Neustart an der Landesbühne: an der WLB in Esslingen eröffnet Friedrich Schirmer am Wochenende seine Intendanz. In den achtziger Jahren hat er das Haus schon einmal geleitet: „Manchmal muss man krumme Wege gehen.“

Stuttgart – - Er gehört zu den Größen des Kulturbetriebs. Von seinen 63 Lebensjahren hat er 44 Jahre im Theater verbracht und dabei vier Häuser geleitet, darunter zwei der wichtigsten im deutschsprachigen Raum. Von 1993 bis 2005 war er Chef des Stuttgarter Schauspiels, danach ging er nach Hamburg und übernahm das Deutsche Schauspielhaus. Jetzt aber ist Friedrich Schirmer – ein Novum der jüngeren Theatergeschichte – dorthin zurückgekehrt, wo seine Karriere als Intendant begonnen hat: an die Württembergische Landesbühne (WLB) in Esslingen, die am Freitag ihre Spielzeit mit dem „Untertan“ nach Heinrich Mann eröffnet.
Herr Schirmer, wie fühlt es sich an, nach fast dreißig Jahren wieder an den Ort des Anfangs zurückzukehren?
Unglaublich schön! Ich habe Esslingen vor 25 Jahren schweren Herzens verlassen. Wenn mir damals jemand gesagt hätte, du darfst nach Stationen in Freiburg, Stuttgart und Hamburg wieder zurückkommen, hätte ich gesagt: wie wunderbar!
Ist es wirklich ein „dürfen“?
Ich muss ja nicht, niemand zwingt mich. Ich mache das freiwillig. Ich fühle mich dabei wie Peer Gynt im 5. Akt des Ibsen-Dramas, nur fröhlicher. „Geh außen herum, Peer!“, sagt der Krumme. Genau das habe ich gemacht.
Und Sie fühlen sich, dem Ratschlag des Krummen folgend, jetzt nicht seelisch zerknittert? Ehrenwort?
Nicht zerknittert, Ehrenwort! Ich bin mit mir im Reinen. Natürlich hatte ich vor der Entscheidung für Esslingen hart mit meinem Ego zu tun: Das macht man doch nicht, diese Rückkehr an ein kleines Haus, wenn man Stuttgart und Hamburg geleitet hat. Aber dann, warum eigentlich nicht? Ich bin ja wie ein Musiker. Sie stellen mir ein Klavier hin, und ich – Ego hin, Ego her – fange an zu spielen. Ein Theater leiten, das ist meine Begabung, und wenn ich das tun darf, dann tue ich es.
Und wie wollen Sie, drei Jahrzehnte später, Stadt und Region wieder erobern?
Erobern? Aus dem Hannibal-Alter bin ich eigentlich raus. Es reicht, wenn ich für gutes Theater sorge und mein Publikum gewinne, an einem Haus, das ein theatralischer David ist. Die wenigen Höchstgagen hier entsprechen dem untersten Mittelfeld an großen Theatern. Deshalb bin ich froh, dass einige mir schon länger vertraute Schauspieler Lust hatten, mit nach Esslingen zu gehen: Sabine Bräuning, Gesine Hannemann, Reinhold Ohngemach, Martin Theuer, Antonio Lallo, Marcus Michalski und Christian A. Koch. Dazu kommen noch einige Spieler aus dem Soubeyrand-Ensemble sowie neue junge Talente. Eine Theatermannschaft muss ja wie eine Fußballelf sein: Sie braucht junge Hoffnungsträger so dringend wie alte Haudegen. Doch gerade im Theater ist „alt“ ein relativer Begriff.
Aber es fällt schon auf, dass Sie stark auf diese „alten Haudegen“ setzen.
Ich bin ein treuer Mensch. Aber wenn ich jemanden engagiere, muss die Qualität stimmen, bei Schauspielern und Regisseuren – auch hier, in der Regie, arbeite ich ja mit einigen Weggefährten zusammen, mit Marcel Keller, Pavel Mikulastik und Klaus Hemmerle. Die Eröffnungspremiere aber habe ich – wie schon in Freiburg und Stuttgart – jemandem anvertraut, mit dem ich bis dato noch nicht zusammengearbeitet habe. Christof Küster, der Leiter des kleinen Studio-Theaters in Stuttgart, inszeniert zum Spielzeitauftakt den „Untertan“ nach Heinrich Mann. Dazu kommen als Regisseurinnen unter anderem noch Christine Gnann und Simone Sterr, zwei fantasievolle junge Theaterfrauen, auf deren Arbeit ich mich ganz besonders freue.
Zurück zur Eröffnung: wollen Sie mit der Wahl von Christof Küster auch an Ihren guten Ruf als Talente-Entdecker anknüpfen?
Talente zu entdecken halte ich für eine selbstverständliche Aufgabe jedes Intendanten. Und die Arbeit von Christof Küster verfolge ich schon seit Jahren. Was er im Studio-Theater mit bescheidensten Mitteln auf die Beine stellt, als Intendant und Regisseur, strahlt – ebenso wie seine großen Arbeiten im Stuttgarter Theaterhaus und bei den Klosterfestspielen in Weingarten – eine ungeheure Kraft aus. Deshalb wird er auch in der zweiten Spielzeit bei uns arbeiten.
Glauben Sie denn, bei Ihrem künstlerischen Personal die richtige Mischung aus Alt und Jung gefunden zu haben, um die Landesbühne in die Zukunft führen zu können?
Ich gehe davon aus. Ich war es ja, der in den neunziger Jahren den Jugendlichkeitswahn im deutschen Theater mit ausgelöst hat. Das Stuttgarter Staatstheater hat im großen Stil junge Regisseure mit großen Inszenierungen betraut. Mittlerweile zeitigt diese Entwicklung aber auch negative Folgen: Regisseure gelten mit Mitte dreißig fast schon als alt, jedenfalls nicht mehr als jung. Ich denke, wir haben in Esslingen genau das richtige Team.
Und nach welchen Kriterien haben Sie Ihren ersten Spielplan aufgestellt?
Da Theater ein großer Teil meines Lebens ist, glaube ich an das, was mich am Theater interessiert: Geschichten erzählen, Figuren in all ihren Möglichkeiten erkunden, Theater als Heilkunst erfahrbar machen. Und vielleicht auch mal einen Schritt zurück treten und nicht noch schneller, noch witziger, noch performativer sein wollen, als es die großen Häuser ohnehin schon sind. Ja, Geschichten erzählen, die das Publikum in der gelebten Gegenwart berühren, das ist meine alte neue Sehnsucht. Am Freitag geht’s nun los mit dem „Untertan“: Der Untertan buckelt nach oben, tritt nach unten – ein perfekter Opportunist der Macht. Ein prototypischer Vertreter der wilhelminischen Geisteshaltung, die Deutschland in den Ersten Weltkrieg geführt hat.