EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger unterstützt die Forderung nach einem europäischen Verlegerrecht. Die Position der Verlage gegenüber Konzernen wie Google müsse gestärkt werden, forderte er im Interview.

Korrespondenten: Markus Grabitz (mgr)

Stuttgart - Zeitungen sind für eine demokratische Gesellschaft unverzichtbar, sagt EU-Kommissar Günther Oettinger. Doch deren Geschäftsmodell gerate unter Druck, auch weil es „Mitnahmeeffekte“ bei Zeitungsinhalten durch andere Anbieter im Internet gebe. Deshalb plädiert er für einen besseren Schutz des Urheberrechts.

 
Herr Oettinger, warum ist das von vielen Medienhäusern und Branchenverbänden geforderte Verlegerrecht, also ein europaweiter urheberrechtlicher Schutz der Produkte und Inhalte von Presseunternehmen, existenziell für die Branche?
Ich schicke voraus: Für die Demokratie, die staatsbürgerliche Bildung und die mediale Grundversorgung in einer offenen Gesellschaft sind Zeitungen unverzichtbar. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie gedruckt werden oder online erscheinen. Doch es zeigt sich, dass ihr traditionelles Geschäftsmodell – Zeitungsverkäufe und Werbeanzeigen – immer mehr unter Druck kommt. Weil die sozialen Medien so an Popularität gewonnen haben, wird Werbung verstärkt direkt auf Plattformen im Internet platziert. Ein großer Teil des Anzeigenkuchens ist so zu Google und Co. abgewandert. Diese Plattformen verdienen auch damit gutes Geld, dass sie Artikel der Online-Ausgaben von Zeitungen in einem Anreißer zusammenfassen. Sie selbst investieren allerdings wenig in die Qualitätssicherung der Medien, in die Ausbildung von Journalisten und in Vollzeitarbeitsplätze. Hier gibt es große Mitnahmeeffekte. Daher setze ich mich dafür ein, dass Verleger und auch die Journalisten einen Teil des Werbeaufkommens von den sozialen Medien erhalten sollten.
Wie soll das konkret aussehen?
Der Gesetzgebungsvorschlag der EU will nicht in Euro und Cent regeln, wie viel Geld die Verlage bekommen. Unser Leistungsschutzrecht, auch Verlegerrecht genannt, will die Rechtsposition der Verlage stärken. Bislang ist deren Verhandlungsposition sehr schwach, sie bekommen, wenn überhaupt, nur einen Bruchteil der Erlöse. Das Recht am geistigen Eigentum der Urheber und derer, die in die Kreativität investieren, also der Journalisten und der Verlage, muss gestärkt werden.
Kritiker sagen, die Freiheit im Netz würde verloren gehen, weil man in den Texten nicht mehr verlinken könne.
Dies ist eine Legende. Sie geht auf eine Europaabgeordnete der Piraten zurück. Die Politikerin liegt aber eindeutig falsch. Das Verlinken ist vom Gesetzentwurf überhaupt nicht erfasst. Bei sämtlichen Beratungen, die im Rat und in den Ausschüssen des Parlaments stattgefunden haben, gab es daran nie einen Zweifel: Verlinken ist und bleibt kostenfrei, ganz egal ob es eine Privatperson ist oder ein Unternehmen. Lediglich die Nutzung der Inhalte soll einer Vergütung zugeführt werden.
Konkret: Werden die Verleger mit Ihrem Vorschlag Google zur Kasse bitten können, oder drohen endlose Rechtsstreite?
Das deutsche Leistungsschutzgesetz, das die christlich-liberale Koalition 2013 im Gesetzesblatt verankert hat, war sicher gut gemeint. Ebenso wie das entsprechende spanische Gesetz. Sie haben aber nichts bewirkt, weil Google Spanien einfach ausgeblendet hat. Es war als Markt einfach zu klein, um es mit Google aufzunehmen. Und auch Deutschland kann es nicht allein schaffen. Einzig die Wirtschaftskraft im digitalen EU-Binnenmarkt und der Werbemarkt mit 500 Millionen Verbrauchern sind so bedeutend, dass keine Plattform darauf verzichten kann. Meine Erwartung ist daher, dass Google das europäische Verlegerrecht akzeptieren wird. Als Fachkommissar für den digitalen Binnenmarkt habe ich stets einen guten Kontakt zu Google gehabt. Mein Eindruck ist: Google kämpft auch deswegen so vehement gegen das Verlegerrecht, weil der Konzern das Instrument sehr ernst nimmt.
Ihr Vorschlag geht weiter als die deutsche Lösung. In welchen Punkten genau?
Wir haben ein umfassendes Paket zum Thema Copyright vorgelegt. Es geht nicht nur um die Verlegerrechte, sondern um die Verwendung von Texten für Forschung und Wissenschaft. Das Ziel ist allgemeiner. Wir streben eine moderne Gesetzgebung im digitalen Binnenmarkt an. Und bei den Verlegerrechten haben wir versucht, die Lehren aus dem in der Praxis schwer anwendbaren deutschen Leistungsschutzrecht zu ziehen. Seit meinem Ressortwechsel zum Bereich Haushalt und Personal betreue ich das Thema nicht mehr persönlich, sondern berate meine Nachfolgerin, die Kollegin Mariya Gabriel. Ich sehe aber mit Zufriedenheit, dass die Ausschüsse im Parlament und auch zahlreiche Mitgliedstaaten unsere Stoßrichtung unterstützen.
Vor einem Jahr haben Sie die Verleger aufgefordert, für das Verlegerrecht zu kämpfen. Fühlen Sie sich von der Branche gehört?
Es reicht nicht, wenn der Verband der Tageszeitungsverleger und der Verband der Zeitschriftenverleger in Deutschland trommeln. Es war von Anfang an wichtig, dass auch die jeweiligen europäischen Verbände dahinterstehen. Mir liegt das Thema sehr am Herzen. So habe ich bei dem Ressortwechsel EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gebeten, weiterhin drei Themen begleiten zu dürfen, die mir wichtig erscheinen: das autonome Fahren, die Digitalisierung der Industrie sowie das Thema Copyright und Verlegerrecht.
Wann rechnen Sie damit, dass das Verlegerrecht in Kraft treten kann und erste Erlöse fließen?
Bei der ersten Sitzung im Rat haben sich mit Italien, Frankreich und Deutschland drei große Mitgliedstaaten hinter unseren Vorschlag gestellt. Einige kritische Fragen gibt es aus wenigen anderen Mitgliedstaaten. Es wird sicher im Verfahren noch zu der einen oder anderen inhaltlichen Änderung kommen. Aber eine komplette Verwässerung oder Aushöhlung ist wohl nicht zu befürchten. Da die laufende estnische Ratspräsidentschaft sehr viel Wert auf die digitale Agenda legt, hoffe ich, dass wir bis Jahresende substanzielle Fortschritte machen und dann spätestens Anfang 2018 abschließen können.
Seit Jahren tobt der Streit zwischen Verlegern und den öffentlich-rechtlichen Sendern in Deutschland über Internetangebote der Sender. Die Verleger verstehen sie als gebührenfinanzierten Frontalangriff. Können Sie die Kritik nachvollziehen?
Ja, das kann ich sehr wohl. Es ist zwar unbestritten, dass die öffentlich-rechtlichen Sender eine hervorragende Arbeit machen. Die Nachrichten, Magazine, ja auch einige Talkshows, die ARD und ZDF anbieten, haben, auch dank ihres Korrespondentennetzes in der ganzen Welt, eine beeindruckende Recherchetiefe. Es ist auch unbestritten, dass sie gezielt Zusatzinformationen zur Vertiefung ihrer Sendungen ins Netz stellen. Ich bin allerdings der Meinung, dass diese Informationen einen direkten Bezug zum Programm haben müssen. Sie müssen konkret rückverfolgbar sein zur jeweiligen Sendung. Die Praxis sieht indes anders aus. Die Sender sorgen für ein kostenloses und umfassendes journalistisches Angebot im Netz, das für die privat finanzierten Verlagshäuser eine scharfe Konkurrenz darstellt. Die Öffentlich-Rechtlichen finanzieren dies auch aus Rundfunkbeiträgen. Dies ist unfair gegenüber den vollständig privat finanzierten Zeitungshäusern und stellt für sie eine Gefahr dar. Es ist deshalb überfällig, dass Gerichte den Graubereich ausleuchten, Spielräume definieren und den öffentlich-rechtlichen Sendern auch Grenzen aufzeigen.
Der Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger, Springer-Chef Mathias Döpfner, will Beschwerde bei der EU-Kommission einlegen. Rundfunkgebühren gelten europarechtlich als Beihilfe. Stößt dies bei der Kommission auf offene Ohren?
Erstens: Die Rundfunkgebühren sind europarechtlich Beihilfen, die genehmigt werden müssen und genehmigt worden sind. Die EU hat also mit Rundfunkgebühren an sich kein Problem. Zweitens: Das Wettbewerbsrecht fällt nicht in meinen Kompetenzbereich. Daher will ich mich zur Sache hier nicht äußern. Klar ist aber, die Sache ist eine Frage des europäischen Wettbewerbsrechts. Und deswegen kann eine entsprechende Beschwerde seitens der Verleger zu Klarheit führen.
Die Verleger sind Kläger in dem Verfahren, in dem Google Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung vorgeworfen wird. Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager hat eine Rekordbuße verhängt. Zwischenzeitlich sah es so aus, als würde der Fall eingestellt. Wäre das aus Ihrer Sicht ein Fehler gewesen?
Tatsächlich wollte der Vorgänger von Margrethe Vestager, Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia, den Fall mit bestimmten Auflagen einstellen. Ich habe mich in der entscheidenden Sitzung fünfmal zu Wort gemeldet, weil ich Bedenken hatte. Ich habe dann von zwei Kollegen Unterstützung bekommen. So konnten wir erreichen, dass der Fall Google in der neuen Kommission unter Jean-Claude Juncker weiter verfolgt wurde. Ich halte dies für sinnvoll und glaube, dass diese Entscheidung hilft, den Menschen die EU näherzubringen.