Exklusiv Im Interview mit dem StZ-EU-Korrespondenten Christopher Ziedler warnt der Eon-Chef Johannes Teyssen vor Panikmache wegen der Ukraine-Krise. In Deutschland sei die Versorgung nicht gefährdet, so lange Russland nicht alle Pipelines abdrehe.

Brüssel – - Die Energiewirtschaft befindet sich im Umbruch. Zu Atomausstieg, Energiewende und Fracking-Revolution in den USA kommt jetzt noch die Krise im Verhältnis zu Russland. Der Eon-Konzern, dem Johannes Teyssen vorsteht, ist dort besonders stark engagiert.
Herr Teyssen, bedauern Sie, dass Günther Oettinger nicht EU-Energiekommissar bleibt? Der Kontakt soll sehr eng sein.
Ich begrüße erst einmal, dass Oettinger jetzt ein so wichtiges Ressort wie die Digitale Agenda macht. Auch für unsere Industrie ist entscheidend, ob wir den Vorsprung der Amerikaner im Internet wenigstens bei der Digitalisierung aufholen können. Von daher sehe ich den Wechsel mit einem lachenden und einem weinenden Auge.
Kennen Sie denn den neuen spanischen Kollegen schon, der jetzt Energie macht?
Nein. Ich habe ihn noch nie getroffen. Wichtiger als der Name ist für uns aber, dass die Zuständigkeiten für Energie- und Klimapolitik jetzt gebündelt worden sind, damit der Dauerkonflikt – wie früher in Deutschland Umwelt- gegen Wirtschaftsministerium – endet. Und dass der künftige Kommissionschef Jean-Claude Juncker eine eigene Vizepräsidentin für die Energieunion – was immer das heißt – benannt hat, zeigt, dass er dem Thema Energie eine herausgehobene Stellung einräumt. Das ist ein guter Start, die handelnden Personen lernen wir auf dem Weg noch kennen.
Zur Energieunion, die vom bisherigen polnischen Premier Donald Tusk vorgeschlagen wurde, gehört eine EU-Einkaufsgemeinschaft, um gegenüber Russland stärker auftreten zu können. Können Sie sich als Privatunternehmen vorstellen, in so einem staatlichen Konstrukt zu agieren?
Die Vorschläge von Herrn Tusk umfassen ja mehr als nur den gemeinsamen Gaseinkauf, daher sollten sie genau geprüft werden. Das Anliegen der Polen aber, eine staatliche Einkaufsgemeinschaft zu gründen, halten wir grundsätzlich für kartellrechtlich bedenklich.
Um die Abhängigkeit von außen zu reduzieren, wäre ein geringerer Verbrauch die einfachste Lösung. Gerade erst jedoch hat die EU-Kommission Deutschland verklagt, da es die Energiespar-Richtlinie nicht umgesetzt hat. Blockiert die Industrie?
Die Richtlinie wird sicher noch umgesetzt, aber echte Anreize zum Energiesparen schafft sie nicht. Ich etwa möchte lieber Partner meiner Kunden sein, als von der Politik in die Schulmeisterrolle getrieben werden, in der ich meine Kunden belehren soll, wie sie sich zu verhalten haben. Kunden reagieren sensibel auf den Strompreis, deshalb helfen wir ihnen Energie zu sparen. Sie sollten also nicht denken, dass die Energieversorger kein Interesse an einem geringeren Verbrauch hätten – das lohnt sich auch für uns.
Sie sprechen den Strompreis an, der schon dazu geführt hat, dass die eine oder andere Investition lieber in Übersee getätigt wurde. Wie bekommt Europa den in den Griff?
Die Chance wie die Amerikaner über Fracking an extrem billiges Gas zu kommen, haben wir nicht – zumindest nicht in dieser Menge und mit dieser Wirkung. Andererseits beruht der Preisunterschied zwischen Europa und Nordamerika auch sehr stark auf der Besteuerung, die in den USA niedrig und in der EU sehr hoch ist. Und da der Energiepreis zum Standortfaktor geworden ist und Arbeitsplätze verloren zu gehen drohen, denke ich erstens, dass wir um eine steuerliche Entlastung nicht herumkommen – so unangenehm das für die Politik ist. Und zweitens müssen wir die Energiewende so günstig wie möglich gestalten.
Das hört sich gut an, doch fordert Ihre Branche auch Subventionen für klassische Kraftwerke – die sogenannten Kapazitätsmechanismen.
Wir verlangen keine Hilfen, sondern sagen, dass Versorgungssicherheit einen eigenständigen Preis neben der grünen Energie bekommen muss. Erneuerbare sind nun mal nicht zu jeder Stunde verfügbar. Deshalb brauchen wir Speicher und für die Stunden, in denen weder Wind- und Solarenergie noch gespeicherte Reserven zur Verfügung stehen, ein stabiles Rückgrat.
Aber das kostet doch Geld?
Gutachten des Wirtschaftsministeriums zeigen, dass sich das nur im Hundertstel-Cent-Bereich auf den Strompreis auswirkt. Es ist billiger das jetzt zu machen, wo es noch genug Reserven gibt, als in der Krise zu sein und dann aufzuwachen. Noch haben wir in Europa genug Stromreserven. Wollen wir wirklich warten, bis im Wettbewerb so viel stillgelegt ist, dass wir sie nicht mehr haben? Das ist die Situation, die wir heute im Gasmarkt haben. Das Kind liegt schon halb im Brunnen, und jetzt wird hektisch überlegt, was zu tun ist.
Wie schätzen Sie die Versorgungslage ein, falls es doch wieder zu einer Eskalation der Situation in der Ukraine kommen sollte? Wird es kalt bei uns?
Es bringt nichts, Horrorszenarien zu entwerfen nach dem Motto: Die Stube wird kalt. Selbst wenn die Gaslieferungen durch die Ukraine heute in Gefahr gerieten, läge die größte Herausforderung in der Ukraine selbst und in den angrenzenden südosteuropäischen Nachbarstaaten, denen wir dann solidarisch helfen müssen. Deswegen müssten wir uns in Deutschland noch lange keine Pullover stricken – Nordwesteuropa wäre von bloßen Lieferunterbrechungen in der Ukraine überhaupt nicht betroffen. Lieferengpässe bei uns könnte es nur bei einer drastischen Zuspitzung geben, wenn also beispielsweise auch Nordstream, die neue Ostseepipeline, und die Leitungen durch Weißrussland und Polen betroffen wären. Deswegen finde ich diese Weltuntergangsszenarien nicht hilfreich.
Die EU-Kommission arbeitet dennoch schon an Notfallplänen für den Winter.
Noch haben wir jede Menge Reaktionsmöglichkeiten. Northstream hat Reserven, die nicht genutzt werden, die Speicher haben das ebenfalls. Allerdings ist es kein gutes Signal, dass manche Unternehmen derzeit Speicher stilllegen, weil sie unrentabel sind. Das könnte sich rächen. Deshalb müssen wir jetzt sagen, wie viel Speicher wir in Zukunft haben wollen und was uns das wert ist. Diese Diskussion läuft gerade in der EU-Kommission. Und ich denke, dass unsere Industrie solidarisch reagieren wird, wenn nun gesagt würde, dass mehr für Notlagen zurückgehalten werden muss. Das Vorrecht der Politik, eine solche Entscheidung zu treffen, ist unbestritten.
Ihr Unternehmen ist stärker als andere in Russland engagiert. Sind Sie angesichts der derzeit so schlechten diplomatischen Beziehungen eigentlich besonders nervös?
Wir sind einer der größten Investoren in Russland, betreiben dort viele Kraftwerke. Wir haben 5000 russische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sehr gute Arbeit leisten. Wir sind demnach Teil der Versorgungssicherheit für die Russen. Und wir sind in diesem Sinne auch ein russisches Unternehmen, und als solches kommen wir unseren Pflichten nach und werden auch anständig behandelt. Insofern beobachten wir jede Zuspitzung mit Sorge und hoffen – wie schon seit 50 Jahren – auf Entspannungspolitik. Aber wir werden in jedem Land und zu jeder Jahreszeit unseren Beitrag erbringen, damit die Versorgungssicherheit in ganz Europa gewährleistet ist.
Erst diese Woche hat Ihr Unternehmen mitgeteilt, dass zurzeit weniger Gas aus Russland ankommt. Hat das technische oder doch eher politische Gründe?
Die Lieferbeschränkungen sind geringfügig. Auswirkungen auf die Versorgungsstabilität haben sie aber nicht. Über Gründe kann nur der Lieferant Auskunft geben.