Der EU-Kommissionsvize und frühere finnische Premierminister Jyrki Katainen wirbt im StZ-Interview für einen Beitrag Deutschlands und freut sich über acht Milliarden Euro von der bundeseigenen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW).

Brüssel - Finnlands früherer Premierminister Jyrki Katainen besucht von Mittwoch bis Freitag Deutschland. Als neuer Vizepräsident der EU-Kommission wirbt er für den Investitionsfonds, um die Konjunktur in Europa anzukurbeln.

 
Herr Katainen, Sie sind der erste Regierungschef, der zurückgetreten ist, um nach Brüssel zu gehen. Finden Sie Gefallen an der Krise, oder was hat Sie dazu bewogen?
Ich hatte das Gefühl, dass ich nach vielen Jahren als Parteichef, Finanz- und Premierminister noch etwas anderes machen wollte. Zudem habe ich europäische Politik studiert und habe mich schon nach der Uni bei der EU-Kommission beworben. Ich wollte ein besseres Europa bauen.
Das scheint nötiger denn je. Haben Sie, der beide Hilfspakete mitverhandelt hat, ein Gefühl des Scheiterns, wenn Sie die radikale Ablehnung der griechischen Wähler sehen?
Nur Irland wächst derzeit schneller als Griechenland. Ich weiß, die Menschen mussten gewaltige Opfer bringen, sehe aber nicht, wie es anders hätte gehen sollen. Selbst eine höhere Entlastung beim Schuldendienst hätte nicht dazu geführt, dass man ohne Spar- und Reformschritte ausgekommen wäre.
Was kann die EU jetzt tun?
Jetzt muss sich nach der Wahl erst einmal der Staub legen. Sobald die neue Regierung arbeitsfähig ist, wird auch die Kommission über alles verhandeln, was möglich ist. Dennoch muss der neuen Regierung klar sein, dass es 18 weitere demokratisch gewählte Regierungen im Euroraum gibt. Sie haben Athen geholfen und nun ein Wörtchen mitzureden.
Hat Griechenland denn schon genug reformiert, dass es beispielsweise vom neuen EU-Investitionsfonds profitieren kann?
Der Fonds kann Investitionen von kleinen und mittleren Unternehmen in Griechenland finanzieren, was für die Schaffung von Arbeitsplätzen extrem wichtig ist. Zudem geht es um die Infrastruktur. Allerdings hat der Primärüberschuss im Etat das Vertrauen in Griechenland gerade erst wieder gestärkt. Es ist daher sehr wichtig, dass die neue Regierung das beibehält. Sonst kann auch kein Investitionsfonds Griechenland helfen.
Nun kommen Sie nach Deutschland, um für das Projekt zu werben. Wie groß ist der Frust, dass die Bundesregierung sich nicht direkt am Investitionsfonds beteiligen will?
Der Fonds wird auch ohne nationale Beiträge gut funktionieren. Aber natürlich wäre es toll, wenn die Regierungen oder die Förderbanken hinzukämen und das Investitionsvolumen noch höher würde.
Finanzminister Schäuble hat angekündigt, dass sich die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau mit acht Milliarden Euro zusätzlich engagieren will.
Das freut mich sehr. Ich werde die Details bei meinen Gesprächen mit den Verantwortlichen der KfW in Frankfurt klären. Es haben schon mehrere nationale Förderbanken Interesse bekundet. Wir arbeiten an einer Art Plattform, über die sie sich am Fonds beteiligen können.
Haben Sie mehr konkrete Zusagen?
Es gibt eine Reihe von Staaten, die sehr ernsthaftes Interesse bekundet haben. Polen etwa wird dabei sein, wenn es nicht das einzige Land ist. Das werden sie auch nicht sein. Es geht schließlich nicht um Finanzspielereien im luftleeren Raum: je höher die Leihkapazität, desto mehr Jobs können entstehen. Unsere Schätzungen besagen, dass der Fonds in der jetzigen Größe etwa 1,3 Millionen neue Arbeitsplätze entstehen lassen könnte. Bei mehr Investitionen wären es noch mehr.
Ein Grund für die Zurückhaltung könnte sein, dass nicht politisch entschieden werden soll. Das soll sicherstellen, dass kein Steuerzahlergeld für unrentable Projekte im Feuer steht. Welchen Anreiz hat dann aber ein Land, wenn nicht zumindest ein Teil seines Einsatzes ins Land zurückfließt?
Die Projektauswahl folgt den Kriterien der Europäischen Investitionsbank. Trotzdem profitieren alle EU-Staaten davon, wenn mehr investiert wird, egal wo in Europa – schon allein wegen der steigenden Nachfrage.
Das wiederum wirft die Frage auf: Sollten nicht vor allem Krisenländer profitieren?
Das Hauptziel des Fonds ist, Projekte mit höherem Risiko, aber auch höherem Mehrwert zu realisieren, weil Kapitalgeber derzeit vor solchen Investitionen zurückschrecken. Manchmal sind noch unbekannte Technologien der Grund, manchmal ist es das Land. Die betroffenen Projekte werden also überdurchschnittlich den Krisenländern helfen.
Es gibt eine Liste möglicher Projekte mit einem Volumen von 1,3 Billionen Euro.
Ein Fundus möglicher Projekte bildet den zweiten Pfeiler unseres Investitionsplans. Gerade institutionelle Investoren sagen uns, wie schwer es bisher war, lohnende Projekte zu finden und diese weiterzuentwickeln. Auch für Deutschland ist das hochattraktiv: Sobald ein Projekt die Kriterien erfüllt und in unserer „Pipeline“ landet, wird das helfen, Projekte und Investoren zusammenzubringen.
Deutschland hat schon Projekte im Wert von 89 Milliarden Euro angemeldet.
Das war eine reine Wunschliste. Nun müssen wir sehen, welche Projekte in Frage kommen. Das fängt damit an, dass es Projektverantwortliche geben muss. Ein Investitionskomitee schaut sich das an – und entscheidet Projekt für Projekt.
Entscheidungen stehen bald auch zu den Defizitverfahren gegen Frankreich und Italien an. Wie ist die aktuelle Situation?
Italien ist gerade dabei, ehrgeizige Strukturreformen umzusetzen – im Rechtswesen, auf dem Arbeitsmarkt und im Verwaltungsbereich. Wenn Frankreich dasselbe täte, könnte eine positivere Atmosphäre in Europa entstehen. Die französische Regierung muss also demonstrieren, dass sie all ihre schönen Pläne auch durch die Nationalversammlung bekommt und nicht nur ankündigt. Italien tut schon ziemlich viel – Frankreich muss nachlegen.
Und wenn nicht? Sie kennen die Berliner Sorge, in Brüssel werde der Stabilitätspakt nicht konsequent genug angewendet.
Die EU-Kommission trägt dafür Sorge, dass unsere europäischen Regeln glaubwürdig bleiben und für alle gelten. Gerade erst haben wir uns verständigt, wie wir in Zukunft die im Stabilitätspakt bereits enthaltene Flexibilität auslegen. Da war dann von Aufweichung die Rede. In Wahrheit aber haben wir die bisher hohle Phrase von den Strukturreformen verbindlich gemacht. Es bekommt nur der einen Aufschub beim Defizitabbau, der währenddessen Strukturreformen umsetzt. Sie müssen im Parlament verabschiedet sein, gute Absichten allein zählen nicht mehr.
Sie bleiben also Optimist?
Zumindest bin ich nicht so pessimistisch wie andere. Die Mitgliedstaaten reformieren sich, wir bekommen einen Investitionsplan, die Europäische Zentralbank betreibt eine expansive Geldpolitik, der Ölpreis ist gesunken – all das wird wie ein Konjunkturprogramm wirken. Wir wollen den Binnenmarkt für Digitales, Energie und Kapital vorantreiben. Das zusammen sollte einen Wandel zum Besseren möglich machen. Kurzfristige Wunderdinge darf man sich aber nicht erwarten.