritt beim VfB jetzt nicht für so zwingend halte wie beim Hamburger SV, denn in Stuttgart sind die Strukturen im operativen Geschäft bereits professionell. Trotzdem wäre es bestimmt nicht verkehrt, diesen Weg zu wählen, um sich auf dem Kapitalmarkt eventuell frisches Geld beschaffen zu können.
Wo spielt der jetzt 17-jährige Timo Werner in zwei oder drei Jahren?
Für den VfB hoffe ich – immer noch beim VfB. Und ich habe auch den Eindruck, dass er auf dem Boden bleibt und von der Entwicklung nicht überrollt wird. Aber er hat eine Menge Potenzial und wird sicher in absehbarer Zeit an die Tür zur Nationalmannschaft anklopfen. Dann wird er von den absoluten Spitzenvereinen gejagt. Und dann wird ihm der VfB schon eine Perspektive bieten müssen.
Hat der VfB jetzt einige verlorene Jahre hinter sich?
Der Verein dümpelte zuletzt schon etwas vor sich hin. Er gehört nicht mehr zur Spitze und wird nicht mehr in einem Zug mit den Spitzenclubs genannt: Bayern, Dortmund, Leverkusen, Schalke, Gladbach und Wolfsburg. Aber gerade an Gladbach sieht man, wie schnell es im Fußball auch wieder nach oben gehen kann. Von den Voraussetzungen her hat der VfB dazu auch die Möglichkeiten, doch es muss etwas passieren.
Dieter Hoeneß spielte zwischen 1975 und 1979 für den VfB. In 105 Einsätzen erzielte er 44 Tore. 1977 stieg er mit dem Verein in die Bundesliga auf. Nach seiner Zeit in Stuttgart wechselte er zum FC Bayern, mit dem er fünfmal Deutscher Meister wurde. Er bestritt sechs Länderspiele und wurde 1986 Vizeweltmeister.
Vor zwölf Tagen hat Red Bull Salzburg ein Testspiel gegen den FC Bayern mit 3:0 gewonnen. Kann nur diese Mannschaft die Münchner schlagen?
Offensichtlich muss man vor dem Anpfiff tatsächlich Red Bull trinken.
Im Ernst?
Es wird sehr schwer, die Bayern zu schlagen – vielleicht an einem Tag, an dem das Team einen ganz schwachen Tag hat und der Gegner über sich hinauswächst. Oft wird das nicht geschehen. Der deutsche Meister steht für mich jetzt schon fest.
Franz Beckenbauer hat gesagt, dass er sich an keinen stärkeren Kader erinnern kann.
Er hat recht. Das ist die beste Bayern-Mannschaft aller Zeiten – und das will etwas heißen. Sie haben 20 Weltklasseleute.
Als 21. kommt im Sommer noch Robert Lewandowski aus Dortmund hinzu.
Das passt zur Strategie und ist ein weiteres Puzzleteil. Die Bayern holen nicht fünf oder sechs Spieler, sondern gezielt einen, der sie noch besser macht.
Und dazu haben sie in Pep Guardiola auch noch einen der besten Trainer.
Es ist nicht einfach, einen so fantastischen Kader bei Laune zu halten und jedem Spieler gerecht zu werden. Aber mit seiner Persönlichkeit ist Pep für diese Aufgabe prädestiniert. Es ist beeindruckend, wie er das anpackt. Er kann eine ganze Ära prägen.
Was ist denn das Besondere an seiner Persönlichkeit?
Die gesunde Mischung aus Bescheidenheit und dem Wissen um seine Qualitäten. Er muss kein großes Theater um sich machen. Er weiß, was er tut. Das Ergebnis ist, dass der Bayern-Fußball jetzt das Maß aller Dinge ist – nicht nur vom Erfolg her, sondern auch von der Spielweise. Früher schaute man da zu Ajax Amsterdam, dem AC Mailand und dem FC Barcelona – heute blickt man nach München.
Wer kann die Bayern auf Dauer am ehesten gefährden – der VfL Wolfsburg vielleicht?
Nachhaltig kann die Bayern keiner stoppen, auch Wolfsburg nicht, denn es gibt das Financial Fairplay der Uefa, das besagt, dass ein Investor nicht unbegrenzt Geld zur Verfügung stellen darf, um die Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben auszugleichen. Die Auswirkungen wird man übrigens auch bei Paris St. Germain und Manchester City noch spüren – und deshalb kann VW die Schatulle in Wolfsburg nicht endlos öffnen.
Nach seiner aktiven Zeit schlug Dieter Hoeneß die Funktionärslaufbahn ein. 1990 wurde er Manager beim VfB, mit dem er zwei Jahre später die Deutsche Meisterschaft gewann. 1996 stieg er bei Hertha BSC ein und führte den Club zurück in die Bundesliga. Im Juni 2009 trat er von seinem Amt in Berlin zurück. Es folgte ein Jahr in Wolfsburg – von 2010 bis 2011.
Wie bewerten Sie die Entwicklung auf dem Managerposten in den vergangenen Jahren insgesamt?
Da hat sich einiges verändert. Früher waren die Aufgabenfelder viel weiter gesteckt. So war ich etwa auch noch für Sponsoring und PR zuständig. Ähnlich verhielt es sich bei Rudi Assauer, Reiner Calmund oder meinem Bruder Uli. Heute ist das enger gefasst. Für jeden Bereich gibt es einen Experten. Spezialistentum ist gefragt.
Sind auch die Einstellungskriterien für Trainer andere geworden?
Ja, auch hier ist ein Wandel da. Die Taktik ist viel wichtiger geworden. Das hat das Anforderungsprofil beeinflusst. Die Trainer sind heute akribisch ausgebildet. Die Sportwissenschaft spielt eine große Rolle. Es funktioniert mehr mit dem Kopf und weniger aus dem Bauch heraus.
Werden Sie noch mal in der Liga arbeiten?
Nein. Nach der langen Zeit in Stuttgart, Berlin und Wolfsburg wollten meine Frau und ich auf jeden Fall wieder in München leben. Deshalb habe ich mehrere Anfragen abgelehnt, denn nach fast 40 Jahren im operativen Profifußball haben sich die Prioritäten für mich etwas verschoben. Vor zwei Jahren habe ich eine Consultingfirma gegründet. Dadurch habe ich immer noch eine Nähe zum aktuellen Geschehen in der Bundesliga – und trotzdem genügend Freiräume für private Interessen. Aber wer weiß, vielleicht kehre ich doch noch einmal zurück – dann allerdings nicht ins operative Geschäft, sondern in einer beratenden Funktion, vielleicht in einem Aufsichtsrat.
Sollte es eigentlich noch so klassische Mittelstürmer wie Sie früher geben?
Ein paar gibt es ja schon noch. Mario Mandzukic ist so einer, der dem Gegner wehtun kann. Ich kenne in ganz Europa keinen Stürmer, der im Spiel gegen den Ball solche Qualitäten hat wie er. Und Klaas-Jan Huntelaar, Stefan Kießling und Pierre-Michel Lassogga sind ähnliche Typen.
Dieter Hoeneß hat ein sehr enges Verhältnis zu seinem Bruder Uli, mit dem er einst in Ulm aufgewachsen ist. Auch jetzt steht er ihm zur Seite, da Uli Hoeneß privat schwere Zeiten durchmacht und sich demnächst in München vor Gericht verantworten muss.
Am 10. März beginnt der Prozess gegen Ihren Bruder Uli. Er ist wegen Steuerhinterziehung angeklagt.
Ich bitte um Verständnis, aber zu diesem Thema will ich nicht so viel sagen. Das Ganze ist zu komplex, als dass man es in ein paar Sätzen richtig darstellen könnte.
Aber als Bruder können Sie was sagen?
Sicher hat Uli einen Fehler gemacht, den er mit seiner Selbstanzeige ja auch zugegeben hat. Aber ich hoffe, dass das Verfahren eine Gelegenheit für ihn ist, den Nachweis zu erbringen, dass diese Selbstanzeige korrekt war. Diese Möglichkeit ist in unserem Gesetz nun mal verankert. Und dann hoffe ich noch, dass dieses Kapitel im März endlich abgeschlossen ist.
Weil es an den Nerven zehrt?
Natürlich bedrückt das vor allem Uli und seine Familie, aber auch ich und meine Familie leiden darunter.