Frieder Birzele ist als ehemaliger Innenminister ein Mann mit vielen Terminen gewesen. Doch seit dem vergangenen Herbst ist alles anders. Eine schwere Krankheit wirft ihn aus der Bahn. Im Interview berichten er und seine Frau, wie sie allmählich wieder in ein normales Leben zurück finden.

Göppingen - Monatelang hat Frieder Birzele um sein Leben gekämpft. Notoperationen, Rückschläge und künstliches Koma beherrschten seine Krankengeschichte. Seit kurzem ist er wieder zu Hause. Zusammen mit seiner Ehefrau Irene berichtet der einstige Innenminister über Hoffen, Bangen und neue Pläne.

 
Herr Birzele, wie geht es Ihnen?
Frieder Bi rzel e Erfreulicher Weise geht es mir wesentlich besser. Im Vergleich zu der Zeit vor Monaten ist das ein Riesenunterschied. Denn als ich auf der Intensivstation lag, war ich zeitweise im Koma – ich weiß gar nicht, wie lange – und ich konnte mich überhaupt nicht bewegen. Ich habe es den Ärzten, Schwestern und Pflegern der Klinik am Eichert zu verdanken, dass ich noch am Leben bin und es aufwärts geht.
Sie sind im vergangenen Herbst scheinbar kerngesund nach Florida geflogen. Was ist dann passiert?

Frieder Birzele Ich hatte Rückenschmerzen und habe deshalb relativ hochdosierte Schmerzmittel genommen. Danach fühlte ich mich tadellos. Erst am dritten Tag spannte mein Bauch. Aber richtige Schmerzen und Fieber hatte ich nicht. Mein Schwager – er ist Arzt – hat dann darauf gedrungen, dass ich einen Facharzt aufsuche. Nach der Ultraschalluntersuchung hat die Ärztin gleich gesagt: Sie haben einen Darmdurchbruch. Wir sind mit einem Notarztwagen und einem riesigen Truck in eine Klinik gefahren. Dort habe ich etwa drei Stunden auf den behandelnden Arzt gewartet.

Irene Birzele Ach, das war länger. Der Arzt kam und kam nicht.
Frieder Birzele Vorher mussten wir erst einmal die Kreditkarte herausholen.
Sie mussten Vorauskasse leisten?
Frieder Birzele Ja, das waren 6500 Dollar. Gegen Abend kam der Arzt schließlich und hat gesagt, er müsse noch sein Team zusammenstellen – wodurch nochmals Zeit verstrich. Dann bin ich zur Operation gefahren worden, und ab da weiß ich nichts mehr. Wie mir nachher gesagt wurde, hat die Not-OP viele Stunden gedauert.
Sie sind nach zweieinhalb Wochen nach Deutschland zurückgebracht worden?
Frieder Birzele Der Arzt hat einen relativ optimistischen Bericht geschrieben, so dass die Leute vom ADAC, bei dem ich versichert bin, angenommen haben, ich könnte laufen und wäre normal transportfähig. An der Grenzkontrolle wollten sie mich in den Scanner reinstellen. Aber das ging nicht, weil ich nicht stehen konnte. Ich bin auf einem ganz normalen Sitz in der Business-Klasse nach Frankfurt geflogen. Das sind Liegesitze gewesen. Da konnte ich wenigstens schlafen.
Irene Birzele Wir haben uns für die Heimreise entschieden, weil klar war, dass sich das in Amerika nicht ausheilen lässt. Im Nachhinein betrachtet, war das das einzige Zeitfenster, in dem mein Mann überhaupt transportfähig war und verlegt werden konnte. Der Arzt vom ADAC hat sich auch sehr gewundert. Denn wenn der amerikanische Arzt einen anderen Bericht geschrieben hätte, wäre mein Mann in eine richtige Krankenkabine gekommen. So war es für ihn ziemlich schwierig und belastend.
In Göppingen folgten weitere Operationen. Immer wieder wurden Sie ins künstliche Koma versetzt. Wie erlebt man das?
Frieder Birzele Gar nicht. Ich habe keine Erinnerung.
Frau Birzele, wie war das für Sie?
Irene Birzele Es war grausam. Gott sei Dank hatte ich die Familie und unseren Freundeskreis, die mich großartig unterstützt haben. Ich bin am Bett gesessen und habe gedacht, irgendetwas kriegt er vielleicht mit. Ich habe seine Hand gehalten, ihn gestreichelt, CDs abgespielt. Abends war es immer schwierig zu gehen. Innerlich konnte ich einfach nicht weg. Aber das ganze Pflegepersonal und die Ärzte in der Klinik am Eichert waren eine große Stütze und zeigten sich immer ansprechbar für mich. Aber eine Prognose, wie das alles ausgeht, konnte mir niemand geben.
Frieder Birzele Hinterher haben wir erfahren, dass es schon Augenblicke gab, in denen sich die Ärzte die Frage gestellt haben, ob es noch Sinn hat weiterzumachen.
Wie kamen Sie mit all den Rückschlägen zurecht?
Irene Birzele Das kann ich gar nicht sagen. Da war der septische Schock. Da musste er mit 40 Liter Flüssigkeit vollgepumpt werden. Seine Arme und Beine waren so schwer, dass man sie nicht mehr bewegen konnte. Später kam dann die Lungenentzündung, das Nierenversagen, schließlich der resistente Keim, und er wurde auf die Isolierstation verlegt.
Frieder Birzele Wer mich besuchen wollte, musste Schutzkleidung anziehen.
Irene Birzele Ich bin dann jeden Morgen gekommen und habe gerufen: Hallo, hier kommt die Zeitungsfrau. Und dann habe ich ihm die Nachrichten vorgelesen. Ob er das alles verstanden hat, weiß ich nicht – aber letztlich war das auch nicht so wichtig.
Als Politiker ist man es ja gewohnt, immeralles mitzukriegen. Wie kamen Sie damit zurecht?
Frieder Birzele Eigentlich habe ich nichts verpasst. Wenn ich daseinsorientiert war, hat mich meine Frau über die Bundes-, Landes- und Kommunalpolitik immer auf dem Laufenden gehalten.
Sie konnten zeitweise nicht sprechen. Wie war das für Sie?
Frieder Birzele Wir haben uns mit Zeichensprache verständigt. Dabei habe ich festgestellt, dass meine Umgebung ein bisschen schwer von Begriff ist (lacht).
Irene Birzele Wir haben es auch mit Magnetbuchstaben versucht. Aber das war für ihn viel zu umständlich, und dann hatten wir für die meisten Wörter auch zu wenig Buchstaben. Und außerdem lässt sich so kein Gespräch führen.
Monatelang schwebten Sie zwischen Leben und Tod. Hat Sie das innerlich verändert?
Frieder Birzele In gewisser Hinsicht ja. Die Nachrichten – Israel, Palästina, Ukraine – ich glaube, dass das einen noch mehr bewegt, als wenn man im Alltagstrubel steht. (Er hat Tränen in den Augen.)
Irene Birzele Er ist viel weicher geworden und sensibler. Es ist ja so: Bei ihm war das ganze Leben immer durchgetaktet. Und nun konnte ihm niemand sagen, wann es wieder besser wird. Am Anfang ist er da sehr ungeduldig geworden.
Hat für Sie in den vergangenen Monaten auch das Religiöse eine Rolle gespielt?
Frieder Birzele Das kann ich nicht einfach beantworten. Aber ich habe mich immer geborgen gefühlt.
Irene Birzele Für mich hat das eine Rolle gespielt. Ich fand auch die Reaktion von Freunden und Bekannten erstaunlich, die ich per Rundmail auf dem Laufenden gehalten habe. Wie viele, von denen ich es so nicht erwartet hätte, da mitgegangen sind und gesagt haben, sie schließen ihn ins Gebet ein oder zünden eine Kerze für ihn an. Das war sehr berührend.
Frieder Birzele Es hat mein Leben in jedem Fall verändert. Ich habe auf diese Weise erfahren, was andere für Probleme haben. In solchen Situationen teilen sich die Menschen plötzlich mit.
Wie hat sich Ihr Leben sonst verändert?
Frieder Birzele Ich habe viele Arzttermine, muss zur Physiotherapie und zur Gymnastik. Abends muss ich immer schon um dreiviertel Acht im Bett liegen, weil ich während der Nacht Infusionen bekomme. Dieser Tagesablauf ist natürlich zu meinem bisherigen ein riesiger Unterschied.
Irene Birzele Die Welt wird relativ klein. Wo waren wir früher überall: Kulturverein Stuttgart, Kulturkreis Göppingen, Ausstellungen. Das geht alles im Moment nicht.
Welche Pläne haben Sie?
Frieder Birzele Ich möchte wieder kulturelle und politische Veranstaltungen besuchen und Skifahren können. Und ich freue mich sehr darauf, Familie und Freunde wieder bei uns haben zu können.
Irene Birzele Es kann ja ganz bescheiden sein: Zum „Affenfelsen“ im Oberengadin und dort mit Schwarzwurst, Brot und Rotwein sitzen, die Landschaft genießen und ein bisschen Langlauf machen. Wir haben ja immer mit der Großfamilie und allen Enkeln Skiurlaub gemacht. Das wäre schön.
Frieder Birzele Und dann möchte ich vor allem – wenn ich wieder voll hergestellt bin – mit meiner Frau eine schöne Reise unternehmen und ihr damit für ihren unglaublichen Einsatz danken, der für mich außerordentlich wichtig war.