Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)
Sie haben in der Vergangenheit sehr kritisch die imperialistische Politik der USA gegeißelt. Bietet das aktuelle Vorgehen Russlands Parallelen?
In den USA beobachtet man seit dem Ende des Kalten Krieges, dass die USA als militärische Macht es geschafft hat, die Konflikte auf eine militärische Ebene zu bringen und dann die Länder zu okkupieren. Das war in Afghanistan so und im Irak und auch in Libyen. Was wir bei Russland gesehen haben ist anders. Es gab zwar eine Mobilisierung von Streitkräften aber nicht die Okkupation eines Landes.
Sie gelten nicht nur als Kritiker Amerikas sondern auch des Neoliberalismus. Ihre These lautet seit Jahren: er kämpft ums überleben. Immer noch?
Ich denke ja. Europa ist noch neoliberal und auch noch einige Länder Lateinamerikas, zum Beispiel Mexiko. Anders Brasilien, Uruguay, Argentinien, Venezuela, Ecuador, und Bolivien: Das sind postliberale Länder.
Was ist das?
Diese Länder haben drei fundamentale Aspekte des Neoliberalismus verändert. Da steht zunächst die soziale Politik im Vordergrund. Dann gibt es auf der internationalen Bühne keine Handelsabkommen mit den USA, sondern eine regionale Integration und einen Dialog Süd-Süd. Und drittens wird die Macht nicht im Markt zentralisiert.
Sind diese Länder in Sachen Sozialpolitik fortschrittlicher als Europa?
Das generelle Konzept haben diese Länder aus Europa übernommen. Aber wir haben es verbessert und ausgebaut. Die Umverteilung in die unteren Schichten der Bevölkerung funktioniert ganz gut, in Europa gibt es inzwischen gegenteilige Tendenzen. Dabei ist die Umverteilung nach unten nicht nur sozial gerecht, sondern öffnet auch die Möglichkeiten für ein Wirtschaftswachstum im Binnenmarkt.